Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kircheneinrichtung wurde doch nach evangelisch-lutherischer Gestalt allmälig um¬
geformt, wenn sie auch durch die tumultuarilchen Scenen des Bauernkriegs ver¬
zögert war, denn ihre gänzliche Durchführung erfolgte noch vor dem schmalkal-
dische Kriege.

Noch wurden in der Mitte und gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts
mehre öffentliche Werke vollendet, zu deren Herstellung später die Kraft nicht
mehr vorhanden gewesen wäre. So war von 1542 an das südliche Thor, das
nach dem nahen Spital genannt wurde und sich über der augsburger Straße
wölbte, durch zwei gewaltige Basteien verstärkt worden. Dann wurde im Jahre
1572 die eine Hälfte des Rathhauses nach dem Markte zu neu begonnen, und
in demselben Decennium erwuchs ein stattlicher Neubau im Spital. Das hoch-
giebelige Gebäude an der Nordseite der Stadtkirche, in welchem eine blühende
lateinische Schule ihren Sitz hatte, stammt aus dem Jahre 1ö89. Erst ganz
am Ausgange des Jahrhunderts entstand auch das künstliche Druckwerk, welches
der wasserarmen Stadt noch heute aus dem tiefen Thale der Tauber Wasser
auf die Höhe des Klingcnthorthurms befördert, zur Speisung mehrerer Brunnen.

Rotenburg war im dreißigjährigen Kriege ein fester, durch die Kunst noch
bedeutend verstärkter Punkt auf der nächsten Straße vom Main nach der stra¬
tegisch wichtigen Ebene des Niesgaues. Es wurde deshalb furchtbar mitge¬
nommen. Mit der Geschichte von der Erstürmung der Stadt durch Tilly 1632
verwebt die Chronik die Erzählung von dem entschlossenen Rathsherrn, der sich
und seinen Collegen das Leben, welches durch den Spruch des feindlichen Feld¬
herrn verwirkt war, dadurch rettete, daß er einen über zwölf Schoppen halten¬
den Pokal in einem Zuge zu leeren vermochte. Im Jahre 1645 war es schon
so weit gekommen, daß Rotenburg, seines sämmtlichen Geschützes beraubt, bei
einer Beschießung durch Turenne nicht antworten konnte. Der orleanssche
Krieg brachte neue Verwüstungen des Gebietes, der spanische Erbfolgekrieg eine
Belagerung und Einnahme der Stadt. Unter den stets erneuten Schlägen war
eine Erhebung unmöglich, und mit der materiellen Kraft sank auch die moralische.
Die Notcnburger des Jahres 1763 sind der passive Theil in einer von den
ebenso traurigen als lächerlichen Scenen, wie sie während der Greisenzeit des
deutschen Reiches in den kleinen staatlichen Gebilden massenhaft vorkamen, die
zum Range von Kuriositäten gesunken waren. Die Nachkommen der Bürger,
welche noch im siebzehnten Jahrhundert einem Tilly mit Heldenmuth den Ein¬
tritt in ihre Stadt zu wehren versucht hatten, öffneten wenige Wochen vor dem
Eintritt des hubcrtsburgcr Friedens einem preußischen Husarenlieutenant mit
35 Mann ihre Thore und zahlten die erzwungene Brandschatzung von 10,000
Gulden.

Endlich wurde die Revolutionszeit der Reichsstadt zum Verhängniß. Schon
vor Beginn der Zeit bis 1784 war die Einwohnerzahl um vier Procent ge-


Kircheneinrichtung wurde doch nach evangelisch-lutherischer Gestalt allmälig um¬
geformt, wenn sie auch durch die tumultuarilchen Scenen des Bauernkriegs ver¬
zögert war, denn ihre gänzliche Durchführung erfolgte noch vor dem schmalkal-
dische Kriege.

Noch wurden in der Mitte und gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts
mehre öffentliche Werke vollendet, zu deren Herstellung später die Kraft nicht
mehr vorhanden gewesen wäre. So war von 1542 an das südliche Thor, das
nach dem nahen Spital genannt wurde und sich über der augsburger Straße
wölbte, durch zwei gewaltige Basteien verstärkt worden. Dann wurde im Jahre
1572 die eine Hälfte des Rathhauses nach dem Markte zu neu begonnen, und
in demselben Decennium erwuchs ein stattlicher Neubau im Spital. Das hoch-
giebelige Gebäude an der Nordseite der Stadtkirche, in welchem eine blühende
lateinische Schule ihren Sitz hatte, stammt aus dem Jahre 1ö89. Erst ganz
am Ausgange des Jahrhunderts entstand auch das künstliche Druckwerk, welches
der wasserarmen Stadt noch heute aus dem tiefen Thale der Tauber Wasser
auf die Höhe des Klingcnthorthurms befördert, zur Speisung mehrerer Brunnen.

