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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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einer rechtlich anerkannten Thatsache geworden. Nach den neuesten Nachrichten
aus dem Kaiserstaat sind seit dem Rücktritt des k. k. Botschafters in Rom,
Freiherrn von Hübner auch die Verhandlungen über Umgestaltung des Concor-
dats im Gange und ist die Aussicht auf eine Verständigung bezüglich desselben
beträchtlich größer geworden. Es liegt ziemlich nahe, die Erfolge, welche Herr
v. Beust in Sachen Ungarns und gegen die Agitation der Bischöfe neuerdings
erfochten hat, mit der gesteigerten diplomatischen Thätigkeit des Reichskanzlers
in Beziehung zu setzen. Die Kaiserreise nach Paris, der Besuch, den der lei.
tende Staatsmann in London gemacht hat, das Circular über die Harmonie
französischer und österreichischer Anschauungen in allen schwebenden Fragen, die --
wie es heißt -- bedingungslose Annahme der Einladung zur Konferenz. --alles läßt
darauf schließen, daß Herr v. Beust den Zeitpunkt zur Aufnahme einer politischen
Thätigkeit im großen Stil für geeignet hält. Daß man zu Wien selbst anderer
Ansicht ist und die Arbeit an der Heilung der schweren innern Schäden des
Kaiserreichs durch keinerlei diplomatische Diversionen zu stören wünscht, soll
dem Kanzler von den Führern der liberalen Partei des Reichstags ziemlich
unzweideutig gesagt worden sein. Und mit Recht, denn die Gefahr internatio¬
naler Conflikte ist für den Staat ohnehin da. Die Fragen der großen
Politik, an denen der Thätigkeitsdrang des Freiherrn sein Geschick üben kann,
werden für Oestreich nicht aus Westen, sondern aus Osten kommen; das Feuer
M Orient -- 6teiAiresi I", lumiörs et i-g>IIum<z? Is den, -- brennt unaufhalt¬
sam weiter und wird um so gefährlicher, als es nicht in hellen Flammen aus¬
schlägt, sondern seine Arbeit fast unbemerkt thut und dadurch allen Feuerlärm
verhindert. -- Zur Zeit ist von der orientalischen Frage und von den Slaven
Oestreichs und der Türkei in Nußland allerdings nicht häusig die Rede. Im
Mittelpunkt der russischen Interessen steht die Revision des Zolltarifs; wäh¬
rend im übrigen Europa der Stand der Industriellen und Kaufleute der Bahn¬
brecher des Freihandclssystcm geworden ist. bemüht sich der mit der Industrie iden¬
tisch gewordene Protektionismus hier im Bunde mit der Nationalpartei und
der Mehrzahl aller unabhängigen Organe der Presse, die Regierung von jeder
Herabsetzung der Zollfuhr abzuschrecken und das bisherige Absperrungssystem
ZU verewigen. Neben der Verhandlung über die Tarifrevision werden der Ver¬
ruf der Nikolaibahn und die Concessionirung neuer südrussischer Bahnen eifrig
^trieben; gleichzeitig wird in Polen der alte Kalender und für die Staatsbehörden
der Ostseeprovinzen die russische Sprache eingeführt. Es bedarf aber nur einer
regelmäßigen Lektüre derjenigen russischen Journale, welche den leitenden Kreisen
nahe stehen und die russische öffentliche Meinung beherrschen, um zu wissen,
baß die Blicke der nordischen Großmacht und ihres Volks nichts destoweniger
und unausgesetzt auf den Bosporus gerichtet sind, daß man in Moskau und
Petersburg besser als sonst irgendwo über die Vorgänge auf Kreta und am


^'r"n,boten IV. 18K7.

