Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Wunde verbanden wir mit Lappen und Lumpen, damit die Blutstropfen
nicht unsere Spur verrathen sollten und schleppten Lamachus mit uns fort.
Wir mußten uns aber trotz der drängenden Gefahr nach ihm aufhalten, und
da er nirgends sicher bleiben und auch nicht so rasch mit fortkommen konnte,
beschwor uns der großartige Mann mit wahrhaftem Heldenmuth bei dem Ver¬
brüderungseid, einen tapferen Kameraden von seiner Qual und der Aussicht
auf Gefangenschaft zu befreien; ohne die Hand, mit der er zu morden und zu
plündern gewohnt sei, könne ein braver Räuber nicht leben, er sei zufrieden,
wenn er freiwillig von der Hand eines Freundes falle. Da er zu dem grau¬
samen Freundschaftsdienst niemand bereden konnte, nahm er sein Schwert in
die Linke, küßte es und stieß es sich selbst in die Brust. Voll Verehrung für
unsern kühnen Anführer hüllten wir die Leiche in Leinentücher und versenkten
sie ins Meer -- das ist nun die unermeßliche Gruft des großen Lamachus. der
ein seiner Thaten würdiges Ende fand.

Der unglückliche Ausgang dieses Unternehmens konnte den Alcimus nicht
von neuen Einbrüchen abhalten. Er war in das Haus einer reichen Alten ge¬
drungen und in ihr Schlafzimmer im oberen Stock gekommen. Anstatt nun
die Alte im Schlafe sofort zu ersticken, wie er gemußt hätte, fing er gleich an,
uns, die wir draußen warteten, alle Sachen durch das breite Fenster hinunter
zu werfen. Als er alles ausgeräumt hatte und sich noch an das Bett der
Alten machen wollte, der er die Decke wegzog um sie hinunterzuwerfen, fällt
die nichtswürdige Creatur ihm zu Füßen und ruft: "Warum willst du mein
bischen Lumpenkram meinem steinreichen Nachbar schenken, mein Sohn, auf
dessen Hos dieses Fenster hinausgeht?" Alcimus läßt sich dadurch täuschen und
geräth in Besorgniß, daß das, was er uns zugeworfen zu haben glaubte,
in ein fremdes Gehöft gekommen sei. Aus Vorsicht, um sich alles anzusehen
und die Verhältnisse des benachbarten Hauses zu schätzen, lehnt er sich aus dem
Fenster, und wie das alte Scheusal sieht, daß er sich unvorsichtiger Weise
weit vorbeugt, gibt sie ihm einen Stoß, der, wenn auch schwach, weil er
plötzlich und unerwartet kam, ihn aus dem Gleichgewicht brachte und, während
er nichts ahnend sich umsah, herunterstürzte. Unglücklicherweise fiel er von der
Höhe herunter auf einen großen Stein und zerbrach sich die Rippen. Unter
Strömen von Blut konnte er uns nur noch erzählen, was vorgegangen war
und wurde bald von seinen Leiden erlöst. Auch diesen schafften wir ans Meer
und versenkten ihn als Geleitsmann für unseren Lamachus.

Nach diesem doppelten Verlust gaben wir es auf, in Theben weitere Ver¬
suche zu machen und zogen uns ins benachbarte Platäci. Da sprach alles
von Demochares, der ein Gladiatorenspiel geben wollte. Er war ein
Mann von guter Herkunft, großem Vermögen und durch seine Freigebigkeit
bekannt, der auch die öffentlichen Lustbarkeiten mit einem seines Reichthums


die Wunde verbanden wir mit Lappen und Lumpen, damit die Blutstropfen
nicht unsere Spur verrathen sollten und schleppten Lamachus mit uns fort.
Wir mußten uns aber trotz der drängenden Gefahr nach ihm aufhalten, und
da er nirgends sicher bleiben und auch nicht so rasch mit fortkommen konnte,
beschwor uns der großartige Mann mit wahrhaftem Heldenmuth bei dem Ver¬
brüderungseid, einen tapferen Kameraden von seiner Qual und der Aussicht
auf Gefangenschaft zu befreien; ohne die Hand, mit der er zu morden und zu
plündern gewohnt sei, könne ein braver Räuber nicht leben, er sei zufrieden,
wenn er freiwillig von der Hand eines Freundes falle. Da er zu dem grau¬
samen Freundschaftsdienst niemand bereden konnte, nahm er sein Schwert in
die Linke, küßte es und stieß es sich selbst in die Brust. Voll Verehrung für
unsern kühnen Anführer hüllten wir die Leiche in Leinentücher und versenkten
sie ins Meer — das ist nun die unermeßliche Gruft des großen Lamachus. der
ein seiner Thaten würdiges Ende fand.