Rotenburg war im dreißigjährigen Kriege ein fester, durch die Kunst noch
bedeutend verstärkter Punkt auf der nächsten Straße vom Main nach der stra¬
tegisch wichtigen Ebene des Niesgaues. Es wurde deshalb furchtbar mitge¬
nommen. Mit der Geschichte von der Erstürmung der Stadt durch Tilly 1632
verwebt die Chronik die Erzählung von dem entschlossenen Rathsherrn, der sich
und seinen Collegen das Leben, welches durch den Spruch des feindlichen Feld¬
herrn verwirkt war, dadurch rettete, daß er einen über zwölf Schoppen halten¬
den Pokal in einem Zuge zu leeren vermochte. Im Jahre 1645 war es schon
so weit gekommen, daß Rotenburg, seines sämmtlichen Geschützes beraubt, bei
einer Beschießung durch Turenne nicht antworten konnte. Der orleanssche
Krieg brachte neue Verwüstungen des Gebietes, der spanische Erbfolgekrieg eine
Belagerung und Einnahme der Stadt. Unter den stets erneuten Schlägen war
eine Erhebung unmöglich, und mit der materiellen Kraft sank auch die moralische.
Die Notcnburger des Jahres 1763 sind der passive Theil in einer von den
ebenso traurigen als lächerlichen Scenen, wie sie während der Greisenzeit des
deutschen Reiches in den kleinen staatlichen Gebilden massenhaft vorkamen, die
zum Range von Kuriositäten gesunken waren. Die Nachkommen der Bürger,
welche noch im siebzehnten Jahrhundert einem Tilly mit Heldenmuth den Ein¬
tritt in ihre Stadt zu wehren versucht hatten, öffneten wenige Wochen vor dem
Eintritt des hubcrtsburgcr Friedens einem preußischen Husarenlieutenant mit
35 Mann ihre Thore und zahlten die erzwungene Brandschatzung von 10,000
Gulden.

