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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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des Willens der europäischen Nationen, die deutsche mit einbegriffen, sein, während
die dritthalbhundert Volksvertreter, welche sich in Berlin zur Wiedergeburt
Deutschlands die Hände reichen, nichts weiter sind als die Handlanger einer
"fein ausgedachten geistreichen Reaction", deren Ende identisch sein wird mit
dem der norddeutschen Bundesverfassung! Und das wird in der "Hauptstadt
der Jntcll genz" gedruckt und von einem Journal ausgesprochen, auf dessen
Blättern der Name eines Mannes steht, dessen Ansprüche auf die Achtung seines
Volks in der That unverjährbare sind, der ohne die Ereignisse des Jahres 1866
noch heute für den Führer einer Partei gelten würde, deren Herrschafterecht
ein halbes Jahrzehnt lang ebenso zweifellos dastand, Wie der Anspruch aus
dasselbe. -- Die Erkenntniß, daß mit Anschauungen dieser Art, mögen ihre
Vertreter Namen haben, welche sie wollen, kein Bund zu flechten ist, wenn
nicht auf die Verwirklichung der Politischen Wünsche unsers Volks für ein
Menschenalter verzichtet werden soll, muß uns schadlos halten für das an
und sür sich berechtigte Bedauern darüber, daß unserer gegenwärtigen Aufgabe
das Opfer langjähriger Beziehungen und Sympathien unwiderruflich gebracht
werden muß. Wir haben kein Recht, Particularisten und Großdeutschen aus
ihrer politischen Sentimentalität und aus der Unfähigkeit liebgewordenen Illu¬
sionen den Rücken zu kehren, einen Vorwurf zu machen, so lange wir nicht
selbst durch die That beweisen, daß uns die Sache des Vaterlandes über
Freunde und Brüder, über Sympathien und Traditionen geht. Der
Dienst der Freiheit ist von je ein schwerer gewesen und hat niemals Ar-
beiter brauchen können, die zurückschauen, wenn sie die Hand an den Pflug
legen.

Wenden wir uns von der Betrachtung dessen, was am heimischen Heerde
geschehen, den Nachbarstaaten zu, so sehen wir dieselben -- vielleicht Frankreich
allein ausgenommen -- von inneren Fragen eingenommen, die die Freiheit der
Action Preußens sichtlich begünstigen. Oestreich ist durch die Schwierigkeiten
des Ausgleichs mit Ungarn zu ernster Beschäftigung mit seinen Finanzen ge¬
zwungen worden und sieht es auf nichts weniger, als auf eine gänzliche Um¬
gestaltung seines Staatscrebits und auf Unification seiner Staatsschuld ab. In
Europa ist der letzte Versuch zur Ordnung zerrütteter Finanzen durch dieses
schwierige und gefährliche Auskunftsmittel, unseres Wissens, von der Türkei im
Jahre 1863 unternommen worden. Es hieß damals, fortan beginne für die
hohe Psvite eine neue Aera geordneter und consolidirter Geldverhältnisse und
wenige Monate später wurde zum Erstaunen aller europäischen Börsen be¬
reits eine neue, durch die Ottomanische Bank vermittelte Anleihe versucht,
die trotz einer Prämie von 11'/t Procent nur theilweise realisirt werden konnte.
Ob es in Oestreich ebenso geschehen wird, wissen wir nicht; die wiener Finanz¬
männer selbst scheinen minder optimistisch zu sein, als es damals die Türken


des Willens der europäischen Nationen, die deutsche mit einbegriffen, sein, während
die dritthalbhundert Volksvertreter, welche sich in Berlin zur Wiedergeburt
Deutschlands die Hände reichen, nichts weiter sind als die Handlanger einer
„fein ausgedachten geistreichen Reaction", deren Ende identisch sein wird mit
dem der norddeutschen Bundesverfassung! Und das wird in der „Hauptstadt
der Jntcll genz" gedruckt und von einem Journal ausgesprochen, auf dessen
Blättern der Name eines Mannes steht, dessen Ansprüche auf die Achtung seines
Volks in der That unverjährbare sind, der ohne die Ereignisse des Jahres 1866
noch heute für den Führer einer Partei gelten würde, deren Herrschafterecht
ein halbes Jahrzehnt lang ebenso zweifellos dastand, Wie der Anspruch aus
dasselbe. — Die Erkenntniß, daß mit Anschauungen dieser Art, mögen ihre
Vertreter Namen haben, welche sie wollen, kein Bund zu flechten ist, wenn
nicht auf die Verwirklichung der Politischen Wünsche unsers Volks für ein
Menschenalter verzichtet werden soll, muß uns schadlos halten für das an
und sür sich berechtigte Bedauern darüber, daß unserer gegenwärtigen Aufgabe
das Opfer langjähriger Beziehungen und Sympathien unwiderruflich gebracht
werden muß. Wir haben kein Recht, Particularisten und Großdeutschen aus
ihrer politischen Sentimentalität und aus der Unfähigkeit liebgewordenen Illu¬
sionen den Rücken zu kehren, einen Vorwurf zu machen, so lange wir nicht
selbst durch die That beweisen, daß uns die Sache des Vaterlandes über
Freunde und Brüder, über Sympathien und Traditionen geht. Der
Dienst der Freiheit ist von je ein schwerer gewesen und hat niemals Ar-
beiter brauchen können, die zurückschauen, wenn sie die Hand an den Pflug
legen.

Wenden wir uns von der Betrachtung dessen, was am heimischen Heerde
geschehen, den Nachbarstaaten zu, so sehen wir dieselben — vielleicht Frankreich
allein ausgenommen — von inneren Fragen eingenommen, die die Freiheit der
Action Preußens sichtlich begünstigen. Oestreich ist durch die Schwierigkeiten
des Ausgleichs mit Ungarn zu ernster Beschäftigung mit seinen Finanzen ge¬
zwungen worden und sieht es auf nichts weniger, als auf eine gänzliche Um¬
gestaltung seines Staatscrebits und auf Unification seiner Staatsschuld ab. In
Europa ist der letzte Versuch zur Ordnung zerrütteter Finanzen durch dieses
schwierige und gefährliche Auskunftsmittel, unseres Wissens, von der Türkei im
Jahre 1863 unternommen worden. Es hieß damals, fortan beginne für die
hohe Psvite eine neue Aera geordneter und consolidirter Geldverhältnisse und
wenige Monate später wurde zum Erstaunen aller europäischen Börsen be¬
reits eine neue, durch die Ottomanische Bank vermittelte Anleihe versucht,
die trotz einer Prämie von 11'/t Procent nur theilweise realisirt werden konnte.
Ob es in Oestreich ebenso geschehen wird, wissen wir nicht; die wiener Finanz¬
männer selbst scheinen minder optimistisch zu sein, als es damals die Türken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/36>, abgerufen am 27.09.2024.