Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Ministerium benutzt wird, ist für die Geschichte Ungarns schon einmal, im
Jahre 1848, verhängnisvoll gewesen: von dem Tage, an welchem Kossuth gegen
den Kriegsminister Meszaros für Trennung der (damals in Italien kämpfenden)
ungarisch-österreichischen Armee eintrat, schreibt sich, nach dem Zeugniß Springers,
das Uebergewicht der Radicalen und damit der Bruch her, der zu dem blutigen
Aufstande, der Katastrophe von Villagos und dem Haynauschen Blutregiment
führte. Es würde von einem verzweifelt kurzen Gedächtniß zeugen, wenn
Ungarn die damals empfangene Lehre vergessen hätte und zum zweiten Mal in
das Fahrwasser der Revolution steuern wollte. Und doch liegt diese Gefahr
nicht mehr außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Das außerungarische
Oestreich wird früher oder später auf die Forderung der Uebernahme eines
größeren Antheils an den Lasten des Staatshaushalts zurückkommen und die
Döakisten werden kaum wagen dürfen, die Befriedigung dieser Forderung in
ihr Programm aufzunehmen. Gewinne die Linke an Einfluß, so wird sie sicher
den Perczelschen Wünschen Rechnung tragen und dann steht der Anfang des Endes
vor der Thür. Die cisleithanischcn Provinzen haben Ungarn ein so bedeutendes
Maß von gutem Willen entgegen getragen, daß jede neue an sie gestellte Forderung
als Provocation erscheint und einen jähen Umschlag herbeiführen muß. Die
Feindschaft des slawischen Elements gegen das Magycuenthum ist bis jetzt durch
die entschiedene Haltung der deutschen Kronländer paralysirt worden, -- ist es
mit der Geduld und dem guten Willen dieser zu Ende, so tritt Ungarn in
einen Kampf ein, den sämmtliche östreichische Slawen (die Polen allein aus¬
genommen) sehnlich erwarten. Die Aufregung in Kroatien und an der Militär¬
grenze hat bereits gegenwärtig einen bedrohlichen Grad erreicht und es kann
Oestreich nicht zugemuthet werden, daß es Ungarn zu Liebe seine slawischen
Unterthanen vollends in die Arme des Panslawismus treibe. Bewegen sich
die Dinge schon sechs Monate nach Abschluß des Friedens um die äußersten
Grenzen der Concessionen, welche man sich gegenseitig machen will, so ist eine
gedeihliche Weiterentwicklung kaum zu hoffen, wenn anders man nicht rechtzeitig
in Ungarn zu einer nüchterneren als der bis jetzt bekundeten Auffassung der
Situation kommt. Daß Oestreich auch nur einen Schritt rückwärts mache, ist
unmöglich. --

Wie eigenthümlich die Anschauungen sind, mit denen man sich trotz aller
Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation und trotz des Aergers über die
liberalen Anläufe des Freiherrn von Beust bezüglich der Zukunft des östreichi¬
schen Kaiserstaates in den specifisch katholischen Kreisen Süddeutschlands trägt.
-- das hat sich neuerdings in der Rede gezeigt, mit welcher der Abgeordnete
Jörg in der zweiten bayrischen Kammer den Plan einer Reorganisation der
bayrischen Armee bekämpfte. Die Reorganisation -- so führte der Redner aus
-- wird Preußen zu Liebe und in Hinblick auf die Alliance mit diesem Staat


