Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Reformbill von vornherein verschoben wurden und alle liberalen Parteien
erklärten, sie wüßten mit dem neuen Wahlgesetz nichts anzufangen, war unter
solchen Umständen begreiflich.

Bevor wir in eine Prüfung des materiellen Inhalts der Vorschläge zur
Lösung der sächsischen Verfassungsfrage eintreten, wird es nothwendig sein, das
Verhältniß derselben zu dem norddeutschen Bunde und dessen Parlament ins
Auge zu fassen. Erst wenn wir wissen, ob auf die Mitwirkung außersächsischer
Faktoren zu rechnen ist oder nicht, werden wir die Grenze des zur Zeit in dieser
Angelegenheit Erreichbaren abzustecken im Stande sein.

An und für sich wäre es wünschenswert!), eine Angelegenheit, welche den
nächst Preußen größten Staat des norddeutschen Bundes betrifft, auf dem
Forum dieses Bundes zu entscheiden. Jener sächsischen Demokratie, welche den
Bund als Feigenblatt des Absolutismus verabscheut, würde die Gelegenheit
geboten werden, sich davon zu überzeugen, daß der deutsche Staat auch ein
Anwalt deutscher Freiheit ist während das kleinstaatliche Interesse mit dieser
nichts zu thun hat. Wie die Dinge zur Zeit liegen, entbehrt die Annahme,
der Bundesrath oder der Reichstag würden sich zu einer Theilnahme an der
Losung des "Conflicts" herbei lassen, aber aller thatsächlichen Begründung. Die
Resolution, durch welche die bekannte mecklenburger Petition abgelehnt wurde,
hat bewiesen, daß die Stunde noch nicht gekommen ist, in welcher der Bund
ein wirksames Eingreifen in die inneren Angelegenheiten seiner Glieder für
geboten hält, daß man sich vor Lösung der süddeutschen Frage darauf beschrän¬
ken will, die deutschen Gesammtangelegenheiten in einer Weise zu ordnen, welche
der Würde unsrer Nation entspricht. Es erscheint uns darum zweifellos, daß die
Motive, welche zur Ablehnung der mecklenburger Petition führten, Sachsen gegen¬
über in erhöhtem Maße zur Geltung kommen müssen, daß eine "motivirte"
oder "unmotivirte" Tagesordnung die einzige Antwort wäre, auf welche wi-
llt Berlin zu rechnen hätten. Der Effekt, den eine solche auf die specifisch
sächsischen Liberalen und Demokraten,ausüben müßte, erräth sich von selbst und
würde der nationalen Sache sicher nicht zu gute kommen. Seine Ungunst
würde auch dann nicht gemindert, wenn sich vielleicht ein Theil der Reichstags¬
glieder der Sache des sächsischen Volkes annimmt, einige Reden über die un¬
glücklichen Folgen des Beustschen Regimes gehalten, vielleicht gar einige das
Volksrecht anerkennende Motive der Resolution auf Tagesordnung beigefügt
werden. Die Bedeutungslosigkeit von Erfolgen dieser Art ist durch die Geschichte
des parlamentarischen Lebens in Deutschland in so zahlreichen Fällen bewiesen
worden, daß es neuer Belege für dieselbe nicht erst bedarf, wenigstens für dieje¬
nigen nicht, denen es bei der Beschäftigung mit öffentlichen Angelegenheiten um
die Erreichung realer Zwecke zu thun ist, Mit den für und wider eine säch¬
sische Petition gehaltenen Reden, den Zeitungsberichten, Leitartikeln, Telegram-


der Reformbill von vornherein verschoben wurden und alle liberalen Parteien
erklärten, sie wüßten mit dem neuen Wahlgesetz nichts anzufangen, war unter
solchen Umständen begreiflich.

Bevor wir in eine Prüfung des materiellen Inhalts der Vorschläge zur
Lösung der sächsischen Verfassungsfrage eintreten, wird es nothwendig sein, das
Verhältniß derselben zu dem norddeutschen Bunde und dessen Parlament ins
Auge zu fassen. Erst wenn wir wissen, ob auf die Mitwirkung außersächsischer
Faktoren zu rechnen ist oder nicht, werden wir die Grenze des zur Zeit in dieser
Angelegenheit Erreichbaren abzustecken im Stande sein.

