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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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thäte" um, denn schon 1387 ließ sich hier der faule König Wenzel durch den
Bürgermeister glänzend bewirthen.

Das etwa ist das Gesicht, welches Rotenburg dem Westen zukehrt. Anders,
aber nicht weniger großartig ist der architektonische Eindruck, den die Stadt dem
Wanderer darbietet, der sich von der Ostseite naht. Gewiß, ein Architektur¬
maler, dem etwa die Aufgabe würde, für die Scene im Faust "vor dem Thore"
den Hintergrund zu componiren, hätte nur das Bild der Stadt zu fixiren,
sobald er die letzte Welle der Hochfläche überwunden und die erste Aussicht auf
die Stadt gewonnen hat, welche von dieser Seite eine geringe Bodenanschwel¬
lung bekrönt. Nur einen Fluß hätte er sich hier hinzuzudenken, ein paar Schanz¬
werke, welche den Thürmen in der Noth des dreißigjährigen Krieges vorgelegt
wurden, wegzustreichen. Mehr als 30 Thürme zählt die Ringmauer der Stadt,
und reichlich ein Drittel derselben ist dieser Seite zugewendet, die zumeist den
Angriffen ausgesetzt war, hochemporsteigende stattliche Thorthürme auf breiter
rechteckige Grundlage an zwei "hohlen finsteren Thoren", dann Wartthürme
der verschiedensten Form, vor allen der schönste und höchste der ganzen Be¬
festigung, der kreisrunde, kühn emporragende Faulthurm. Wohlerhalten ist hier
die ganze Befestigungslinie, auf langer Strecke zieht hinter der Mauer unter
den Thürmen und über den Thorwölbungen sich der Gang hin für die Schützen,
weiche dem Ansturm über die Gräben zu wehren hatten; auch ist er noch ganz
im alten Zustande, so daß wohl noch heute ein Albrecht Achilles mit seinem
Belagerungsgeschütz unverrichteter Weise hier abziehen müßte.

Doch nicht weniger charakteristisch, als die Außenseiten, ist das Centrum
der Stadt, der Markt mit den Straßen, welche auf ihn einmünden, die Schmid-
gasse in ihren vielfachen Windungen mit ihrer Fortsetzung, eine jener köstlichen
Straßenperspectiven, wie sie nicht mehr erstehen können, seit die gerade Linie
als das alleinige Recept für Neubauten adoptirt worden ist. Dann die Herren¬
gasse, die im Gegensatz zu jener andern sich breit und weit in einer Linie zu
dem Burgthor hinzieht, das von niedrigen Seitenthürmchen flankirt wird. Da
drängen sich nahe an einander die hauptsächlichsten Profanbauten der Stadt
zusammen; vor anderen das Rathhaus, welches seine gothische Hauptseite mit
dem hohen Thurme der Herrengasse zuwendet, dem Markte aber die reiche Front
im Renaissancestil mit einer Bogenreihe von Rusticaarbeit, die als Vorhalle sich
vor das Erdgeschoß lagert, mit einem Eckerker, der durch drei Geschosse reicht,
und dem schönen Gehäuse der reich verzierten Wendeltreppe. An der Nordseite
des Platzes aber steht die Frohnwage, in deren mittleren Stockwerk die Ge¬
schlechter ihre Trinkstube hatten, bis in den Kriegszeiten die silbernen Gefäße
verschwanden. Auf die Ostseite der Renaissance-Fayade eines Herrenhauses mit
menschlichen Figuren aller Art, die das steinerne Gebälk tragen, lebhaft bewegte
Gestalten, wie sie als Karyatiden sonst ungewöhnlich sind. Auf den ersten Blick


thäte" um, denn schon 1387 ließ sich hier der faule König Wenzel durch den
Bürgermeister glänzend bewirthen.

Das etwa ist das Gesicht, welches Rotenburg dem Westen zukehrt. Anders,
aber nicht weniger großartig ist der architektonische Eindruck, den die Stadt dem
Wanderer darbietet, der sich von der Ostseite naht. Gewiß, ein Architektur¬
maler, dem etwa die Aufgabe würde, für die Scene im Faust „vor dem Thore"
den Hintergrund zu componiren, hätte nur das Bild der Stadt zu fixiren,
sobald er die letzte Welle der Hochfläche überwunden und die erste Aussicht auf
die Stadt gewonnen hat, welche von dieser Seite eine geringe Bodenanschwel¬
lung bekrönt. Nur einen Fluß hätte er sich hier hinzuzudenken, ein paar Schanz¬
werke, welche den Thürmen in der Noth des dreißigjährigen Krieges vorgelegt
wurden, wegzustreichen. Mehr als 30 Thürme zählt die Ringmauer der Stadt,
und reichlich ein Drittel derselben ist dieser Seite zugewendet, die zumeist den
Angriffen ausgesetzt war, hochemporsteigende stattliche Thorthürme auf breiter
rechteckige Grundlage an zwei „hohlen finsteren Thoren", dann Wartthürme
der verschiedensten Form, vor allen der schönste und höchste der ganzen Be¬
festigung, der kreisrunde, kühn emporragende Faulthurm. Wohlerhalten ist hier
die ganze Befestigungslinie, auf langer Strecke zieht hinter der Mauer unter
den Thürmen und über den Thorwölbungen sich der Gang hin für die Schützen,
weiche dem Ansturm über die Gräben zu wehren hatten; auch ist er noch ganz
im alten Zustande, so daß wohl noch heute ein Albrecht Achilles mit seinem
Belagerungsgeschütz unverrichteter Weise hier abziehen müßte.

Doch nicht weniger charakteristisch, als die Außenseiten, ist das Centrum
der Stadt, der Markt mit den Straßen, welche auf ihn einmünden, die Schmid-
gasse in ihren vielfachen Windungen mit ihrer Fortsetzung, eine jener köstlichen
Straßenperspectiven, wie sie nicht mehr erstehen können, seit die gerade Linie
als das alleinige Recept für Neubauten adoptirt worden ist. Dann die Herren¬
gasse, die im Gegensatz zu jener andern sich breit und weit in einer Linie zu
dem Burgthor hinzieht, das von niedrigen Seitenthürmchen flankirt wird. Da
drängen sich nahe an einander die hauptsächlichsten Profanbauten der Stadt
zusammen; vor anderen das Rathhaus, welches seine gothische Hauptseite mit
dem hohen Thurme der Herrengasse zuwendet, dem Markte aber die reiche Front
im Renaissancestil mit einer Bogenreihe von Rusticaarbeit, die als Vorhalle sich
vor das Erdgeschoß lagert, mit einem Eckerker, der durch drei Geschosse reicht,
und dem schönen Gehäuse der reich verzierten Wendeltreppe. An der Nordseite
des Platzes aber steht die Frohnwage, in deren mittleren Stockwerk die Ge¬
schlechter ihre Trinkstube hatten, bis in den Kriegszeiten die silbernen Gefäße
verschwanden. Auf die Ostseite der Renaissance-Fayade eines Herrenhauses mit
menschlichen Figuren aller Art, die das steinerne Gebälk tragen, lebhaft bewegte
Gestalten, wie sie als Karyatiden sonst ungewöhnlich sind. Auf den ersten Blick


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/66>, abgerufen am 27.09.2024.