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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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versteht man, wenn man einen Umblick in den Straßen derselben halt. Denn
wer die Stadt aufmerksamen Auges durchwandert, erkennt leicht, und nicht nur
an den ansehnlichen Resten der ältern innern Befestigung, welche Theile der
Stadt er zum Kern, welche er zu den räumlich weitausgedehnter späteren An"
bauten zu rechnen hat. Das lehrt der gewaltige Unterschied zwischen den hoch¬
ragenden massiven Herrenhäusern in der Nähe des Marktes und um denselben,
und zwischen den geringeren meist unansehnlichen und aus leichterm Material
erbauten Häuschen der Handwerker und der Schutzverwandten. Mau sieht, nicht
nur in politischer Berechtigung stand die Bürgerschaft hinter dem Patriciat zu¬
rück, sondern auch in ökonomischer Hinsicht. Und das findet in einer sehr Staats¬
klugen Gewohnheit der "Ehrbaren" ausreichende Erklärung. Zur Zeit, da das
Gebiet der Stadt zusammengebracht wurde, war es Brauch zu Rotenburg, daß
die obrigkeitlichen Rechte zwar der Gemeinde vorbehalten blieben und durch den
Rath als Ganzes geübt wurden, daß es dagegen den Geschlechtern erlaubt war,
für sich die nutzbaren Rechte, die grundherrlichen Einkünfte von diesen Herr¬
schaften käuflich zu erwerben. Die Naturproducte von den Stadtgütern wurden
durch die Familien in gewinnbringender Weise verkauft; Waarenhandel aber
zu betreiben, war allen Rcgimentsfähigen durchaus verboten. So hatten aller¬
dings die "Ehrbaren" von dem Wachsthum der städtischen Macht Nutzen genug
den niedriger stehenden Kreisen der Bürgerschaft jedoch war der Weg zum Reich-
thum verschlossen. In der Gegenwart nun sind die ehemaligen Patricier größ-
tentheils ausgestorben oder weggezogen, während die Classen, denen die niedrigen
Hütten der Außenstraßen genügen, Zuwachs erhalten haben. Gewerbliche An¬
lagen sind nicht geschaffen worden; die Eröffnung der Eisenbahn hat Roten¬
burg mehr geschadet, als genützt; höchstens der Umstand, daß die Stadt in einer
getreidereichen Gegend liegt, -- schon ein altes Sprüchwort sagt, zu Roten¬
burg an der Tauber sei Müller- und Bäckerwerk sauber, -- sichert ihr eine ge¬
wisse Bedeutung. An den paar Markttagen im Lause des Jahres sehen die
menschenleeren Straßen ein etwas regeres Leben.

Vor zweihundert Jahren nahm ein Zeichner für des Matthäus Merian
loxograxdia ?rMeouiae den Prospect Rotenburgs vom jenseitigen Thalrande
der Tauber auf. Wäre ihm vergönnt, im Jahre 1867 seine Arbeit einer Re¬
vision zu unterwerfen, er dürfte dieselbe recht wohl als noch entsprechend be¬
zeichnen. Denn auch das Fehlende, z. B. der Thurm der Nortenbergschen Hin¬
terburg, die Kirche des Frauenklosters, eine zierlich" spätgothische Kapelle beider
Stadtkirche ist nicht durch Rotcnburgische Schuld gefallen. Bairischen Kommissä¬
ren gefiel es, diese Bauten nach Uebernahme der Stadt durch ihre Regierung
dem Abbrüche preiszugeben, denselben Gesellen, welche auch um ein Spottgeld
werthvolle Gemälde vom Rathhause, unter anderm ein Stück von Dürer, ver¬
schleuderten. Wer Rotenburg durch das doppelthürmige Kupserzeller Thor ver-


versteht man, wenn man einen Umblick in den Straßen derselben halt. Denn
wer die Stadt aufmerksamen Auges durchwandert, erkennt leicht, und nicht nur
an den ansehnlichen Resten der ältern innern Befestigung, welche Theile der
Stadt er zum Kern, welche er zu den räumlich weitausgedehnter späteren An»
bauten zu rechnen hat. Das lehrt der gewaltige Unterschied zwischen den hoch¬
ragenden massiven Herrenhäusern in der Nähe des Marktes und um denselben,
und zwischen den geringeren meist unansehnlichen und aus leichterm Material
erbauten Häuschen der Handwerker und der Schutzverwandten. Mau sieht, nicht
nur in politischer Berechtigung stand die Bürgerschaft hinter dem Patriciat zu¬
rück, sondern auch in ökonomischer Hinsicht. Und das findet in einer sehr Staats¬
klugen Gewohnheit der „Ehrbaren" ausreichende Erklärung. Zur Zeit, da das
Gebiet der Stadt zusammengebracht wurde, war es Brauch zu Rotenburg, daß
die obrigkeitlichen Rechte zwar der Gemeinde vorbehalten blieben und durch den
Rath als Ganzes geübt wurden, daß es dagegen den Geschlechtern erlaubt war,
für sich die nutzbaren Rechte, die grundherrlichen Einkünfte von diesen Herr¬
schaften käuflich zu erwerben. Die Naturproducte von den Stadtgütern wurden
durch die Familien in gewinnbringender Weise verkauft; Waarenhandel aber
zu betreiben, war allen Rcgimentsfähigen durchaus verboten. So hatten aller¬
dings die „Ehrbaren" von dem Wachsthum der städtischen Macht Nutzen genug
den niedriger stehenden Kreisen der Bürgerschaft jedoch war der Weg zum Reich-
thum verschlossen. In der Gegenwart nun sind die ehemaligen Patricier größ-
tentheils ausgestorben oder weggezogen, während die Classen, denen die niedrigen
Hütten der Außenstraßen genügen, Zuwachs erhalten haben. Gewerbliche An¬
lagen sind nicht geschaffen worden; die Eröffnung der Eisenbahn hat Roten¬
burg mehr geschadet, als genützt; höchstens der Umstand, daß die Stadt in einer
getreidereichen Gegend liegt, — schon ein altes Sprüchwort sagt, zu Roten¬
burg an der Tauber sei Müller- und Bäckerwerk sauber, — sichert ihr eine ge¬
wisse Bedeutung. An den paar Markttagen im Lause des Jahres sehen die
menschenleeren Straßen ein etwas regeres Leben.

Vor zweihundert Jahren nahm ein Zeichner für des Matthäus Merian
loxograxdia ?rMeouiae den Prospect Rotenburgs vom jenseitigen Thalrande
der Tauber auf. Wäre ihm vergönnt, im Jahre 1867 seine Arbeit einer Re¬
vision zu unterwerfen, er dürfte dieselbe recht wohl als noch entsprechend be¬
zeichnen. Denn auch das Fehlende, z. B. der Thurm der Nortenbergschen Hin¬
terburg, die Kirche des Frauenklosters, eine zierlich« spätgothische Kapelle beider
Stadtkirche ist nicht durch Rotcnburgische Schuld gefallen. Bairischen Kommissä¬
ren gefiel es, diese Bauten nach Uebernahme der Stadt durch ihre Regierung
dem Abbrüche preiszugeben, denselben Gesellen, welche auch um ein Spottgeld
werthvolle Gemälde vom Rathhause, unter anderm ein Stück von Dürer, ver¬
schleuderten. Wer Rotenburg durch das doppelthürmige Kupserzeller Thor ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/64>, abgerufen am 27.09.2024.