Endlich wurde die Revolutionszeit der Reichsstadt zum Verhängniß. Schon
vor Beginn der Zeit bis 1784 war die Einwohnerzahl um vier Procent ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191823"/>
            <p xml:id="ID_132" prev="#ID_131"> Kircheneinrichtung wurde doch nach evangelisch-lutherischer Gestalt allmälig um¬<lb/>
geformt, wenn sie auch durch die tumultuarilchen Scenen des Bauernkriegs ver¬<lb/>
zögert war, denn ihre gänzliche Durchführung erfolgte noch vor dem schmalkal-<lb/>
dische Kriege.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_133"> Noch wurden in der Mitte und gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts<lb/>
mehre öffentliche Werke vollendet, zu deren Herstellung später die Kraft nicht<lb/>
mehr vorhanden gewesen wäre. So war von 1542 an das südliche Thor, das<lb/>
nach dem nahen Spital genannt wurde und sich über der augsburger Straße<lb/>
wölbte, durch zwei gewaltige Basteien verstärkt worden. Dann wurde im Jahre<lb/>
1572 die eine Hälfte des Rathhauses nach dem Markte zu neu begonnen, und<lb/>
in demselben Decennium erwuchs ein stattlicher Neubau im Spital. Das hoch-<lb/>
giebelige Gebäude an der Nordseite der Stadtkirche, in welchem eine blühende<lb/>
lateinische Schule ihren Sitz hatte, stammt aus dem Jahre 1ö89. Erst ganz<lb/>
am Ausgange des Jahrhunderts entstand auch das künstliche Druckwerk, welches<lb/>
der wasserarmen Stadt noch heute aus dem tiefen Thale der Tauber Wasser<lb/>
auf die Höhe des Klingcnthorthurms befördert, zur Speisung mehrerer Brunnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_134"> Rotenburg war im dreißigjährigen Kriege ein fester, durch die Kunst noch<lb/>
bedeutend verstärkter Punkt auf der nächsten Straße vom Main nach der stra¬<lb/>
tegisch wichtigen Ebene des Niesgaues. Es wurde deshalb furchtbar mitge¬<lb/>
nommen. Mit der Geschichte von der Erstürmung der Stadt durch Tilly 1632<lb/>
verwebt die Chronik die Erzählung von dem entschlossenen Rathsherrn, der sich<lb/>
und seinen Collegen das Leben, welches durch den Spruch des feindlichen Feld¬<lb/>
herrn verwirkt war, dadurch rettete, daß er einen über zwölf Schoppen halten¬<lb/>
den Pokal in einem Zuge zu leeren vermochte. Im Jahre 1645 war es schon<lb/>
so weit gekommen, daß Rotenburg, seines sämmtlichen Geschützes beraubt, bei<lb/>
einer Beschießung durch Turenne nicht antworten konnte. Der orleanssche<lb/>
Krieg brachte neue Verwüstungen des Gebietes, der spanische Erbfolgekrieg eine<lb/>
Belagerung und Einnahme der Stadt. Unter den stets erneuten Schlägen war<lb/>
eine Erhebung unmöglich, und mit der materiellen Kraft sank auch die moralische.<lb/>
Die Notcnburger des Jahres 1763 sind der passive Theil in einer von den<lb/>
ebenso traurigen als lächerlichen Scenen, wie sie während der Greisenzeit des<lb/>
deutschen Reiches in den kleinen staatlichen Gebilden massenhaft vorkamen, die<lb/>
zum Range von Kuriositäten gesunken waren. Die Nachkommen der Bürger,<lb/>
welche noch im siebzehnten Jahrhundert einem Tilly mit Heldenmuth den Ein¬<lb/>
tritt in ihre Stadt zu wehren versucht hatten, öffneten wenige Wochen vor dem<lb/>
Eintritt des hubcrtsburgcr Friedens einem preußischen Husarenlieutenant mit<lb/>
35 Mann ihre Thore und zahlten die erzwungene Brandschatzung von 10,000<lb/>
Gulden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_135" next="#ID_136"> Endlich wurde die Revolutionszeit der Reichsstadt zum Verhängniß. Schon<lb/>
vor Beginn der Zeit bis 1784 war die Einwohnerzahl um vier Procent ge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] Kircheneinrichtung wurde doch nach evangelisch-lutherischer Gestalt allmälig um¬ geformt, wenn sie auch durch die tumultuarilchen Scenen des Bauernkriegs ver¬ zögert war, denn ihre gänzliche Durchführung erfolgte noch vor dem schmalkal- dische Kriege. Noch wurden in der Mitte und gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts mehre öffentliche Werke vollendet, zu deren Herstellung später die Kraft nicht mehr vorhanden gewesen wäre. So war von 1542 an das südliche Thor, das nach dem nahen Spital genannt wurde und sich über der augsburger Straße wölbte, durch zwei gewaltige Basteien verstärkt worden. Dann wurde im Jahre 1572 die eine Hälfte des Rathhauses nach dem Markte zu neu begonnen, und in demselben Decennium erwuchs ein stattlicher Neubau im Spital. Das hoch- giebelige Gebäude an der Nordseite der Stadtkirche, in welchem eine blühende lateinische Schule ihren Sitz hatte, stammt aus dem Jahre 1ö89. Erst ganz am Ausgange des Jahrhunderts entstand auch das künstliche Druckwerk, welches der wasserarmen Stadt noch heute aus dem tiefen Thale der Tauber Wasser auf die Höhe des Klingcnthorthurms befördert, zur Speisung mehrerer Brunnen. Rotenburg war im dreißigjährigen Kriege ein fester, durch die Kunst noch bedeutend verstärkter Punkt auf der nächsten Straße vom Main nach der stra¬ tegisch wichtigen Ebene des Niesgaues. Es wurde deshalb furchtbar mitge¬ nommen. Mit der Geschichte von der Erstürmung der Stadt durch Tilly 1632 verwebt die Chronik die Erzählung von dem entschlossenen Rathsherrn, der sich und seinen Collegen das Leben, welches durch den Spruch des feindlichen Feld¬ herrn verwirkt war, dadurch rettete, daß er einen über zwölf Schoppen halten¬ den Pokal in einem Zuge zu leeren vermochte. Im Jahre 1645 war es schon so weit gekommen, daß Rotenburg, seines sämmtlichen Geschützes beraubt, bei einer Beschießung durch Turenne nicht antworten konnte. Der orleanssche Krieg brachte neue Verwüstungen des Gebietes, der spanische Erbfolgekrieg eine Belagerung und Einnahme der Stadt. Unter den stets erneuten Schlägen war eine Erhebung unmöglich, und mit der materiellen Kraft sank auch die moralische. Die Notcnburger des Jahres 1763 sind der passive Theil in einer von den ebenso traurigen als lächerlichen Scenen, wie sie während der Greisenzeit des deutschen Reiches in den kleinen staatlichen Gebilden massenhaft vorkamen, die zum Range von Kuriositäten gesunken waren. Die Nachkommen der Bürger, welche noch im siebzehnten Jahrhundert einem Tilly mit Heldenmuth den Ein¬ tritt in ihre Stadt zu wehren versucht hatten, öffneten wenige Wochen vor dem Eintritt des hubcrtsburgcr Friedens einem preußischen Husarenlieutenant mit 35 Mann ihre Thore und zahlten die erzwungene Brandschatzung von 10,000 Gulden. Endlich wurde die Revolutionszeit der Reichsstadt zum Verhängniß. Schon vor Beginn der Zeit bis 1784 war die Einwohnerzahl um vier Procent ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/62
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/62>, abgerufen am 27.09.2024.