Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.Julian Schmidts Litemtnrgeschichte. Geschichte der deutschen Literatur seit Lessings Tod von Julian Schmidt, Fünfte, Die umfangreiche Arbeit, welche jetzt in drei Bänden abgeschlossen vordem Die Zeit der Romantiker, der Freiheitskriege, des jungen Deutschlands und Julian Schmidts Litemtnrgeschichte. Geschichte der deutschen Literatur seit Lessings Tod von Julian Schmidt, Fünfte, Die umfangreiche Arbeit, welche jetzt in drei Bänden abgeschlossen vordem Die Zeit der Romantiker, der Freiheitskriege, des jungen Deutschlands und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192152"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Julian Schmidts Litemtnrgeschichte.</head><lb/> <p xml:id="ID_1045"> Geschichte der deutschen Literatur seit Lessings Tod von Julian Schmidt, Fünfte,<lb/> durchweg umgearbeitete und vermehrte Auflage. Zweiter Band: Die Romantik<lb/> (1797—1813). Dritter Band: Die Gegenwart (1814- 1867). Leipzig. 1867.</p><lb/> <p xml:id="ID_1046"> Die umfangreiche Arbeit, welche jetzt in drei Bänden abgeschlossen vordem<lb/> Leser liegt, ist in Wahrheit eine völlige Umarbeitung, wie bei Besprechung des ersten<lb/> Bandes ausgeführt wurde. Die ersten Auflagen hatten einen vorzugsweise krie-<lb/> gerischen und polemischen Charakter, denn damals galt es, schädliche oder<lb/> abgelebte Richtungen in ihrer Untüchtigkeit darzustellen und gegenüber anspruchs¬<lb/> voller Mittelmäßigkeit höhere ethische und künstlerische Forderungen, welche die<lb/> Zeit erhob, geltend zu machen. Eine andere Aufgabe wurde dem Verfasser<lb/> bei der neuen Arbeit; in den letzten zehn Jahren hat sich die geistige Production<lb/> der Deutschen wesentlich umgeformt, alte Puppenhülsen sind abgestreift, schäd¬<lb/> liche Richtungen fast abgethan, eine neue Bildung und ein neues großes Gebiet<lb/> realer Interessen haben in den Geistern die Herrschaft erlangt, für die Literar¬<lb/> historiker steht jetzt die Pflicht obenan, die ungeheure Strömung des geistigen<lb/> Lebens unserer Vergangenheit so einzufassen, daß der gesammte Lauf verständ¬<lb/> lich wird; nicht die Individuen, sondern der Antheil, welchen sie an der natio¬<lb/> nalen Bewegung haben, sind das Wesentliche, das geistige Leben jedes Zeit¬<lb/> raums wird dargestellt in den großen Ideen, welche den Schriftstellern Wärme,<lb/> Begeisterung, Inhalt geben, den Charakter ihrer Werke bestimmen, den Kunst¬<lb/> werth derselben fördern oder hindern. Mit großem Sinn und mit einer zuweilen<lb/> Poetischen Intuition sind diese höchsten leitenden Ideen, welche zugleich Theil-<lb/> Punkte des unermeßlichen Stoffes werden, von dem Verfasser aufgesunden und<lb/> kräftig hervorgehoben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1047" next="#ID_1048"> Die Zeit der Romantiker, der Freiheitskriege, des jungen Deutschlands und<lb/> der politischen Kämpfe bis zur Gegenwart, eine große Zeit für die deutsche<lb/> Wissenschaft, ist für die deutsche Kunst nicht ebenso reich an Werken von hoher<lb/> Schönheit und Dauer, ja die meisten Arbeiten erweisen peinlich die Mängel, welche<lb/> das unpolitische und staatslose Privatleben der Deutschen den Charakteren ließ,<lb/> und die grillige Wunderlichkeit, womit ihr Idealismus behaftet war. Unter den<lb/> Dichtern seltsame und verschrobene Gestalten, hohe Ansprüche und geringe<lb/> schöpferische Kraft, in vielen ein Wirbel unklarer und verkehrter Forde¬<lb/> rungen, die Farben oft schön und glänzend, die Linien der geschilderten Cha¬<lb/> raktere selten rein und richtig, sogar in der Lyrik dicht neben einem Rafsine-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0391]
Julian Schmidts Litemtnrgeschichte.
Geschichte der deutschen Literatur seit Lessings Tod von Julian Schmidt, Fünfte,
durchweg umgearbeitete und vermehrte Auflage. Zweiter Band: Die Romantik
(1797—1813). Dritter Band: Die Gegenwart (1814- 1867). Leipzig. 1867.
Die umfangreiche Arbeit, welche jetzt in drei Bänden abgeschlossen vordem
Leser liegt, ist in Wahrheit eine völlige Umarbeitung, wie bei Besprechung des ersten
Bandes ausgeführt wurde. Die ersten Auflagen hatten einen vorzugsweise krie-
gerischen und polemischen Charakter, denn damals galt es, schädliche oder
abgelebte Richtungen in ihrer Untüchtigkeit darzustellen und gegenüber anspruchs¬
voller Mittelmäßigkeit höhere ethische und künstlerische Forderungen, welche die
Zeit erhob, geltend zu machen. Eine andere Aufgabe wurde dem Verfasser
bei der neuen Arbeit; in den letzten zehn Jahren hat sich die geistige Production
der Deutschen wesentlich umgeformt, alte Puppenhülsen sind abgestreift, schäd¬
liche Richtungen fast abgethan, eine neue Bildung und ein neues großes Gebiet
realer Interessen haben in den Geistern die Herrschaft erlangt, für die Literar¬
historiker steht jetzt die Pflicht obenan, die ungeheure Strömung des geistigen
Lebens unserer Vergangenheit so einzufassen, daß der gesammte Lauf verständ¬
lich wird; nicht die Individuen, sondern der Antheil, welchen sie an der natio¬
nalen Bewegung haben, sind das Wesentliche, das geistige Leben jedes Zeit¬
raums wird dargestellt in den großen Ideen, welche den Schriftstellern Wärme,
Begeisterung, Inhalt geben, den Charakter ihrer Werke bestimmen, den Kunst¬
werth derselben fördern oder hindern. Mit großem Sinn und mit einer zuweilen
Poetischen Intuition sind diese höchsten leitenden Ideen, welche zugleich Theil-
Punkte des unermeßlichen Stoffes werden, von dem Verfasser aufgesunden und
kräftig hervorgehoben.
Die Zeit der Romantiker, der Freiheitskriege, des jungen Deutschlands und
der politischen Kämpfe bis zur Gegenwart, eine große Zeit für die deutsche
Wissenschaft, ist für die deutsche Kunst nicht ebenso reich an Werken von hoher
Schönheit und Dauer, ja die meisten Arbeiten erweisen peinlich die Mängel, welche
das unpolitische und staatslose Privatleben der Deutschen den Charakteren ließ,
und die grillige Wunderlichkeit, womit ihr Idealismus behaftet war. Unter den
Dichtern seltsame und verschrobene Gestalten, hohe Ansprüche und geringe
schöpferische Kraft, in vielen ein Wirbel unklarer und verkehrter Forde¬
rungen, die Farben oft schön und glänzend, die Linien der geschilderten Cha¬
raktere selten rein und richtig, sogar in der Lyrik dicht neben einem Rafsine-
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