das Ministerium benutzt wird, ist für die Geschichte Ungarns schon einmal, im
Jahre 1848, verhängnisvoll gewesen: von dem Tage, an welchem Kossuth gegen
den Kriegsminister Meszaros für Trennung der (damals in Italien kämpfenden)
ungarisch-österreichischen Armee eintrat, schreibt sich, nach dem Zeugniß Springers,
das Uebergewicht der Radicalen und damit der Bruch her, der zu dem blutigen
Aufstande, der Katastrophe von Villagos und dem Haynauschen Blutregiment
führte. Es würde von einem verzweifelt kurzen Gedächtniß zeugen, wenn
Ungarn die damals empfangene Lehre vergessen hätte und zum zweiten Mal in
das Fahrwasser der Revolution steuern wollte. Und doch liegt diese Gefahr
nicht mehr außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Das außerungarische
Oestreich wird früher oder später auf die Forderung der Uebernahme eines
größeren Antheils an den Lasten des Staatshaushalts zurückkommen und die
Döakisten werden kaum wagen dürfen, die Befriedigung dieser Forderung in
ihr Programm aufzunehmen. Gewinne die Linke an Einfluß, so wird sie sicher
den Perczelschen Wünschen Rechnung tragen und dann steht der Anfang des Endes
vor der Thür. Die cisleithanischcn Provinzen haben Ungarn ein so bedeutendes
Maß von gutem Willen entgegen getragen, daß jede neue an sie gestellte Forderung
als Provocation erscheint und einen jähen Umschlag herbeiführen muß. Die
Feindschaft des slawischen Elements gegen das Magycuenthum ist bis jetzt durch
die entschiedene Haltung der deutschen Kronländer paralysirt worden, — ist es
mit der Geduld und dem guten Willen dieser zu Ende, so tritt Ungarn in
einen Kampf ein, den sämmtliche östreichische Slawen (die Polen allein aus¬
genommen) sehnlich erwarten. Die Aufregung in Kroatien und an der Militär¬
grenze hat bereits gegenwärtig einen bedrohlichen Grad erreicht und es kann
Oestreich nicht zugemuthet werden, daß es Ungarn zu Liebe seine slawischen
Unterthanen vollends in die Arme des Panslawismus treibe. Bewegen sich
die Dinge schon sechs Monate nach Abschluß des Friedens um die äußersten
Grenzen der Concessionen, welche man sich gegenseitig machen will, so ist eine
gedeihliche Weiterentwicklung kaum zu hoffen, wenn anders man nicht rechtzeitig
in Ungarn zu einer nüchterneren als der bis jetzt bekundeten Auffassung der
Situation kommt. Daß Oestreich auch nur einen Schritt rückwärts mache, ist
unmöglich. —

Wie eigenthümlich die Anschauungen sind, mit denen man sich trotz aller
Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation und trotz des Aergers über die
liberalen Anläufe des Freiherrn von Beust bezüglich der Zukunft des östreichi¬
schen Kaiserstaates in den specifisch katholischen Kreisen Süddeutschlands trägt.
— das hat sich neuerdings in der Rede gezeigt, mit welcher der Abgeordnete
Jörg in der zweiten bayrischen Kammer den Plan einer Reorganisation der
bayrischen Armee bekämpfte. Die Reorganisation — so führte der Redner aus
— wird Preußen zu Liebe und in Hinblick auf die Alliance mit diesem Staat


