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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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scheint das Buch in Lieferungen, eine Art der Ausgabe, die den Käufer min¬
destens nicht lockt und leicht zu Vielschreiberei führt?

Wir kommen zur Belletristik, und hier mag Friedrich Rückert auf würdige
Weise mit seinen "Gesammelten poetischen Werken" den Reigen beginnen. Die
erste Lieferung liegt vor. Dem Prospect zufolge werden die ersten 8 Bände ly¬
rische, der 9. und 10. Band dramatische, und der 11. und 12. Band epische
Gedichte enthalten. -- Aus der großen Fülle des Neuen, aber mag Einzelnes
nur erwähnt sein als Zeichen der Gattung; erst aber vergönne man uns.
episodisch von Einigem zu reden, dessen Lectüre wir dem Leser ersparen möch¬
ten. Es ist der Roman, so weit ihn der letzte Krieg hervorgerufen hat.

Nicht meinen wir den Roman, der vorübergehend Bezug nimmt auf diese
Vorgänge, sondern den. dessen Aufgabe es ist. aus jener Episode der deutschen
Geschichte eine breite Unterlage von Leihbibliotheksereignissen für eine lose ver-
knüpfte Handlung zu finden. Durch diese Form aber sowie durch seine Ten¬
denz bleibt er stets beachtenswerth für den Literarhistoriker. Fast alle diese
Romane erscheinen in Lieferungen und man darf dreist behaupten, daß dies
bei uns ein Symtom inneren llnwerths ist. Denn dann plagt nicht die Sorge,
w knappen Rahmen ein künstlerisch vollendetes Ganze zu bringen, im Gegen-
theil: wenn der Verfasser in der Hälfte seines Machwerks merkt, daß es.
Dank einem glücklichen Titel und den Neclamen seines Verlegers, "geht", dann
dreht flugs seine Klio einen neuen Zopf Werg aus den leerwerdenden Rocken
und spinnt lustig haarsträubende Intriguen, von denen man bisher keine Ah-
nung hatte. Einige schalten dazwischen auf höchst rohe Weise Schlachten¬
bilder, Proclamationen. ganze Scenen aus jenem Kriege ein, immer jedoch
Vom patriotischsten Standpunkt. Wenn der Preuße die Oestreicher schmäht, die
Fürstin Metternich "Pseudo-Therese" nennt und die Wiege seiner Gauner hinter
dem schwarzgelben Schlagbaum stehen läßt, so ist der Wiener Literat eifrig be-
müht, dem Kollegen von der Spree an Unglimps der Erfindung nicht nachzu¬
stehen. Aber das haben Beide gemein, daß sie unter der Tarnkappe überall
hinbringen; was vor und in dem Krieg von den Fürsten und Ministern
gesprochen ward, wie jener östreichische Feldzugsplan verloren ging, erfahren
Wir am besten bei ihnen. Sie malen beide in möglichst grellen Farben. Wah¬
rend dessen nimmt die Geschichte ihren Laus und der Schriftsteller trabt
hinterher. Grabowsky. der seiner Zeit mit ..Unter Preußens Fahnen" den Anfang
"achte, schreibt jetzt "Nach dem Kriege" in Lieferungen. Doch mag hier noch
"ner Erzählung gedacht sein, die nur kurz auf den Krieg Bezug nimmt. Tie
findet sich in den Novellen einer Oestreicherin. der Baronin Grotthuß. ^>e
haarsträubende Schilderung der preußischen Invasion wird mit der Sentenz be.
^unen: "Nie hätte man geqlanbt. daß im 19, Jahrhundert ein Volk sich so
schmachvoll benehmen würde.'w>e die auf Bildung Anspruch machenden Preußen


Arcnjboten IV. 18K7.

scheint das Buch in Lieferungen, eine Art der Ausgabe, die den Käufer min¬
destens nicht lockt und leicht zu Vielschreiberei führt?

Wir kommen zur Belletristik, und hier mag Friedrich Rückert auf würdige
Weise mit seinen „Gesammelten poetischen Werken" den Reigen beginnen. Die
erste Lieferung liegt vor. Dem Prospect zufolge werden die ersten 8 Bände ly¬
rische, der 9. und 10. Band dramatische, und der 11. und 12. Band epische
Gedichte enthalten. — Aus der großen Fülle des Neuen, aber mag Einzelnes
nur erwähnt sein als Zeichen der Gattung; erst aber vergönne man uns.
episodisch von Einigem zu reden, dessen Lectüre wir dem Leser ersparen möch¬
ten. Es ist der Roman, so weit ihn der letzte Krieg hervorgerufen hat.

Nicht meinen wir den Roman, der vorübergehend Bezug nimmt auf diese
Vorgänge, sondern den. dessen Aufgabe es ist. aus jener Episode der deutschen
Geschichte eine breite Unterlage von Leihbibliotheksereignissen für eine lose ver-
knüpfte Handlung zu finden. Durch diese Form aber sowie durch seine Ten¬
denz bleibt er stets beachtenswerth für den Literarhistoriker. Fast alle diese
Romane erscheinen in Lieferungen und man darf dreist behaupten, daß dies
bei uns ein Symtom inneren llnwerths ist. Denn dann plagt nicht die Sorge,
w knappen Rahmen ein künstlerisch vollendetes Ganze zu bringen, im Gegen-
theil: wenn der Verfasser in der Hälfte seines Machwerks merkt, daß es.
Dank einem glücklichen Titel und den Neclamen seines Verlegers, „geht", dann
dreht flugs seine Klio einen neuen Zopf Werg aus den leerwerdenden Rocken
und spinnt lustig haarsträubende Intriguen, von denen man bisher keine Ah-
nung hatte. Einige schalten dazwischen auf höchst rohe Weise Schlachten¬
bilder, Proclamationen. ganze Scenen aus jenem Kriege ein, immer jedoch
Vom patriotischsten Standpunkt. Wenn der Preuße die Oestreicher schmäht, die
Fürstin Metternich „Pseudo-Therese" nennt und die Wiege seiner Gauner hinter
dem schwarzgelben Schlagbaum stehen läßt, so ist der Wiener Literat eifrig be-
müht, dem Kollegen von der Spree an Unglimps der Erfindung nicht nachzu¬
stehen. Aber das haben Beide gemein, daß sie unter der Tarnkappe überall
hinbringen; was vor und in dem Krieg von den Fürsten und Ministern
gesprochen ward, wie jener östreichische Feldzugsplan verloren ging, erfahren
Wir am besten bei ihnen. Sie malen beide in möglichst grellen Farben. Wah¬
rend dessen nimmt die Geschichte ihren Laus und der Schriftsteller trabt
hinterher. Grabowsky. der seiner Zeit mit ..Unter Preußens Fahnen" den Anfang
"achte, schreibt jetzt „Nach dem Kriege" in Lieferungen. Doch mag hier noch
"ner Erzählung gedacht sein, die nur kurz auf den Krieg Bezug nimmt. Tie
findet sich in den Novellen einer Oestreicherin. der Baronin Grotthuß. ^>e
haarsträubende Schilderung der preußischen Invasion wird mit der Sentenz be.
^unen: „Nie hätte man geqlanbt. daß im 19, Jahrhundert ein Volk sich so
schmachvoll benehmen würde.'w>e die auf Bildung Anspruch machenden Preußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/353>, abgerufen am 27.09.2024.