Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.tertias sind; ein Dispens von der dreijährigen Dienstzeit wird nur solchen Trotz dieser alten Satzungen machen sich in Neval die Nähe Petersburgs und tertias sind; ein Dispens von der dreijährigen Dienstzeit wird nur solchen Trotz dieser alten Satzungen machen sich in Neval die Nähe Petersburgs und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192107"/> <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> tertias sind; ein Dispens von der dreijährigen Dienstzeit wird nur solchen<lb/> Personen ertheilt, welche in die Gilde „eingeheiratet haben." Die Meldung zur<lb/> Aufnahme in die Corporation findet vorschriftsmäßig „vierzehn Tage vor Lä-<lb/> tare" und „im Laufe des ersten Jahres nach der Hochzeit" statt. „Wer mit<lb/> keiner Tochter oder Wittwe eines Genossen der großen Gilde verheirathet ist"<lb/> so schreibt § 73 der in das baltische Provinzialgesetzbuch aufgenommenen „groß-<lb/> gildischen schrägen" vor. „hat im Allgemeinen das Recht zum Eintritt« in<lb/> diese letztere nicht, kann aber doch mit Zustimmung der Gildegenvssen aufge¬<lb/> nommen werden, wenn er 1) mit der Wittwe oder Tochter einer Person ver¬<lb/> heirathet ist, welche alle Eigenschaften besitzt oder besessen hat, welche zum Ein¬<lb/> tritt in die Gilde erforderlich sind, und 2) wenn derselbe außer dem gewöhn¬<lb/> lichen Eintrittsgelde der G'ldckasse 100 Rubel S. M. nebst den für diese<lb/> Summe von der Heirath an fälligen Zinsen erlegt."</p><lb/> <p xml:id="ID_936" next="#ID_937"> Trotz dieser alten Satzungen machen sich in Neval die Nähe Petersburgs und<lb/> russische Einflüsse ungleich stärker geltend, als in den südlicheren baltischen<lb/> Städten; die anmuthige maritime Lage der Stadt versammelt Tausende vor¬<lb/> nehmer Russen während der Sommermonate zur Bavesaison und die Zahl<lb/> russischer Kaufleute und Arbeiter ist im Zunehmen. Handel und Bevölkerung<lb/> scheinen aber seit Jahren im Rückgange begriffen, und alle Bemühungen des<lb/> Raths, der außerordentlich tüchtige und freisinnige Männer unter seinen Glie¬<lb/> dern zählt, haben bis jetzt die Erbauung einer Eisenbahn nach Petersburg nicht<lb/> herbeiführen können, obgleich dieselbe für Neval und den durch die Concurrenz<lb/> Petersburgs niedergedrückten revalschcn Handel seit lange eine Lebensfrage ist.<lb/> Rauhes Klima, ungünstige Bevölkerungsverhältnisse und unfruchtbarer Boden<lb/> machen Estland zu der ärmsten der drei Provinzen und die sinkende Bedeutung<lb/> Nepals ist seit Jahren ein Grund ernster Besorgniß für das gesammte Land.<lb/> Bei dem großen Eifer und der entschiedenen Strebsamkeit, welche die jüngere<lb/> Generation auszeichnen, ist Abhilfe indessen noch zu hoffen, wenn die Verhält¬<lb/> nisse der Gegenwart auch außerordentlich schwierige sind. Zur Zeit trügt die<lb/> Stadt noch ein entschieden mittelalterliches Gepräge, von Neubauten und mo¬<lb/> dernen Anlagen, wie sie in Riga beständig zunehmen, ist noch wenig zu sehen.<lb/> Hohe Giebelhäuser und Speicher ragen an winkeligen, unregelmäßig gebauten<lb/> Gassen auf, ein altes Rathhaus, zwei in Sckulen verwandelte Klöster, das<lb/> in mittelalterlichen Geschmack gebaute Schwarzhäuptcrhaus. sechs stolze Kirchen,<lb/> antike Gildenhäuser und Waagen, mit schwedischen und russischen Trophäen ge¬<lb/> schmückte Thore geben dem Ganzen Gravität, Würde und finstern Ernst; zu<lb/> dem auf dem höchsten Punkt des Doms belegenen, mit Thürmen gezierten<lb/> Schloß führen zwei steile Gassen empor, von denen nur die eine fahrbar ist,<lb/> in den Kirchen werden zahlreiche Reminiscenzen an die stolze Vergangenheit<lb/> dieses Orts gezeigt, der einst ein mächtiges und geachtetes Glied des Hansabundes</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0346]
