Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Disciplin gelten. Ein alter General, der im Gamaschendienst ergraut war,
wurde als Kurator nach Dorpat gesandt, um die wilde academische Freiheit zu
bändigen und an die strenge Zucht zu gewöhnen, die man für das Haupter-
forderniß eines heilsamen Staats- und Unterrichtswesens ansah. Aber die
Macht der Tradition spottete aller Strafgesetze und Reglementirungen; in dem
Bewußtsein, daß es sich in dem Kampf gegen die neue Ordnung um mehr als
die Aufrechterhaltung burschikoser Unarten handele, hielt die studirende Jugend
mit eiserner Zähigkeit an ihrem "Comment" und ihren verpöntem Corpsver¬
bindungen fest, die hier ein streng geschlossenes, nach burschenschaftlichen Grund¬
sätzen geordnetes Ganze bildeten, dessen Willen sich jeder füg.en mußte, den
nicht der Bann seiner Commilitonen treffen sollte. Es half wenig, daß die
Anlegung des Uniformrocks erzwungen wurde, daß man die Aufzüge und öffent¬
lichen Festlichkeiten früherer Zeit verhinderte -- der trotzige Geist des alten
Burschenthums wußte sich zu erhalten, kräftiger und reicher denn je war das
innere Leben der Verbindungen; die strenge Satzung, die über denselben wal¬
tete, diente einzig dazu, dem jugendlichen Treiben einen idealen Hintergrund
zu geben, von dessen Bedeutung auch der Unbedeutendste etwas ahnte, und dem
alten soldatischen Kurator blieb nichts übrig, als ein Auge zuzudrücken, wenn
man ihm sagte, die Herrschaft des Studentenstaats über seine Glieder sei unan¬
greifbar und werde nicht auszurotten sein, solange die Universität überhaupt bestehe.

Während der vierziger und fünfziger Jahre nahm die Bedrückung
unaufhörlich zu; als der Rector Ulmann im Jahr 1843 ein Ehrengeschenk der
Studentenschaft angenommen hatte (die ihn wegen der Beihilfe, welche er der
Errichtung von Ehrengerichten geschenkt hatte, hoch verehrte), wurde er plötzlich
entfernt und vier academische Lehrer, welche gegen dieses Verfahren Protest
erhoben, mußten sein Loos theilen. Das Cooptationsrecht des academischen
Senats wurde wiederholt durchbrochen, 1851 verlor die Universität das Recht,
ihren Rector selbst zu wählen, wenig später sollte die Zahl der Studirenden
auf 300 beschränkt, ein Theil der juristischen Vorlesungen in russischer Sprache
gehalten werden -- man ließ sich aber nicht beirren und harrte entschlossen
aus, bis bessere Zeiten kamen. Und diese Zeiten blieben nicht aus. Alexan¬
der II., der sich schon durch die Rehabilitation des schwer gekränkten ehemali¬
gen Rector Ulmann (derselbe wurde nach 20jähriger Quiescirung zum Bischof
der gesammten evangelischen Kirche Rußlands ernannt) als Freund der dorpa-
ter Hochschule bewiesen hatte, hob die strengen Satzungen Uwarows auf und
stellte die alte Freiheit der Hochschule in großmüthiger Weise wieder her. Auch
äußerlich ist die Universität gegenwärtig wieder, was sie ihrem Wesen nach
Von je gewesen, -- die Hüterin protestantisch-deutscher Bildung und Wissen¬
schaft an der Ostsee, der Born, aus dem jedes heranwachsende Geschlecht Liebe
und Verständniß für die geheiligten Traditionen der Heimat schöpft. Die in


Disciplin gelten. Ein alter General, der im Gamaschendienst ergraut war,
wurde als Kurator nach Dorpat gesandt, um die wilde academische Freiheit zu
bändigen und an die strenge Zucht zu gewöhnen, die man für das Haupter-
forderniß eines heilsamen Staats- und Unterrichtswesens ansah. Aber die
Macht der Tradition spottete aller Strafgesetze und Reglementirungen; in dem
Bewußtsein, daß es sich in dem Kampf gegen die neue Ordnung um mehr als
die Aufrechterhaltung burschikoser Unarten handele, hielt die studirende Jugend
mit eiserner Zähigkeit an ihrem „Comment" und ihren verpöntem Corpsver¬
bindungen fest, die hier ein streng geschlossenes, nach burschenschaftlichen Grund¬
sätzen geordnetes Ganze bildeten, dessen Willen sich jeder füg.en mußte, den
nicht der Bann seiner Commilitonen treffen sollte. Es half wenig, daß die
Anlegung des Uniformrocks erzwungen wurde, daß man die Aufzüge und öffent¬
lichen Festlichkeiten früherer Zeit verhinderte — der trotzige Geist des alten
Burschenthums wußte sich zu erhalten, kräftiger und reicher denn je war das
innere Leben der Verbindungen; die strenge Satzung, die über denselben wal¬
tete, diente einzig dazu, dem jugendlichen Treiben einen idealen Hintergrund
zu geben, von dessen Bedeutung auch der Unbedeutendste etwas ahnte, und dem
alten soldatischen Kurator blieb nichts übrig, als ein Auge zuzudrücken, wenn
man ihm sagte, die Herrschaft des Studentenstaats über seine Glieder sei unan¬
greifbar und werde nicht auszurotten sein, solange die Universität überhaupt bestehe.

