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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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erkennt das Auge, daß in dieser Gegend die "Ehrbaren" ihren Sitz um das
Rathhaus gewählt hatten, in dessen großen Saal sie allein die Senatoren ent¬
sendeten. An den Stadtthoren zeigen sich zierlich gemeiselte Bildhauerarbeiten,
noch neben dem Reichsadler das rotenburgische Wappen, ein redendes Wappen:
im weißen Felde eine Burg mit zwei rothen Zinnenthürmen und zwischen die¬
sen ein Dach auf Pfeilern: das Landgericht. Auch an den Wappen der Herren¬
häuser wird ein Heraldikcr leicht die Familien erkennen, welche früher in den¬
selben gewohnt. Jetzt freilich sind manche ihrer Häuser ziemlich dem Verfall
preisgegeben, aber noch stehen diese monumentalen Bauten, meist dem 16. Jahrh,
entstammend, ihre hohen Giebel der Straße zugewandt, mit ihren gewaltigen
Kellern, dem weiten Hausplatze, den geräumigen Gängen und gedehnten Böden,
welche für die Wohngemächer so wenig Platz lassen, als ein auffallendes Ge¬
genstück zu den knappen und beschränkten Räumen moderner Speculationsbau-
ten. Hier zumeist mußte der Verfall der Stadt sich geltend machen.

Zuletzt noch ein paar Worte von dem Stolz der Rotenburger, ihrer Se.
Jakobskirche, welche in diesem Jahrhundert trefflich restaurirt und von all dem
Trödel gereinigt wurde, den die beiden letzten Jahrhunderte darin angehäuft.
Von welcher Seite man sich auch der Stadt nähern mag. überall ragen neben
dem schlanken Rathhausthurm die durchbrochenen pyramidalen Spitzen ihrer
zwei quadratischen Thürme über die Häuser herauf. Sonst bietet das Gebäude
an seiner Außenseite eben nicht viel Bemerkenswetthes, wenn man nicht das
Curiosum dahin rechnen will, welches der Architekt des Is. Jahrhunderts wohl
von der frühromanischen Se. Burchardskirche der unsern gelegenen Bischofs-
stadt Würzburg entlehnte. Der Westchor der Kirche ist nämlich um beinahe
40 Stufen über dem Schiffe erhöht, weil unter ihm eine Straße durch einen
geräumigen Thorweg geführt ist. Um so reicher ist das Innere an Kunst¬
schätzen, die Wohl sämmtlich der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihren
Ursprung verdanken, mit Ausnahme der älteren Glasmalereien im Ostchor.
Der Hochaltar im Ostchor, welcher schon 1819 restaurirt und bereits oben er¬
wähnt wurde, rechtfertigt vollständig die Worte über seinen Urheber Friedrich
Herlen, welche 1467 bei Aufnahme desselben in die Bürgerschaft von Nördlin-
gen in das Bürgcrbuch dieser Stadt eingezeichnet wurden, daß er nämlich ein
Maler sei, "der mit niederländischer Arbeit umgehen könne", denn aufs genaueste,
oft fast sclavisch lehnt sich auch dieses Werk Herlens. wie die Mehrzahl seiner
Leistungen an die realistische Darstellungsweise der van Eyck'schen Schule. Im
Gegensatz zu diesem Hochaltare der Kirche sind die Altäre am Ostende der bei¬
den Seitenschiffe, von denen der schönere, der Altar der heiligen Jungfrau, erst
kürzlich aus der Hospitalkirche hierher gebracht wurde, blos Schnitzwerk, und
zwar unvemaltes. Der eine, der von Alters her zur Se. Jakobskirche gehört
und 1478 gestiftet ist. verherrlicht die Passion Christi als Ausbewah-


erkennt das Auge, daß in dieser Gegend die „Ehrbaren" ihren Sitz um das
Rathhaus gewählt hatten, in dessen großen Saal sie allein die Senatoren ent¬
sendeten. An den Stadtthoren zeigen sich zierlich gemeiselte Bildhauerarbeiten,
noch neben dem Reichsadler das rotenburgische Wappen, ein redendes Wappen:
im weißen Felde eine Burg mit zwei rothen Zinnenthürmen und zwischen die¬
sen ein Dach auf Pfeilern: das Landgericht. Auch an den Wappen der Herren¬
häuser wird ein Heraldikcr leicht die Familien erkennen, welche früher in den¬
selben gewohnt. Jetzt freilich sind manche ihrer Häuser ziemlich dem Verfall
preisgegeben, aber noch stehen diese monumentalen Bauten, meist dem 16. Jahrh,
entstammend, ihre hohen Giebel der Straße zugewandt, mit ihren gewaltigen
Kellern, dem weiten Hausplatze, den geräumigen Gängen und gedehnten Böden,
welche für die Wohngemächer so wenig Platz lassen, als ein auffallendes Ge¬
genstück zu den knappen und beschränkten Räumen moderner Speculationsbau-
ten. Hier zumeist mußte der Verfall der Stadt sich geltend machen.

Zuletzt noch ein paar Worte von dem Stolz der Rotenburger, ihrer Se.
Jakobskirche, welche in diesem Jahrhundert trefflich restaurirt und von all dem
Trödel gereinigt wurde, den die beiden letzten Jahrhunderte darin angehäuft.
Von welcher Seite man sich auch der Stadt nähern mag. überall ragen neben
dem schlanken Rathhausthurm die durchbrochenen pyramidalen Spitzen ihrer
zwei quadratischen Thürme über die Häuser herauf. Sonst bietet das Gebäude
an seiner Außenseite eben nicht viel Bemerkenswetthes, wenn man nicht das
Curiosum dahin rechnen will, welches der Architekt des Is. Jahrhunderts wohl
von der frühromanischen Se. Burchardskirche der unsern gelegenen Bischofs-
stadt Würzburg entlehnte. Der Westchor der Kirche ist nämlich um beinahe
40 Stufen über dem Schiffe erhöht, weil unter ihm eine Straße durch einen
geräumigen Thorweg geführt ist. Um so reicher ist das Innere an Kunst¬
schätzen, die Wohl sämmtlich der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihren
Ursprung verdanken, mit Ausnahme der älteren Glasmalereien im Ostchor.
Der Hochaltar im Ostchor, welcher schon 1819 restaurirt und bereits oben er¬
wähnt wurde, rechtfertigt vollständig die Worte über seinen Urheber Friedrich
Herlen, welche 1467 bei Aufnahme desselben in die Bürgerschaft von Nördlin-
gen in das Bürgcrbuch dieser Stadt eingezeichnet wurden, daß er nämlich ein
Maler sei, „der mit niederländischer Arbeit umgehen könne", denn aufs genaueste,
oft fast sclavisch lehnt sich auch dieses Werk Herlens. wie die Mehrzahl seiner
Leistungen an die realistische Darstellungsweise der van Eyck'schen Schule. Im
Gegensatz zu diesem Hochaltare der Kirche sind die Altäre am Ostende der bei¬
den Seitenschiffe, von denen der schönere, der Altar der heiligen Jungfrau, erst
kürzlich aus der Hospitalkirche hierher gebracht wurde, blos Schnitzwerk, und
zwar unvemaltes. Der eine, der von Alters her zur Se. Jakobskirche gehört
und 1478 gestiftet ist. verherrlicht die Passion Christi als Ausbewah-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/67>, abgerufen am 27.09.2024.