Der unglückliche Ausgang dieses Unternehmens konnte den Alcimus nicht
von neuen Einbrüchen abhalten. Er war in das Haus einer reichen Alten ge¬
drungen und in ihr Schlafzimmer im oberen Stock gekommen. Anstatt nun
die Alte im Schlafe sofort zu ersticken, wie er gemußt hätte, fing er gleich an,
uns, die wir draußen warteten, alle Sachen durch das breite Fenster hinunter
zu werfen. Als er alles ausgeräumt hatte und sich noch an das Bett der
Alten machen wollte, der er die Decke wegzog um sie hinunterzuwerfen, fällt
die nichtswürdige Creatur ihm zu Füßen und ruft: „Warum willst du mein
bischen Lumpenkram meinem steinreichen Nachbar schenken, mein Sohn, auf
dessen Hos dieses Fenster hinausgeht?" Alcimus läßt sich dadurch täuschen und
geräth in Besorgniß, daß das, was er uns zugeworfen zu haben glaubte,
in ein fremdes Gehöft gekommen sei. Aus Vorsicht, um sich alles anzusehen
und die Verhältnisse des benachbarten Hauses zu schätzen, lehnt er sich aus dem
Fenster, und wie das alte Scheusal sieht, daß er sich unvorsichtiger Weise
weit vorbeugt, gibt sie ihm einen Stoß, der, wenn auch schwach, weil er
plötzlich und unerwartet kam, ihn aus dem Gleichgewicht brachte und, während
er nichts ahnend sich umsah, herunterstürzte. Unglücklicherweise fiel er von der
Höhe herunter auf einen großen Stein und zerbrach sich die Rippen. Unter
Strömen von Blut konnte er uns nur noch erzählen, was vorgegangen war
und wurde bald von seinen Leiden erlöst. Auch diesen schafften wir ans Meer
und versenkten ihn als Geleitsmann für unseren Lamachus.

Nach diesem doppelten Verlust gaben wir es auf, in Theben weitere Ver¬
suche zu machen und zogen uns ins benachbarte Platäci. Da sprach alles
von Demochares, der ein Gladiatorenspiel geben wollte. Er war ein
Mann von guter Herkunft, großem Vermögen und durch seine Freigebigkeit
bekannt, der auch die öffentlichen Lustbarkeiten mit einem seines Reichthums


