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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Verträge der Friede über den Krieg vermag. Als vom Fürstenbunde die Rede
war, sagte er: "Wenn der Fürstenbund nichts als die Erhaltung der deutschen
Konstitution zum Zwecke hat, so ist er nicht zu tadeln, und ich sehe nicht,
warum nicht der Kaiser selbst ein Mitglied davon sein könnte; die Konstitution
Deutschlands zu erhalten, ist er ja eben Kaiser." Ueberhaupt hat er von dem.
was wahre Constitution eines Landes ist, sofern solche auf Gesetzen, aus inner¬
licher Ordnung und Beobachtung gegenseitiger Pflichten, auf einem Gleichge¬
wicht der verschiedenen Stände gegen einander beruhet, einen hohen Begriff,
wie er denn auch seinem Lande, das vorher im Grunde keine Constitution
hatte, zuerst eine solche gegeben. Gegen den Despotismus sprach er mit einer
Art Eifer: er redete von ihm als von einer nicht nur ungerechten, sondern
unverständigen Sache. Der Despotismus helfe nichts, sondern bringe alles
in Verwirrung. Gesetze müßten regieren, nicht Willkühr; denn am Ende könne
doch die Willkühr des Fürsten weder die Dinge, wie sie sind, noch ihre
Folgen ändern. Er sprach von einem benachbarten Hofe, der auch in welt¬
lichen und in Regierungssachen infallibel sein wollte, mit einer Art von Ver¬
wunderung, wie man so sein könnte; und er selbst hat sich nicht geschämt,
Gesetze frei zurückzunehmen, sobald sie nicht taugten. Er geht aber auch mit
langsamem Schritt zu wirklich neuen Gesetzen; er versucht die Sache, sobald sie
ihm zweifelhaft scheint, erst durch particuläre Befehle, bis er sich von der
Güte derselben überzeugt hat, da ihn dann auch nichts mehr wankend macht,
oder davon abwendet. Energie scheint mir überhaupt die Basis seines Charak¬
ters zu seyn; Calcul und Ordnung sind die nothwendigen Erfordernisse, seine
Wirksamkeit zu bestimmen und einzuschränken.

Als ich ihm über die letzte ein Kompliment machte, sagte er: "Da loben
Sie mich über etwas, was ich wirklich aus Bequemlichkeit thue, und aus
Noth thun muß. Nichts erspart soviel Zeit, als Ordnung: nichts gibt so
klaren Begriff einer Sache, als der Calcul. Wer beide nicht von selbst lernen
will, den muß sie die Noth lehren." In beiden aber hilft ihm auch ungemein
sein großes Gedächtniß; sowie ich gegenseitig glaube, daß dies sein ungeheueres
Gedächtniß, von dem man mir sonderbare Proben erzählt hat, sich eben auch
durch die Ordnung, die in seinen Geschäften herrscht, durch den immer frischen
Anblick, den er sich Von Personen und Sachen gibt, durch die Erzählungen,
die er sich dabei thun, durch die Nachrichten, die ersieh von individuellen Um¬
ständen sortgesetzt geben läßt, sehr geordnet und gestärkt habe. Daß dabei ganz
der Geist des zu kleinen Details zu vermeiden seyn sollte, läßt sich nicht ver¬
muthen; indessen ist dem Großherzoge dadurch sein kleines Land so übersehbar
geworden, daß ers beinah wie ein Hausvater sein Haus oder Landgut kennet.
In manchen Dingen, versichert man, um die er sich in den ersten Jahren viel¬
leicht zu sehr bekümmerte, hat er einen großen Theil seiner Aufmerksamkeit


Verträge der Friede über den Krieg vermag. Als vom Fürstenbunde die Rede
war, sagte er: „Wenn der Fürstenbund nichts als die Erhaltung der deutschen
Konstitution zum Zwecke hat, so ist er nicht zu tadeln, und ich sehe nicht,
warum nicht der Kaiser selbst ein Mitglied davon sein könnte; die Konstitution
Deutschlands zu erhalten, ist er ja eben Kaiser." Ueberhaupt hat er von dem.
was wahre Constitution eines Landes ist, sofern solche auf Gesetzen, aus inner¬
licher Ordnung und Beobachtung gegenseitiger Pflichten, auf einem Gleichge¬
wicht der verschiedenen Stände gegen einander beruhet, einen hohen Begriff,
wie er denn auch seinem Lande, das vorher im Grunde keine Constitution
hatte, zuerst eine solche gegeben. Gegen den Despotismus sprach er mit einer
Art Eifer: er redete von ihm als von einer nicht nur ungerechten, sondern
unverständigen Sache. Der Despotismus helfe nichts, sondern bringe alles
in Verwirrung. Gesetze müßten regieren, nicht Willkühr; denn am Ende könne
doch die Willkühr des Fürsten weder die Dinge, wie sie sind, noch ihre
Folgen ändern. Er sprach von einem benachbarten Hofe, der auch in welt¬
lichen und in Regierungssachen infallibel sein wollte, mit einer Art von Ver¬
wunderung, wie man so sein könnte; und er selbst hat sich nicht geschämt,
Gesetze frei zurückzunehmen, sobald sie nicht taugten. Er geht aber auch mit
langsamem Schritt zu wirklich neuen Gesetzen; er versucht die Sache, sobald sie
ihm zweifelhaft scheint, erst durch particuläre Befehle, bis er sich von der
Güte derselben überzeugt hat, da ihn dann auch nichts mehr wankend macht,
oder davon abwendet. Energie scheint mir überhaupt die Basis seines Charak¬
ters zu seyn; Calcul und Ordnung sind die nothwendigen Erfordernisse, seine
Wirksamkeit zu bestimmen und einzuschränken.

Als ich ihm über die letzte ein Kompliment machte, sagte er: „Da loben
Sie mich über etwas, was ich wirklich aus Bequemlichkeit thue, und aus
Noth thun muß. Nichts erspart soviel Zeit, als Ordnung: nichts gibt so
klaren Begriff einer Sache, als der Calcul. Wer beide nicht von selbst lernen
will, den muß sie die Noth lehren." In beiden aber hilft ihm auch ungemein
sein großes Gedächtniß; sowie ich gegenseitig glaube, daß dies sein ungeheueres
Gedächtniß, von dem man mir sonderbare Proben erzählt hat, sich eben auch
durch die Ordnung, die in seinen Geschäften herrscht, durch den immer frischen
Anblick, den er sich Von Personen und Sachen gibt, durch die Erzählungen,
die er sich dabei thun, durch die Nachrichten, die ersieh von individuellen Um¬
ständen sortgesetzt geben läßt, sehr geordnet und gestärkt habe. Daß dabei ganz
der Geist des zu kleinen Details zu vermeiden seyn sollte, läßt sich nicht ver¬
muthen; indessen ist dem Großherzoge dadurch sein kleines Land so übersehbar
geworden, daß ers beinah wie ein Hausvater sein Haus oder Landgut kennet.
In manchen Dingen, versichert man, um die er sich in den ersten Jahren viel¬
leicht zu sehr bekümmerte, hat er einen großen Theil seiner Aufmerksamkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/511>, abgerufen am 27.09.2024.