tertias sind; ein Dispens von der dreijährigen Dienstzeit wird nur solchen
Personen ertheilt, welche in die Gilde „eingeheiratet haben." Die Meldung zur
Aufnahme in die Corporation findet vorschriftsmäßig „vierzehn Tage vor Lä-
tare" und „im Laufe des ersten Jahres nach der Hochzeit" statt. „Wer mit
keiner Tochter oder Wittwe eines Genossen der großen Gilde verheirathet ist"
so schreibt § 73 der in das baltische Provinzialgesetzbuch aufgenommenen „groß-
gildischen schrägen" vor. „hat im Allgemeinen das Recht zum Eintritt« in
diese letztere nicht, kann aber doch mit Zustimmung der Gildegenvssen aufge¬
nommen werden, wenn er 1) mit der Wittwe oder Tochter einer Person ver¬
heirathet ist, welche alle Eigenschaften besitzt oder besessen hat, welche zum Ein¬
tritt in die Gilde erforderlich sind, und 2) wenn derselbe außer dem gewöhn¬
lichen Eintrittsgelde der G'ldckasse 100 Rubel S. M. nebst den für diese
Summe von der Heirath an fälligen Zinsen erlegt."
Trotz dieser alten Satzungen machen sich in Neval die Nähe Petersburgs und
russische Einflüsse ungleich stärker geltend, als in den südlicheren baltischen
Städten; die anmuthige maritime Lage der Stadt versammelt Tausende vor¬
nehmer Russen während der Sommermonate zur Bavesaison und die Zahl
russischer Kaufleute und Arbeiter ist im Zunehmen. Handel und Bevölkerung
scheinen aber seit Jahren im Rückgange begriffen, und alle Bemühungen des
Raths, der außerordentlich tüchtige und freisinnige Männer unter seinen Glie¬
dern zählt, haben bis jetzt die Erbauung einer Eisenbahn nach Petersburg nicht
herbeiführen können, obgleich dieselbe für Neval und den durch die Concurrenz
Petersburgs niedergedrückten revalschcn Handel seit lange eine Lebensfrage ist.
Rauhes Klima, ungünstige Bevölkerungsverhältnisse und unfruchtbarer Boden
machen Estland zu der ärmsten der drei Provinzen und die sinkende Bedeutung
Nepals ist seit Jahren ein Grund ernster Besorgniß für das gesammte Land.
Bei dem großen Eifer und der entschiedenen Strebsamkeit, welche die jüngere
Generation auszeichnen, ist Abhilfe indessen noch zu hoffen, wenn die Verhält¬
nisse der Gegenwart auch außerordentlich schwierige sind. Zur Zeit trügt die
Stadt noch ein entschieden mittelalterliches Gepräge, von Neubauten und mo¬
dernen Anlagen, wie sie in Riga beständig zunehmen, ist noch wenig zu sehen.
Hohe Giebelhäuser und Speicher ragen an winkeligen, unregelmäßig gebauten
Gassen auf, ein altes Rathhaus, zwei in Sckulen verwandelte Klöster, das
in mittelalterlichen Geschmack gebaute Schwarzhäuptcrhaus. sechs stolze Kirchen,
antike Gildenhäuser und Waagen, mit schwedischen und russischen Trophäen ge¬
schmückte Thore geben dem Ganzen Gravität, Würde und finstern Ernst; zu
dem auf dem höchsten Punkt des Doms belegenen, mit Thürmen gezierten
Schloß führen zwei steile Gassen empor, von denen nur die eine fahrbar ist,
in den Kirchen werden zahlreiche Reminiscenzen an die stolze Vergangenheit
dieses Orts gezeigt, der einst ein mächtiges und geachtetes Glied des Hansabundes
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