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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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land und Rußland schon gegenwärtig kein Hehl machen, kann dadurch, daß
dem europäischen Areopag a, priori jedes Recht zu definitiven Entscheidungen
abgesprochen wird, nur verstärkt werden. Es ist charakteristisch genug, daß
diejenigen Mächte, welche sich stark und gesund fühlen, keine Neigung spüren,
an der Einmischung in fremde Händel Theil zu nehmen, während die schwa-
chen und die in ihrer gegenwärtigen Form der Existenz bedrohten Staaten,
Oestreich an der Spitze, nicht abgeneigt sind, eine diplomatische Diversion im
Stil der Nestauratwnszeit zu unternehmen und dem französischen Bedürfniß
nach Ableitung der Volksaufmerksamkeit von inneren Fragen Vorschub zu leisten.

Parallel mit der römisch-italienischen Verwickelung und dem Zusammentritt
der französischen Kammern ist die Abwicklung der süddeutschen Zoll- und Atli'
anne-Angelegenheit und die Einberufung der neugewählten preußischen Volts-
Vertretung gelaufen. Preußen hatte nur nöthig gehabt, einen Augeyvlick mit
seiner Drohung, den Zollverband für den Fall der Ablehnung seiner Vorschläge
zu sprengen und die Widerstandslust, zu welcher sich bayrische Pairs und
schwäbische Commons gegenseitig ermuthigt hatten, war gebrochen. Daß in
Südd/utschland mindestens die Regierungen etwas von der Verlegenheit gelernt
haben, in welche sie durch ihre zweideutige Haltung gerathen waren, das hat
sich neuerdings in Sachen des französischen Congreßvorschlages gezeigt; sie
haben sich (Darmstadt allein ausgenommen) mit größeren und geringeren Mo-
dificationen der Haltung Preußens angeschlossen und werden der pariser Ein¬
ladung sicher nur Folge leisten, wenn man ihnen in Berlin dazu das Beispiel
gegeben hat. -- Zunächst haben wir uns mit den gewonnen Ne>ullaten zu be¬
gnügen, aber diese sind bedeutend genug, um uns für den verzögerten Eintritt
Badens in den norddeutschen Bund, der die Folge einer momentanen Sprengung
des Zollvündnisses gewesen wäre, überreichlich zu entschädigen. Daß Preußens
Vorgehen in der Zollangelegenheit von der überwiegenden Mehrzahl der gebildeten
und wohlhabenden Classen des, süddeutschen Volkes gebilligt und unterstützt
worden ist, kann an und für sich für einen folgenreichen Schritt zu dem Ziel
vollständiger deutscher Einigung gelten. Die Particularisten und Clericalen
Bayerns und Würtembergs haben ihre Entfremdung von den wahren Volts-
wteressen so rücksichtslos und offen dokumentirt. daß alle diejenigen, welche
etwas zu verlieren haben, ihre Augen auf den sonst so mißtrauisch und feindlich
angesehenen Norden richten mußten, daß den Kurzsichtigsten der Unterschid zwi¬
schen den Interessen des süddeutschen Volks und der süddeutschen Parteien klar
Werden mußte. Hat die überwiegende Majorität der Süddeutschen den Zwang
^billigt, welchen Preußen in einer wirthschaftlichen Frage auf die arti-natio-
nalen Regierungen und Parteien ausgeübt hat, -- warum sollten sie es außer
der Ordnung finden, wenn die gleiche Presston dereinst ausgeübt wird, wo es
steh um die höchsten idealen Güter Deutschlands handelt? Die partikularistische


land und Rußland schon gegenwärtig kein Hehl machen, kann dadurch, daß
dem europäischen Areopag a, priori jedes Recht zu definitiven Entscheidungen
abgesprochen wird, nur verstärkt werden. Es ist charakteristisch genug, daß
diejenigen Mächte, welche sich stark und gesund fühlen, keine Neigung spüren,
an der Einmischung in fremde Händel Theil zu nehmen, während die schwa-
chen und die in ihrer gegenwärtigen Form der Existenz bedrohten Staaten,
Oestreich an der Spitze, nicht abgeneigt sind, eine diplomatische Diversion im
Stil der Nestauratwnszeit zu unternehmen und dem französischen Bedürfniß
nach Ableitung der Volksaufmerksamkeit von inneren Fragen Vorschub zu leisten.