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192280"/>
          <p xml:id="ID_1419" prev="#ID_1418"> das Ministerium benutzt wird, ist für die Geschichte Ungarns schon einmal, im<lb/>
Jahre 1848, verhängnisvoll gewesen: von dem Tage, an welchem Kossuth gegen<lb/>
den Kriegsminister Meszaros für Trennung der (damals in Italien kämpfenden)<lb/>
ungarisch-österreichischen Armee eintrat, schreibt sich, nach dem Zeugniß Springers,<lb/>
das Uebergewicht der Radicalen und damit der Bruch her, der zu dem blutigen<lb/>
Aufstande, der Katastrophe von Villagos und dem Haynauschen Blutregiment<lb/>
führte. Es würde von einem verzweifelt kurzen Gedächtniß zeugen, wenn<lb/>
Ungarn die damals empfangene Lehre vergessen hätte und zum zweiten Mal in<lb/>
das Fahrwasser der Revolution steuern wollte. Und doch liegt diese Gefahr<lb/>
nicht mehr außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Das außerungarische<lb/>
Oestreich wird früher oder später auf die Forderung der Uebernahme eines<lb/>
größeren Antheils an den Lasten des Staatshaushalts zurückkommen und die<lb/>
Döakisten werden kaum wagen dürfen, die Befriedigung dieser Forderung in<lb/>
ihr Programm aufzunehmen. Gewinne die Linke an Einfluß, so wird sie sicher<lb/>
den Perczelschen Wünschen Rechnung tragen und dann steht der Anfang des Endes<lb/>
vor der Thür. Die cisleithanischcn Provinzen haben Ungarn ein so bedeutendes<lb/>
Maß von gutem Willen entgegen getragen, daß jede neue an sie gestellte Forderung<lb/>
als Provocation erscheint und einen jähen Umschlag herbeiführen muß. Die<lb/>
Feindschaft des slawischen Elements gegen das Magycuenthum ist bis jetzt durch<lb/>
die entschiedene Haltung der deutschen Kronländer paralysirt worden, &#x2014; ist es<lb/>
mit der Geduld und dem guten Willen dieser zu Ende, so tritt Ungarn in<lb/>
einen Kampf ein, den sämmtliche östreichische Slawen (die Polen allein aus¬<lb/>
genommen) sehnlich erwarten. Die Aufregung in Kroatien und an der Militär¬<lb/>
grenze hat bereits gegenwärtig einen bedrohlichen Grad erreicht und es kann<lb/>
Oestreich nicht zugemuthet werden, daß es Ungarn zu Liebe seine slawischen<lb/>
Unterthanen vollends in die Arme des Panslawismus treibe. Bewegen sich<lb/>
die Dinge schon sechs Monate nach Abschluß des Friedens um die äußersten<lb/>
Grenzen der Concessionen, welche man sich gegenseitig machen will, so ist eine<lb/>
gedeihliche Weiterentwicklung kaum zu hoffen, wenn anders man nicht rechtzeitig<lb/>
in Ungarn zu einer nüchterneren als der bis jetzt bekundeten Auffassung der<lb/>
Situation kommt. Daß Oestreich auch nur einen Schritt rückwärts mache, ist<lb/>
unmöglich. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1420" next="#ID_1421"> Wie eigenthümlich die Anschauungen sind, mit denen man sich trotz aller<lb/>
Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation und trotz des Aergers über die<lb/>
liberalen Anläufe des Freiherrn von Beust bezüglich der Zukunft des östreichi¬<lb/>
schen Kaiserstaates in den specifisch katholischen Kreisen Süddeutschlands trägt.<lb/>
&#x2014; das hat sich neuerdings in der Rede gezeigt, mit welcher der Abgeordnete<lb/>
Jörg in der zweiten bayrischen Kammer den Plan einer Reorganisation der<lb/>
bayrischen Armee bekämpfte.  Die Reorganisation &#x2014; so führte der Redner aus<lb/>
&#x2014; wird Preußen zu Liebe und in Hinblick auf die Alliance mit diesem Staat</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] das Ministerium benutzt wird, ist für die Geschichte Ungarns schon einmal, im Jahre 1848, verhängnisvoll gewesen: von dem Tage, an welchem Kossuth gegen den Kriegsminister Meszaros für Trennung der (damals in Italien kämpfenden) ungarisch-österreichischen Armee eintrat, schreibt sich, nach dem Zeugniß Springers, das Uebergewicht der Radicalen und damit der Bruch her, der zu dem blutigen Aufstande, der Katastrophe von Villagos und dem Haynauschen Blutregiment führte. Es würde von einem verzweifelt kurzen Gedächtniß zeugen, wenn Ungarn die damals empfangene Lehre vergessen hätte und zum zweiten Mal in das Fahrwasser der Revolution steuern wollte. Und doch liegt diese Gefahr nicht mehr außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Das außerungarische Oestreich wird früher oder später auf die Forderung der Uebernahme eines größeren Antheils an den Lasten des Staatshaushalts zurückkommen und die Döakisten werden kaum wagen dürfen, die Befriedigung dieser Forderung in ihr Programm aufzunehmen. Gewinne die Linke an Einfluß, so wird sie sicher den Perczelschen Wünschen Rechnung tragen und dann steht der Anfang des Endes vor der Thür. Die cisleithanischcn Provinzen haben Ungarn ein so bedeutendes Maß von gutem Willen entgegen getragen, daß jede neue an sie gestellte Forderung als Provocation erscheint und einen jähen Umschlag herbeiführen muß. Die Feindschaft des slawischen Elements gegen das Magycuenthum ist bis jetzt durch die entschiedene Haltung der deutschen Kronländer paralysirt worden, — ist es mit der Geduld und dem guten Willen dieser zu Ende, so tritt Ungarn in einen Kampf ein, den sämmtliche östreichische Slawen (die Polen allein aus¬ genommen) sehnlich erwarten. Die Aufregung in Kroatien und an der Militär¬ grenze hat bereits gegenwärtig einen bedrohlichen Grad erreicht und es kann Oestreich nicht zugemuthet werden, daß es Ungarn zu Liebe seine slawischen Unterthanen vollends in die Arme des Panslawismus treibe. Bewegen sich die Dinge schon sechs Monate nach Abschluß des Friedens um die äußersten Grenzen der Concessionen, welche man sich gegenseitig machen will, so ist eine gedeihliche Weiterentwicklung kaum zu hoffen, wenn anders man nicht rechtzeitig in Ungarn zu einer nüchterneren als der bis jetzt bekundeten Auffassung der Situation kommt. Daß Oestreich auch nur einen Schritt rückwärts mache, ist unmöglich. — Wie eigenthümlich die Anschauungen sind, mit denen man sich trotz aller Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation und trotz des Aergers über die liberalen Anläufe des Freiherrn von Beust bezüglich der Zukunft des östreichi¬ schen Kaiserstaates in den specifisch katholischen Kreisen Süddeutschlands trägt. — das hat sich neuerdings in der Rede gezeigt, mit welcher der Abgeordnete Jörg in der zweiten bayrischen Kammer den Plan einer Reorganisation der bayrischen Armee bekämpfte. Die Reorganisation — so führte der Redner aus — wird Preußen zu Liebe und in Hinblick auf die Alliance mit diesem Staat

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/519>, abgerufen am 27.09.2024.