Während der vierziger und fünfziger Jahre nahm die Bedrückung
unaufhörlich zu; als der Rector Ulmann im Jahr 1843 ein Ehrengeschenk der
Studentenschaft angenommen hatte (die ihn wegen der Beihilfe, welche er der
Errichtung von Ehrengerichten geschenkt hatte, hoch verehrte), wurde er plötzlich
entfernt und vier academische Lehrer, welche gegen dieses Verfahren Protest
erhoben, mußten sein Loos theilen. Das Cooptationsrecht des academischen
Senats wurde wiederholt durchbrochen, 1851 verlor die Universität das Recht,
ihren Rector selbst zu wählen, wenig später sollte die Zahl der Studirenden
auf 300 beschränkt, ein Theil der juristischen Vorlesungen in russischer Sprache
gehalten werden — man ließ sich aber nicht beirren und harrte entschlossen
aus, bis bessere Zeiten kamen. Und diese Zeiten blieben nicht aus. Alexan¬
der II., der sich schon durch die Rehabilitation des schwer gekränkten ehemali¬
gen Rector Ulmann (derselbe wurde nach 20jähriger Quiescirung zum Bischof
der gesammten evangelischen Kirche Rußlands ernannt) als Freund der dorpa-
ter Hochschule bewiesen hatte, hob die strengen Satzungen Uwarows auf und
stellte die alte Freiheit der Hochschule in großmüthiger Weise wieder her. Auch
äußerlich ist die Universität gegenwärtig wieder, was sie ihrem Wesen nach
Von je gewesen, — die Hüterin protestantisch-deutscher Bildung und Wissen¬
schaft an der Ostsee, der Born, aus dem jedes heranwachsende Geschlecht Liebe
und Verständniß für die geheiligten Traditionen der Heimat schöpft. Die in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192094"/>
            <p xml:id="ID_911" prev="#ID_910"> Disciplin gelten. Ein alter General, der im Gamaschendienst ergraut war,<lb/>
wurde als Kurator nach Dorpat gesandt, um die wilde academische Freiheit zu<lb/>
bändigen und an die strenge Zucht zu gewöhnen, die man für das Haupter-<lb/>
forderniß eines heilsamen Staats- und Unterrichtswesens ansah. Aber die<lb/>
Macht der Tradition spottete aller Strafgesetze und Reglementirungen; in dem<lb/>
Bewußtsein, daß es sich in dem Kampf gegen die neue Ordnung um mehr als<lb/>
die Aufrechterhaltung burschikoser Unarten handele, hielt die studirende Jugend<lb/>
mit eiserner Zähigkeit an ihrem &#x201E;Comment" und ihren verpöntem Corpsver¬<lb/>
bindungen fest, die hier ein streng geschlossenes, nach burschenschaftlichen Grund¬<lb/>
sätzen geordnetes Ganze bildeten, dessen Willen sich jeder füg.en mußte, den<lb/>
nicht der Bann seiner Commilitonen treffen sollte. Es half wenig, daß die<lb/>
Anlegung des Uniformrocks erzwungen wurde, daß man die Aufzüge und öffent¬<lb/>
lichen Festlichkeiten früherer Zeit verhinderte &#x2014; der trotzige Geist des alten<lb/>
Burschenthums wußte sich zu erhalten, kräftiger und reicher denn je war das<lb/>
innere Leben der Verbindungen; die strenge Satzung, die über denselben wal¬<lb/>
tete, diente einzig dazu, dem jugendlichen Treiben einen idealen Hintergrund<lb/>
zu geben, von dessen Bedeutung auch der Unbedeutendste etwas ahnte, und dem<lb/>
alten soldatischen Kurator blieb nichts übrig, als ein Auge zuzudrücken, wenn<lb/>
man ihm sagte, die Herrschaft des Studentenstaats über seine Glieder sei unan¬<lb/>
greifbar und werde nicht auszurotten sein, solange die Universität überhaupt bestehe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_912" next="#ID_913"> Während der vierziger und fünfziger Jahre nahm die Bedrückung<lb/>
unaufhörlich zu; als der Rector Ulmann im Jahr 1843 ein Ehrengeschenk der<lb/>
Studentenschaft angenommen hatte (die ihn wegen der Beihilfe, welche er der<lb/>
Errichtung von Ehrengerichten geschenkt hatte, hoch verehrte), wurde er plötzlich<lb/>
