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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Programm folgt und deren Glieder allein durch die Negation der bestehen¬
den Ordnung zusammengehalten werden. Während Jules Favre die Alliance
Frankreichs mit dem Papstthum einer vernichtenden Kritik unterzieht, wissen
Thiers und Berryer an derselben nur zu tadeln, daß sie nicht vollständig genug
gewesen. Emile Ollivier macht der Negierung wegen der unfreundlichen Haltung
Vorwürfe, welche sie Deutschland gegenüber angenommen, Simon verlangt in
Uebereinstimmung mit Thiers, daß Frankreich seiner alten Politik treu bleibe, die
Mächte zweiten Ranges unterstütze und die Bildung großer Staaten möglichst
verhindere. Eine wirkliche Uebereinstimmung der Parteigenossen ist aber im
kaiserlichen Lager ebenso wenig zu finden, wie im oppositionellen; wenn auch die
Masse der 273 bedingungslos Gouvernementalen, dem "^aeneis, Sinais" des
Herrn Nouhers seine begeisterte Zustimmung schenkte, es steht fest, daß ein
großer und nicht unwichtiger Theil der Anhänger des Kaiserthums die Los¬
sagung von den Prinzipien der Nationalität und Freiheit für einen Mißgriff
hält und von dem Unbedingten Eintritt Frankreichs für das üominium teinpor^to
nichts wissen will. Mag immerhin wahr sein, daß Herr Rouher im Austrage
des Kaisers gesprochen und von diesem für seine Rede als "Wiederherstelle!
des parlamentarischen Regiments" begrüßt worden ist -- der Eifer, mit dem
de Moustier den Conferenzvorschlag in das Project einer Vorbesprechung der
Großmächte umzugießen bemüht ist, läßt durchsehen, daß das Tuilleriencabinet
sich in der neugewonnenen Position keineswegs sicher fühlt. Das Aufsehen,
welches Nouhers verhängnisvolle Worte gemacht haben, ist allerdings im Stande
gewesen, den Eindruck der vernichtenden Rede Favres zu übertäuben, die Schwie¬
rigkeiten aber, in welche Frankreich durch die römische Frage gebracht worden
ist, sind durch dieselben eher vermehrt, als vermindert worden. Darüber daß
das Nichtzustandekommen der Conferenz Frankreich mehr denn je isolirc, daß
Preußen und England mit der herausfordernden Haltung, welche man Italien
gegenüber angenommen, nicht sympathistren, kann man im kaiserlichen Cabinet kaum
verschiedener Ansicht sein. Lenkt man zu Gunsten einer Verständigung mit Victor
Emanuel ein, so bedeckt die französische Politik sich mit der Schmach einer In-
consequenz, die sie kaum mehr tragen könnte; läßt man es zum Aeußersten kommen,
so ist ein Bruch mit Italien und Menabrea, dem maßvollsten und conscrvativsien
aller in Florenz möglichen Staatsmänner, unvermeidlich. Die Schärfe, mit welcher
die "Kreuzzeitung" die Wahrscheinlichkeit, ja Nothwendigkeit dieses Bruchs schon
vor acht Tagen hervorgehoben hat, legt uns Schlüsse auf die Aufmerksamkeit
nahe, mit welcher man in Berlin der französisch-italienischen Verwickelung folgt.
Trotz aller Verschiedenheit der hüben und drüben angewandten Mittel läßt sich
einmal nicht leugnen, daß die Einigung Italiens mit der Deutschlands in einem
verhängnißvollen Zusammenhang steht. Dem Grafen Cavour wird bekanntlich
das ahnungsvolle Wort in den Mund gelegt, die Schleswig-holsteinsche Frage


Programm folgt und deren Glieder allein durch die Negation der bestehen¬
den Ordnung zusammengehalten werden. Während Jules Favre die Alliance
Frankreichs mit dem Papstthum einer vernichtenden Kritik unterzieht, wissen
Thiers und Berryer an derselben nur zu tadeln, daß sie nicht vollständig genug
gewesen. Emile Ollivier macht der Negierung wegen der unfreundlichen Haltung
Vorwürfe, welche sie Deutschland gegenüber angenommen, Simon verlangt in
Uebereinstimmung mit Thiers, daß Frankreich seiner alten Politik treu bleibe, die
Mächte zweiten Ranges unterstütze und die Bildung großer Staaten möglichst
verhindere. Eine wirkliche Uebereinstimmung der Parteigenossen ist aber im
kaiserlichen Lager ebenso wenig zu finden, wie im oppositionellen; wenn auch die
Masse der 273 bedingungslos Gouvernementalen, dem „^aeneis, Sinais" des
Herrn Nouhers seine begeisterte Zustimmung schenkte, es steht fest, daß ein
großer und nicht unwichtiger Theil der Anhänger des Kaiserthums die Los¬
sagung von den Prinzipien der Nationalität und Freiheit für einen Mißgriff
hält und von dem Unbedingten Eintritt Frankreichs für das üominium teinpor^to
nichts wissen will. Mag immerhin wahr sein, daß Herr Rouher im Austrage
des Kaisers gesprochen und von diesem für seine Rede als „Wiederherstelle!
des parlamentarischen Regiments" begrüßt worden ist — der Eifer, mit dem
de Moustier den Conferenzvorschlag in das Project einer Vorbesprechung der
Großmächte umzugießen bemüht ist, läßt durchsehen, daß das Tuilleriencabinet
sich in der neugewonnenen Position keineswegs sicher fühlt. Das Aufsehen,
welches Nouhers verhängnisvolle Worte gemacht haben, ist allerdings im Stande
gewesen, den Eindruck der vernichtenden Rede Favres zu übertäuben, die Schwie¬
rigkeiten aber, in welche Frankreich durch die römische Frage gebracht worden
ist, sind durch dieselben eher vermehrt, als vermindert worden. Darüber daß
das Nichtzustandekommen der Conferenz Frankreich mehr denn je isolirc, daß
Preußen und England mit der herausfordernden Haltung, welche man Italien
gegenüber angenommen, nicht sympathistren, kann man im kaiserlichen Cabinet kaum
verschiedener Ansicht sein. Lenkt man zu Gunsten einer Verständigung mit Victor
Emanuel ein, so bedeckt die französische Politik sich mit der Schmach einer In-
consequenz, die sie kaum mehr tragen könnte; läßt man es zum Aeußersten kommen,
so ist ein Bruch mit Italien und Menabrea, dem maßvollsten und conscrvativsien
aller in Florenz möglichen Staatsmänner, unvermeidlich. Die Schärfe, mit welcher
die „Kreuzzeitung" die Wahrscheinlichkeit, ja Nothwendigkeit dieses Bruchs schon
vor acht Tagen hervorgehoben hat, legt uns Schlüsse auf die Aufmerksamkeit
nahe, mit welcher man in Berlin der französisch-italienischen Verwickelung folgt.
Trotz aller Verschiedenheit der hüben und drüben angewandten Mittel läßt sich
einmal nicht leugnen, daß die Einigung Italiens mit der Deutschlands in einem
verhängnißvollen Zusammenhang steht. Dem Grafen Cavour wird bekanntlich
das ahnungsvolle Wort in den Mund gelegt, die Schleswig-holsteinsche Frage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/514>, abgerufen am 27.09.2024.