An und für sich wäre es wünschenswert!), eine Angelegenheit, welche den
nächst Preußen größten Staat des norddeutschen Bundes betrifft, auf dem
Forum dieses Bundes zu entscheiden. Jener sächsischen Demokratie, welche den
Bund als Feigenblatt des Absolutismus verabscheut, würde die Gelegenheit
geboten werden, sich davon zu überzeugen, daß der deutsche Staat auch ein
Anwalt deutscher Freiheit ist während das kleinstaatliche Interesse mit dieser
nichts zu thun hat. Wie die Dinge zur Zeit liegen, entbehrt die Annahme,
der Bundesrath oder der Reichstag würden sich zu einer Theilnahme an der
Losung des „Conflicts" herbei lassen, aber aller thatsächlichen Begründung. Die
Resolution, durch welche die bekannte mecklenburger Petition abgelehnt wurde,
hat bewiesen, daß die Stunde noch nicht gekommen ist, in welcher der Bund
ein wirksames Eingreifen in die inneren Angelegenheiten seiner Glieder für
geboten hält, daß man sich vor Lösung der süddeutschen Frage darauf beschrän¬
ken will, die deutschen Gesammtangelegenheiten in einer Weise zu ordnen, welche
der Würde unsrer Nation entspricht. Es erscheint uns darum zweifellos, daß die
Motive, welche zur Ablehnung der mecklenburger Petition führten, Sachsen gegen¬
über in erhöhtem Maße zur Geltung kommen müssen, daß eine „motivirte"
oder „unmotivirte" Tagesordnung die einzige Antwort wäre, auf welche wi-
llt Berlin zu rechnen hätten. Der Effekt, den eine solche auf die specifisch
sächsischen Liberalen und Demokraten,ausüben müßte, erräth sich von selbst und
würde der nationalen Sache sicher nicht zu gute kommen. Seine Ungunst
würde auch dann nicht gemindert, wenn sich vielleicht ein Theil der Reichstags¬
glieder der Sache des sächsischen Volkes annimmt, einige Reden über die un¬
glücklichen Folgen des Beustschen Regimes gehalten, vielleicht gar einige das
Volksrecht anerkennende Motive der Resolution auf Tagesordnung beigefügt
werden. Die Bedeutungslosigkeit von Erfolgen dieser Art ist durch die Geschichte
des parlamentarischen Lebens in Deutschland in so zahlreichen Fällen bewiesen
worden, daß es neuer Belege für dieselbe nicht erst bedarf, wenigstens für dieje¬
nigen nicht, denen es bei der Beschäftigung mit öffentlichen Angelegenheiten um
die Erreichung realer Zwecke zu thun ist, Mit den für und wider eine säch¬
sische Petition gehaltenen Reden, den Zeitungsberichten, Leitartikeln, Telegram-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192245"/>
          <p xml:id="ID_1336" prev="#ID_1335"> der Reformbill von vornherein verschoben wurden und alle liberalen Parteien<lb/>
erklärten, sie wüßten mit dem neuen Wahlgesetz nichts anzufangen, war unter<lb/>
solchen Umständen begreiflich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1337"> Bevor wir in eine Prüfung des materiellen Inhalts der Vorschläge zur<lb/>
Lösung der sächsischen Verfassungsfrage eintreten, wird es nothwendig sein, das<lb/>
Verhältniß derselben zu dem norddeutschen Bunde und dessen Parlament ins<lb/>
Auge zu fassen. Erst wenn wir wissen, ob auf die Mitwirkung außersächsischer<lb/>
Faktoren zu rechnen ist oder nicht, werden wir die Grenze des zur Zeit in dieser<lb/>
Angelegenheit Erreichbaren abzustecken im Stande sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1338" next="#ID_1339"> An und für sich wäre es wünschenswert!), eine Angelegenheit, welche den<lb/>
nächst Preußen größten Staat des norddeutschen Bundes betrifft, auf dem<lb/>
Forum dieses Bundes zu entscheiden. Jener sächsischen Demokratie, welche den<lb/>
Bund als Feigenblatt des Absolutismus verabscheut, würde die Gelegenheit<lb/>
geboten werden, sich davon zu überzeugen, daß der deutsche Staat auch ein<lb/>
Anwalt deutscher Freiheit ist während das kleinstaatliche Interesse mit dieser<lb/>
nichts zu thun hat. Wie die Dinge zur Zeit liegen, entbehrt die Annahme,<lb/>
der Bundesrath oder der Reichstag würden sich zu einer Theilnahme an der<lb/>
Losung des &#x201E;Conflicts" herbei lassen, aber aller thatsächlichen Begründung. Die<lb/>
Resolution, durch welche die bekannte mecklenburger Petition abgelehnt wurde,<lb/>
hat bewiesen, daß die Stunde noch nicht gekommen ist, in welcher der Bund<lb/>
ein wirksames Eingreifen in die inneren Angelegenheiten seiner Glieder für<lb/>
geboten hält, daß man sich vor Lösung der süddeutschen Frage darauf beschrän¬<lb/>
ken will, die deutschen Gesammtangelegenheiten in einer Weise zu ordnen, welche<lb/>
der Würde unsrer Nation entspricht. Es erscheint uns darum zweifellos, daß die<lb/>
