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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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rischen Kreises, als Herzberg, und Kaiser Joseph galt ihnen lange für eine
höhere Jncarnation von Regentenweisheit als Friedrich II.

Von diesem Standpunkt sind politische Urtheile der vornehmen Vertreter
unserer klassischen Literaturcpoche, wie wenig sie uns befriedigen, doch sehr lehr¬
reich. Wir dürfen uns mit Recht rühmen, daß der Nimbus vornehmen Wesens
jetzt weniger imponirt, und daß wir den Phrasen, welche ein erlauchter Herr
in dem Bedürfniß, zu gefallen, etwa ausspricht, kein so großes Gewicht bei¬
legen. Der bisher ungedruckte Brief Herder's welcher im Folgenden mitgetheilt
wird, soll die alte Zeit in diesem Sinne charakterisiren.

Herder hatte bei seinem Aufenthalt in Florenz im Mai 1789 eine längere
Audienz beim Großherzog Leopold, von welcher er dem Herzog Carl August
Bericht erstattete, der bei manchen Stellen wohl verstanden haben wird, was
für ihn zwischen den Zeilen zu lesen sein sollte. Man wird diesen, immerhin
charakteristischen Brief nicht ohne Interesse lesen.

Er ist nicht nur für das Wesen des Schreibenden bezeichnend, auch für
Leopold II. Die Unterredung fand eben acht Monate vor dem Tage statt, an
welchem Leopold als Nachfolger Josephs II. den Kaiserthron bestieg, um den
Staat, welchen sein Bruder zerrüttet und in die gefährlichste Lage gebracht
hatte, durch die Diplomatie einer feinen, sichern und hinterhältigen Natur
wieder zurecht zu rücken. Als der Großherzog die Unterredung mit einem der
Chorführer des damaligen Deutschlands suchte, war der kluge Lothringer sich
wohl bewußt, daß in Deutschland seit einigen Decennien das Völkchen der
Schriftsteller eine Macht geworden sei, die ein Fürst für sich zu gewinnen
Ursache habe. Man erkennt aus dem Briefe, wie sehr ihm dies bei Herder
gelungen ist. Der Text lautet folgendermaßen:

-- -- "Sehr interessante Stunden waren es für mich, da ich nach so
vielem Merkwürdigen, das ich in Florenz gesehen hatte, die Ehre und das
Glück genoß, den Großheczog selbst zu sprechen, ohne daß ich darum angehalten
hatte. Er hatte durch den Grasen Hohenwart von mir gehört, und als er an
einem seiner gewöhnlichen Tage in die Stadt kam, um die Klagen oder Bitten
seiner Unterthanen anzuhören, war ich um 11 Uhr bestellt, da er dann sogleich
mich vor sich ließ und bis fast zwei Uhr sich über eine Menge Dinge mit mir
so gedrängt und lebhaft unterhielt, daß während dieser ganzen Zeit kein leerer
Augenblick sich zwischen einzuschleichen Raum hatte. Das Gespräch betraf fast
mit keinem Worte die Gelehrsamkeit, und noch weniger die gemeinen Triviali-
täten, von denen man mit Reisenden reden zu müssen glaubt, wenn man nichts
bessers weiß: sondern, wenn ich so sagen darf, allgemeine Bedürfnisse der
Menschheit, Anstalten für dieselbe, den Zustand der und jener Nation, Grund¬
sätze dieser oder jener Regierung, mit so manchem, was davon abhängt oder
sich daran bindet. Der Großherzog selbst leitete das Gespräch; er fragte und


rischen Kreises, als Herzberg, und Kaiser Joseph galt ihnen lange für eine
höhere Jncarnation von Regentenweisheit als Friedrich II.

Von diesem Standpunkt sind politische Urtheile der vornehmen Vertreter
unserer klassischen Literaturcpoche, wie wenig sie uns befriedigen, doch sehr lehr¬
reich. Wir dürfen uns mit Recht rühmen, daß der Nimbus vornehmen Wesens
jetzt weniger imponirt, und daß wir den Phrasen, welche ein erlauchter Herr
in dem Bedürfniß, zu gefallen, etwa ausspricht, kein so großes Gewicht bei¬
legen. Der bisher ungedruckte Brief Herder's welcher im Folgenden mitgetheilt
wird, soll die alte Zeit in diesem Sinne charakterisiren.

Herder hatte bei seinem Aufenthalt in Florenz im Mai 1789 eine längere
Audienz beim Großherzog Leopold, von welcher er dem Herzog Carl August
Bericht erstattete, der bei manchen Stellen wohl verstanden haben wird, was
für ihn zwischen den Zeilen zu lesen sein sollte. Man wird diesen, immerhin
charakteristischen Brief nicht ohne Interesse lesen.

Er ist nicht nur für das Wesen des Schreibenden bezeichnend, auch für
Leopold II. Die Unterredung fand eben acht Monate vor dem Tage statt, an
welchem Leopold als Nachfolger Josephs II. den Kaiserthron bestieg, um den
Staat, welchen sein Bruder zerrüttet und in die gefährlichste Lage gebracht
hatte, durch die Diplomatie einer feinen, sichern und hinterhältigen Natur
wieder zurecht zu rücken. Als der Großherzog die Unterredung mit einem der
Chorführer des damaligen Deutschlands suchte, war der kluge Lothringer sich
wohl bewußt, daß in Deutschland seit einigen Decennien das Völkchen der
Schriftsteller eine Macht geworden sei, die ein Fürst für sich zu gewinnen
Ursache habe. Man erkennt aus dem Briefe, wie sehr ihm dies bei Herder
gelungen ist. Der Text lautet folgendermaßen:

— — „Sehr interessante Stunden waren es für mich, da ich nach so
vielem Merkwürdigen, das ich in Florenz gesehen hatte, die Ehre und das
Glück genoß, den Großheczog selbst zu sprechen, ohne daß ich darum angehalten
hatte. Er hatte durch den Grasen Hohenwart von mir gehört, und als er an
einem seiner gewöhnlichen Tage in die Stadt kam, um die Klagen oder Bitten
seiner Unterthanen anzuhören, war ich um 11 Uhr bestellt, da er dann sogleich
mich vor sich ließ und bis fast zwei Uhr sich über eine Menge Dinge mit mir
so gedrängt und lebhaft unterhielt, daß während dieser ganzen Zeit kein leerer
Augenblick sich zwischen einzuschleichen Raum hatte. Das Gespräch betraf fast
mit keinem Worte die Gelehrsamkeit, und noch weniger die gemeinen Triviali-
täten, von denen man mit Reisenden reden zu müssen glaubt, wenn man nichts
bessers weiß: sondern, wenn ich so sagen darf, allgemeine Bedürfnisse der
Menschheit, Anstalten für dieselbe, den Zustand der und jener Nation, Grund¬
sätze dieser oder jener Regierung, mit so manchem, was davon abhängt oder
sich daran bindet. Der Großherzog selbst leitete das Gespräch; er fragte und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/509>, abgerufen am 27.09.2024.