einer rechtlich anerkannten Thatsache geworden. Nach den neuesten Nachrichten
aus dem Kaiserstaat sind seit dem Rücktritt des k. k. Botschafters in Rom,
Freiherrn von Hübner auch die Verhandlungen über Umgestaltung des Concor-
dats im Gange und ist die Aussicht auf eine Verständigung bezüglich desselben
beträchtlich größer geworden. Es liegt ziemlich nahe, die Erfolge, welche Herr
v. Beust in Sachen Ungarns und gegen die Agitation der Bischöfe neuerdings
erfochten hat, mit der gesteigerten diplomatischen Thätigkeit des Reichskanzlers
in Beziehung zu setzen. Die Kaiserreise nach Paris, der Besuch, den der lei.
tende Staatsmann in London gemacht hat, das Circular über die Harmonie
französischer und österreichischer Anschauungen in allen schwebenden Fragen, die —
wie es heißt — bedingungslose Annahme der Einladung zur Konferenz. —alles läßt
darauf schließen, daß Herr v. Beust den Zeitpunkt zur Aufnahme einer politischen
Thätigkeit im großen Stil für geeignet hält. Daß man zu Wien selbst anderer
Ansicht ist und die Arbeit an der Heilung der schweren innern Schäden des
Kaiserreichs durch keinerlei diplomatische Diversionen zu stören wünscht, soll
dem Kanzler von den Führern der liberalen Partei des Reichstags ziemlich
unzweideutig gesagt worden sein. Und mit Recht, denn die Gefahr internatio¬
naler Conflikte ist für den Staat ohnehin da. Die Fragen der großen
Politik, an denen der Thätigkeitsdrang des Freiherrn sein Geschick üben kann,
werden für Oestreich nicht aus Westen, sondern aus Osten kommen; das Feuer
M Orient — 6teiAiresi I», lumiörs et i-g>IIum<z? Is den, — brennt unaufhalt¬
sam weiter und wird um so gefährlicher, als es nicht in hellen Flammen aus¬
schlägt, sondern seine Arbeit fast unbemerkt thut und dadurch allen Feuerlärm
verhindert. — Zur Zeit ist von der orientalischen Frage und von den Slaven
Oestreichs und der Türkei in Nußland allerdings nicht häusig die Rede. Im
Mittelpunkt der russischen Interessen steht die Revision des Zolltarifs; wäh¬
rend im übrigen Europa der Stand der Industriellen und Kaufleute der Bahn¬
brecher des Freihandclssystcm geworden ist. bemüht sich der mit der Industrie iden¬
tisch gewordene Protektionismus hier im Bunde mit der Nationalpartei und
der Mehrzahl aller unabhängigen Organe der Presse, die Regierung von jeder
Herabsetzung der Zollfuhr abzuschrecken und das bisherige Absperrungssystem
ZU verewigen. Neben der Verhandlung über die Tarifrevision werden der Ver¬
ruf der Nikolaibahn und die Concessionirung neuer südrussischer Bahnen eifrig
^trieben; gleichzeitig wird in Polen der alte Kalender und für die Staatsbehörden
der Ostseeprovinzen die russische Sprache eingeführt. Es bedarf aber nur einer
regelmäßigen Lektüre derjenigen russischen Journale, welche den leitenden Kreisen
nahe stehen und die russische öffentliche Meinung beherrschen, um zu wissen,
baß die Blicke der nordischen Großmacht und ihres Volks nichts destoweniger
und unausgesetzt auf den Bosporus gerichtet sind, daß man in Moskau und
Petersburg besser als sonst irgendwo über die Vorgänge auf Kreta und am


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[0401] einer rechtlich anerkannten Thatsache geworden. Nach den neuesten Nachrichten aus dem Kaiserstaat sind seit dem Rücktritt des k. k. Botschafters in Rom, Freiherrn von Hübner auch die Verhandlungen über Umgestaltung des Concor- dats im Gange und ist die Aussicht auf eine Verständigung bezüglich desselben beträchtlich größer geworden. Es liegt ziemlich nahe, die Erfolge, welche Herr v. Beust in Sachen Ungarns und gegen die Agitation der Bischöfe neuerdings erfochten hat, mit der gesteigerten diplomatischen Thätigkeit des Reichskanzlers in Beziehung zu setzen. Die Kaiserreise nach Paris, der Besuch, den der lei. tende Staatsmann in London gemacht hat, das Circular über die Harmonie französischer und österreichischer Anschauungen in allen schwebenden Fragen, die — wie es heißt — bedingungslose Annahme der Einladung zur Konferenz. —alles läßt darauf schließen, daß Herr v. Beust den Zeitpunkt zur Aufnahme einer politischen Thätigkeit im großen Stil für geeignet hält. Daß man zu Wien selbst anderer Ansicht ist und die Arbeit an der Heilung der schweren innern Schäden des Kaiserreichs durch keinerlei diplomatische Diversionen zu stören wünscht, soll dem Kanzler von den Führern der liberalen Partei des Reichstags ziemlich unzweideutig gesagt worden sein. Und mit Recht, denn die Gefahr internatio¬ naler Conflikte ist für den Staat ohnehin da. Die Fragen der großen Politik, an denen der Thätigkeitsdrang des Freiherrn sein Geschick üben kann, werden für Oestreich nicht aus Westen, sondern aus Osten kommen; das Feuer M Orient — 6teiAiresi I», lumiörs et i-g>IIum<z? Is den, — brennt unaufhalt¬ sam weiter und wird um so gefährlicher, als es nicht in hellen Flammen aus¬ schlägt, sondern seine Arbeit fast unbemerkt thut und dadurch allen Feuerlärm verhindert. — Zur Zeit ist von der orientalischen Frage und von den Slaven Oestreichs und der Türkei in Nußland allerdings nicht häusig die Rede. Im Mittelpunkt der russischen Interessen steht die Revision des Zolltarifs; wäh¬ rend im übrigen Europa der Stand der Industriellen und Kaufleute der Bahn¬ brecher des Freihandclssystcm geworden ist. bemüht sich der mit der Industrie iden¬ tisch gewordene Protektionismus hier im Bunde mit der Nationalpartei und der Mehrzahl aller unabhängigen Organe der Presse, die Regierung von jeder Herabsetzung der Zollfuhr abzuschrecken und das bisherige Absperrungssystem ZU verewigen. Neben der Verhandlung über die Tarifrevision werden der Ver¬ ruf der Nikolaibahn und die Concessionirung neuer südrussischer Bahnen eifrig ^trieben; gleichzeitig wird in Polen der alte Kalender und für die Staatsbehörden der Ostseeprovinzen die russische Sprache eingeführt. Es bedarf aber nur einer regelmäßigen Lektüre derjenigen russischen Journale, welche den leitenden Kreisen nahe stehen und die russische öffentliche Meinung beherrschen, um zu wissen, baß die Blicke der nordischen Großmacht und ihres Volks nichts destoweniger und unausgesetzt auf den Bosporus gerichtet sind, daß man in Moskau und Petersburg besser als sonst irgendwo über die Vorgänge auf Kreta und am ^'r«n,boten IV. 18K7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/401>, abgerufen am 27.09.2024.