Parallel mit der römisch-italienischen Verwickelung und dem Zusammentritt
der französischen Kammern ist die Abwicklung der süddeutschen Zoll- und Atli'
anne-Angelegenheit und die Einberufung der neugewählten preußischen Volts-
Vertretung gelaufen. Preußen hatte nur nöthig gehabt, einen Augeyvlick mit
seiner Drohung, den Zollverband für den Fall der Ablehnung seiner Vorschläge
zu sprengen und die Widerstandslust, zu welcher sich bayrische Pairs und
schwäbische Commons gegenseitig ermuthigt hatten, war gebrochen. Daß in
Südd/utschland mindestens die Regierungen etwas von der Verlegenheit gelernt
haben, in welche sie durch ihre zweideutige Haltung gerathen waren, das hat
sich neuerdings in Sachen des französischen Congreßvorschlages gezeigt; sie
haben sich (Darmstadt allein ausgenommen) mit größeren und geringeren Mo-
dificationen der Haltung Preußens angeschlossen und werden der pariser Ein¬
ladung sicher nur Folge leisten, wenn man ihnen in Berlin dazu das Beispiel
gegeben hat. — Zunächst haben wir uns mit den gewonnen Ne>ullaten zu be¬
gnügen, aber diese sind bedeutend genug, um uns für den verzögerten Eintritt
Badens in den norddeutschen Bund, der die Folge einer momentanen Sprengung
des Zollvündnisses gewesen wäre, überreichlich zu entschädigen. Daß Preußens
Vorgehen in der Zollangelegenheit von der überwiegenden Mehrzahl der gebildeten
und wohlhabenden Classen des, süddeutschen Volkes gebilligt und unterstützt
worden ist, kann an und für sich für einen folgenreichen Schritt zu dem Ziel
vollständiger deutscher Einigung gelten. Die Particularisten und Clericalen
Bayerns und Würtembergs haben ihre Entfremdung von den wahren Volts-
wteressen so rücksichtslos und offen dokumentirt. daß alle diejenigen, welche
etwas zu verlieren haben, ihre Augen auf den sonst so mißtrauisch und feindlich
angesehenen Norden richten mußten, daß den Kurzsichtigsten der Unterschid zwi¬
schen den Interessen des süddeutschen Volks und der süddeutschen Parteien klar
Werden mußte. Hat die überwiegende Majorität der Süddeutschen den Zwang
^billigt, welchen Preußen in einer wirthschaftlichen Frage auf die arti-natio-
nalen Regierungen und Parteien ausgeübt hat, — warum sollten sie es außer
der Ordnung finden, wenn die gleiche Presston dereinst ausgeübt wird, wo es
steh um die höchsten idealen Güter Deutschlands handelt? Die partikularistische


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[0397] land und Rußland schon gegenwärtig kein Hehl machen, kann dadurch, daß dem europäischen Areopag a, priori jedes Recht zu definitiven Entscheidungen abgesprochen wird, nur verstärkt werden. Es ist charakteristisch genug, daß diejenigen Mächte, welche sich stark und gesund fühlen, keine Neigung spüren, an der Einmischung in fremde Händel Theil zu nehmen, während die schwa- chen und die in ihrer gegenwärtigen Form der Existenz bedrohten Staaten, Oestreich an der Spitze, nicht abgeneigt sind, eine diplomatische Diversion im Stil der Nestauratwnszeit zu unternehmen und dem französischen Bedürfniß nach Ableitung der Volksaufmerksamkeit von inneren Fragen Vorschub zu leisten. Parallel mit der römisch-italienischen Verwickelung und dem Zusammentritt der französischen Kammern ist die Abwicklung der süddeutschen Zoll- und Atli' anne-Angelegenheit und die Einberufung der neugewählten preußischen Volts- Vertretung gelaufen. Preußen hatte nur nöthig gehabt, einen Augeyvlick mit seiner Drohung, den Zollverband für den Fall der Ablehnung seiner Vorschläge zu sprengen und die Widerstandslust, zu welcher sich bayrische Pairs und schwäbische Commons gegenseitig ermuthigt hatten, war gebrochen. Daß in Südd/utschland mindestens die Regierungen etwas von der Verlegenheit gelernt haben, in welche sie durch ihre zweideutige Haltung gerathen waren, das hat sich neuerdings in Sachen des französischen Congreßvorschlages gezeigt; sie haben sich (Darmstadt allein ausgenommen) mit größeren und geringeren Mo- dificationen der Haltung Preußens angeschlossen und werden der pariser Ein¬ ladung sicher nur Folge leisten, wenn man ihnen in Berlin dazu das Beispiel gegeben hat. — Zunächst haben wir uns mit den gewonnen Ne>ullaten zu be¬ gnügen, aber diese sind bedeutend genug, um uns für den verzögerten Eintritt Badens in den norddeutschen Bund, der die Folge einer momentanen Sprengung des Zollvündnisses gewesen wäre, überreichlich zu entschädigen. Daß Preußens Vorgehen in der Zollangelegenheit von der überwiegenden Mehrzahl der gebildeten und wohlhabenden Classen des, süddeutschen Volkes gebilligt und unterstützt worden ist, kann an und für sich für einen folgenreichen Schritt zu dem Ziel vollständiger deutscher Einigung gelten. Die Particularisten und Clericalen Bayerns und Würtembergs haben ihre Entfremdung von den wahren Volts- wteressen so rücksichtslos und offen dokumentirt. daß alle diejenigen, welche etwas zu verlieren haben, ihre Augen auf den sonst so mißtrauisch und feindlich angesehenen Norden richten mußten, daß den Kurzsichtigsten der Unterschid zwi¬ schen den Interessen des süddeutschen Volks und der süddeutschen Parteien klar Werden mußte. Hat die überwiegende Majorität der Süddeutschen den Zwang ^billigt, welchen Preußen in einer wirthschaftlichen Frage auf die arti-natio- nalen Regierungen und Parteien ausgeübt hat, — warum sollten sie es außer der Ordnung finden, wenn die gleiche Presston dereinst ausgeübt wird, wo es steh um die höchsten idealen Güter Deutschlands handelt? Die partikularistische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/397>, abgerufen am 27.09.2024.