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192221"/>
            <p xml:id="ID_1282" prev="#ID_1281"> die Wunde verbanden wir mit Lappen und Lumpen, damit die Blutstropfen<lb/>
nicht unsere Spur verrathen sollten und schleppten Lamachus mit uns fort.<lb/>
Wir mußten uns aber trotz der drängenden Gefahr nach ihm aufhalten, und<lb/>
da er nirgends sicher bleiben und auch nicht so rasch mit fortkommen konnte,<lb/>
beschwor uns der großartige Mann mit wahrhaftem Heldenmuth bei dem Ver¬<lb/>
brüderungseid, einen tapferen Kameraden von seiner Qual und der Aussicht<lb/>
auf Gefangenschaft zu befreien; ohne die Hand, mit der er zu morden und zu<lb/>
plündern gewohnt sei, könne ein braver Räuber nicht leben, er sei zufrieden,<lb/>
wenn er freiwillig von der Hand eines Freundes falle. Da er zu dem grau¬<lb/>
samen Freundschaftsdienst niemand bereden konnte, nahm er sein Schwert in<lb/>
die Linke, küßte es und stieß es sich selbst in die Brust. Voll Verehrung für<lb/>
unsern kühnen Anführer hüllten wir die Leiche in Leinentücher und versenkten<lb/>
sie ins Meer &#x2014; das ist nun die unermeßliche Gruft des großen Lamachus. der<lb/>
ein seiner Thaten würdiges Ende fand.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1283"> Der unglückliche Ausgang dieses Unternehmens konnte den Alcimus nicht<lb/>
von neuen Einbrüchen abhalten. Er war in das Haus einer reichen Alten ge¬<lb/>
drungen und in ihr Schlafzimmer im oberen Stock gekommen. Anstatt nun<lb/>
die Alte im Schlafe sofort zu ersticken, wie er gemußt hätte, fing er gleich an,<lb/>
uns, die wir draußen warteten, alle Sachen durch das breite Fenster hinunter<lb/>
zu werfen. Als er alles ausgeräumt hatte und sich noch an das Bett der<lb/>
Alten machen wollte, der er die Decke wegzog um sie hinunterzuwerfen, fällt<lb/>
die nichtswürdige Creatur ihm zu Füßen und ruft: &#x201E;Warum willst du mein<lb/>
bischen Lumpenkram meinem steinreichen Nachbar schenken, mein Sohn, auf<lb/>
dessen Hos dieses Fenster hinausgeht?" Alcimus läßt sich dadurch täuschen und<lb/>
geräth in Besorgniß, daß das, was er uns zugeworfen zu haben glaubte,<lb/>
in ein fremdes Gehöft gekommen sei. Aus Vorsicht, um sich alles anzusehen<lb/>
und die Verhältnisse des benachbarten Hauses zu schätzen, lehnt er sich aus dem<lb/>
Fenster, und wie das alte Scheusal sieht, daß er sich unvorsichtiger Weise<lb/>
weit vorbeugt, gibt sie ihm einen Stoß, der, wenn auch schwach, weil er<lb/>
plötzlich und unerwartet kam, ihn aus dem Gleichgewicht brachte und, während<lb/>
er nichts ahnend sich umsah, herunterstürzte. Unglücklicherweise fiel er von der<lb/>
Höhe herunter auf einen großen Stein und zerbrach sich die Rippen. Unter<lb/>
Strömen von Blut konnte er uns nur noch erzählen, was vorgegangen war<lb/>
und wurde bald von seinen Leiden erlöst. Auch diesen schafften wir ans Meer<lb/>
und versenkten ihn als Geleitsmann für unseren Lamachus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1284" next="#ID_1285"> Nach diesem doppelten Verlust gaben wir es auf, in Theben weitere Ver¬<lb/>
suche zu machen und zogen uns ins benachbarte Platäci. Da sprach alles<lb/>
von Demochares, der ein Gladiatorenspiel geben wollte. Er war ein<lb/>
Mann von guter Herkunft, großem Vermögen und durch seine Freigebigkeit<lb/>
bekannt, der auch die öffentlichen Lustbarkeiten mit einem seines Reichthums</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0460] die Wunde verbanden wir mit Lappen und Lumpen, damit die Blutstropfen nicht unsere Spur verrathen sollten und schleppten Lamachus mit uns fort. Wir mußten uns aber trotz der drängenden Gefahr nach ihm aufhalten, und da er nirgends sicher bleiben und auch nicht so rasch mit fortkommen konnte, beschwor uns der großartige Mann mit wahrhaftem Heldenmuth bei dem Ver¬ brüderungseid, einen tapferen Kameraden von seiner Qual und der Aussicht auf Gefangenschaft zu befreien; ohne die Hand, mit der er zu morden und zu plündern gewohnt sei, könne ein braver Räuber nicht leben, er sei zufrieden, wenn er freiwillig von der Hand eines Freundes falle. Da er zu dem grau¬ samen Freundschaftsdienst niemand bereden konnte, nahm er sein Schwert in die Linke, küßte es und stieß es sich selbst in die Brust. Voll Verehrung für unsern kühnen Anführer hüllten wir die Leiche in Leinentücher und versenkten sie ins Meer — das ist nun die unermeßliche Gruft des großen Lamachus. der ein seiner Thaten würdiges Ende fand. Der unglückliche Ausgang dieses Unternehmens konnte den Alcimus nicht von neuen Einbrüchen abhalten. Er war in das Haus einer reichen Alten ge¬ drungen und in ihr Schlafzimmer im oberen Stock gekommen. Anstatt nun die Alte im Schlafe sofort zu ersticken, wie er gemußt hätte, fing er gleich an, uns, die wir draußen warteten, alle Sachen durch das breite Fenster hinunter zu werfen. Als er alles ausgeräumt hatte und sich noch an das Bett der Alten machen wollte, der er die Decke wegzog um sie hinunterzuwerfen, fällt die nichtswürdige Creatur ihm zu Füßen und ruft: „Warum willst du mein bischen Lumpenkram meinem steinreichen Nachbar schenken, mein Sohn, auf dessen Hos dieses Fenster hinausgeht?" Alcimus läßt sich dadurch täuschen und geräth in Besorgniß, daß das, was er uns zugeworfen zu haben glaubte, in ein fremdes Gehöft gekommen sei. Aus Vorsicht, um sich alles anzusehen und die Verhältnisse des benachbarten Hauses zu schätzen, lehnt er sich aus dem Fenster, und wie das alte Scheusal sieht, daß er sich unvorsichtiger Weise weit vorbeugt, gibt sie ihm einen Stoß, der, wenn auch schwach, weil er plötzlich und unerwartet kam, ihn aus dem Gleichgewicht brachte und, während er nichts ahnend sich umsah, herunterstürzte. Unglücklicherweise fiel er von der Höhe herunter auf einen großen Stein und zerbrach sich die Rippen. Unter Strömen von Blut konnte er uns nur noch erzählen, was vorgegangen war und wurde bald von seinen Leiden erlöst. Auch diesen schafften wir ans Meer und versenkten ihn als Geleitsmann für unseren Lamachus. Nach diesem doppelten Verlust gaben wir es auf, in Theben weitere Ver¬ suche zu machen und zogen uns ins benachbarte Platäci. Da sprach alles von Demochares, der ein Gladiatorenspiel geben wollte. Er war ein Mann von guter Herkunft, großem Vermögen und durch seine Freigebigkeit bekannt, der auch die öffentlichen Lustbarkeiten mit einem seines Reichthums

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/460
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/460>, abgerufen am 27.09.2024.