Motive, welche zur Ablehnung der mecklenburger Petition führten, Sachsen gegen¬<lb/>
über in erhöhtem Maße zur Geltung kommen müssen, daß eine &#x201E;motivirte"<lb/>
oder &#x201E;unmotivirte" Tagesordnung die einzige Antwort wäre, auf welche wi-<lb/>
llt Berlin zu rechnen hätten. Der Effekt, den eine solche auf die specifisch<lb/>
sächsischen Liberalen und Demokraten,ausüben müßte, erräth sich von selbst und<lb/>
würde der nationalen Sache sicher nicht zu gute kommen. Seine Ungunst<lb/>
würde auch dann nicht gemindert, wenn sich vielleicht ein Theil der Reichstags¬<lb/>
glieder der Sache des sächsischen Volkes annimmt, einige Reden über die un¬<lb/>
glücklichen Folgen des Beustschen Regimes gehalten, vielleicht gar einige das<lb/>
Volksrecht anerkennende Motive der Resolution auf Tagesordnung beigefügt<lb/>
werden. Die Bedeutungslosigkeit von Erfolgen dieser Art ist durch die Geschichte<lb/>
des parlamentarischen Lebens in Deutschland in so zahlreichen Fällen bewiesen<lb/>
worden, daß es neuer Belege für dieselbe nicht erst bedarf, wenigstens für dieje¬<lb/>
nigen nicht, denen es bei der Beschäftigung mit öffentlichen Angelegenheiten um<lb/>
die Erreichung realer Zwecke zu thun ist, Mit den für und wider eine säch¬<lb/>
sische Petition gehaltenen Reden, den Zeitungsberichten, Leitartikeln, Telegram-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0484] der Reformbill von vornherein verschoben wurden und alle liberalen Parteien erklärten, sie wüßten mit dem neuen Wahlgesetz nichts anzufangen, war unter solchen Umständen begreiflich. Bevor wir in eine Prüfung des materiellen Inhalts der Vorschläge zur Lösung der sächsischen Verfassungsfrage eintreten, wird es nothwendig sein, das Verhältniß derselben zu dem norddeutschen Bunde und dessen Parlament ins Auge zu fassen. Erst wenn wir wissen, ob auf die Mitwirkung außersächsischer Faktoren zu rechnen ist oder nicht, werden wir die Grenze des zur Zeit in dieser Angelegenheit Erreichbaren abzustecken im Stande sein. An und für sich wäre es wünschenswert!), eine Angelegenheit, welche den nächst Preußen größten Staat des norddeutschen Bundes betrifft, auf dem Forum dieses Bundes zu entscheiden. Jener sächsischen Demokratie, welche den Bund als Feigenblatt des Absolutismus verabscheut, würde die Gelegenheit geboten werden, sich davon zu überzeugen, daß der deutsche Staat auch ein Anwalt deutscher Freiheit ist während das kleinstaatliche Interesse mit dieser nichts zu thun hat. Wie die Dinge zur Zeit liegen, entbehrt die Annahme, der Bundesrath oder der Reichstag würden sich zu einer Theilnahme an der Losung des „Conflicts" herbei lassen, aber aller thatsächlichen Begründung. Die Resolution, durch welche die bekannte mecklenburger Petition abgelehnt wurde, hat bewiesen, daß die Stunde noch nicht gekommen ist, in welcher der Bund ein wirksames Eingreifen in die inneren Angelegenheiten seiner Glieder für geboten hält, daß man sich vor Lösung der süddeutschen Frage darauf beschrän¬ ken will, die deutschen Gesammtangelegenheiten in einer Weise zu ordnen, welche der Würde unsrer Nation entspricht. Es erscheint uns darum zweifellos, daß die Motive, welche zur Ablehnung der mecklenburger Petition führten, Sachsen gegen¬ über in erhöhtem Maße zur Geltung kommen müssen, daß eine „motivirte" oder „unmotivirte" Tagesordnung die einzige Antwort wäre, auf welche wi- llt Berlin zu rechnen hätten. Der Effekt, den eine solche auf die specifisch sächsischen Liberalen und Demokraten,ausüben müßte, erräth sich von selbst und würde der nationalen Sache sicher nicht zu gute kommen. Seine Ungunst würde auch dann nicht gemindert, wenn sich vielleicht ein Theil der Reichstags¬ glieder der Sache des sächsischen Volkes annimmt, einige Reden über die un¬ glücklichen Folgen des Beustschen Regimes gehalten, vielleicht gar einige das Volksrecht anerkennende Motive der Resolution auf Tagesordnung beigefügt werden. Die Bedeutungslosigkeit von Erfolgen dieser Art ist durch die Geschichte des parlamentarischen Lebens in Deutschland in so zahlreichen Fällen bewiesen worden, daß es neuer Belege für dieselbe nicht erst bedarf, wenigstens für dieje¬ nigen nicht, denen es bei der Beschäftigung mit öffentlichen Angelegenheiten um die Erreichung realer Zwecke zu thun ist, Mit den für und wider eine säch¬ sische Petition gehaltenen Reden, den Zeitungsberichten, Leitartikeln, Telegram-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/484
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/484>, abgerufen am 27.09.2024.