entfernt und vier academische Lehrer, welche gegen dieses Verfahren Protest<lb/>
erhoben, mußten sein Loos theilen. Das Cooptationsrecht des academischen<lb/>
Senats wurde wiederholt durchbrochen, 1851 verlor die Universität das Recht,<lb/>
ihren Rector selbst zu wählen, wenig später sollte die Zahl der Studirenden<lb/>
auf 300 beschränkt, ein Theil der juristischen Vorlesungen in russischer Sprache<lb/>
gehalten werden &#x2014; man ließ sich aber nicht beirren und harrte entschlossen<lb/>
aus, bis bessere Zeiten kamen. Und diese Zeiten blieben nicht aus. Alexan¬<lb/>
der II., der sich schon durch die Rehabilitation des schwer gekränkten ehemali¬<lb/>
gen Rector Ulmann (derselbe wurde nach 20jähriger Quiescirung zum Bischof<lb/>
der gesammten evangelischen Kirche Rußlands ernannt) als Freund der dorpa-<lb/>
ter Hochschule bewiesen hatte, hob die strengen Satzungen Uwarows auf und<lb/>
stellte die alte Freiheit der Hochschule in großmüthiger Weise wieder her. Auch<lb/>
äußerlich ist die Universität gegenwärtig wieder, was sie ihrem Wesen nach<lb/>
Von je gewesen, &#x2014; die Hüterin protestantisch-deutscher Bildung und Wissen¬<lb/>
schaft an der Ostsee, der Born, aus dem jedes heranwachsende Geschlecht Liebe<lb/>
und Verständniß für die geheiligten Traditionen der Heimat schöpft. Die in</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0333] Disciplin gelten. Ein alter General, der im Gamaschendienst ergraut war, wurde als Kurator nach Dorpat gesandt, um die wilde academische Freiheit zu bändigen und an die strenge Zucht zu gewöhnen, die man für das Haupter- forderniß eines heilsamen Staats- und Unterrichtswesens ansah. Aber die Macht der Tradition spottete aller Strafgesetze und Reglementirungen; in dem Bewußtsein, daß es sich in dem Kampf gegen die neue Ordnung um mehr als die Aufrechterhaltung burschikoser Unarten handele, hielt die studirende Jugend mit eiserner Zähigkeit an ihrem „Comment" und ihren verpöntem Corpsver¬ bindungen fest, die hier ein streng geschlossenes, nach burschenschaftlichen Grund¬ sätzen geordnetes Ganze bildeten, dessen Willen sich jeder füg.en mußte, den nicht der Bann seiner Commilitonen treffen sollte. Es half wenig, daß die Anlegung des Uniformrocks erzwungen wurde, daß man die Aufzüge und öffent¬ lichen Festlichkeiten früherer Zeit verhinderte — der trotzige Geist des alten Burschenthums wußte sich zu erhalten, kräftiger und reicher denn je war das innere Leben der Verbindungen; die strenge Satzung, die über denselben wal¬ tete, diente einzig dazu, dem jugendlichen Treiben einen idealen Hintergrund zu geben, von dessen Bedeutung auch der Unbedeutendste etwas ahnte, und dem alten soldatischen Kurator blieb nichts übrig, als ein Auge zuzudrücken, wenn man ihm sagte, die Herrschaft des Studentenstaats über seine Glieder sei unan¬ greifbar und werde nicht auszurotten sein, solange die Universität überhaupt bestehe. Während der vierziger und fünfziger Jahre nahm die Bedrückung unaufhörlich zu; als der Rector Ulmann im Jahr 1843 ein Ehrengeschenk der Studentenschaft angenommen hatte (die ihn wegen der Beihilfe, welche er der Errichtung von Ehrengerichten geschenkt hatte, hoch verehrte), wurde er plötzlich entfernt und vier academische Lehrer, welche gegen dieses Verfahren Protest erhoben, mußten sein Loos theilen. Das Cooptationsrecht des academischen Senats wurde wiederholt durchbrochen, 1851 verlor die Universität das Recht, ihren Rector selbst zu wählen, wenig später sollte die Zahl der Studirenden auf 300 beschränkt, ein Theil der juristischen Vorlesungen in russischer Sprache gehalten werden — man ließ sich aber nicht beirren und harrte entschlossen aus, bis bessere Zeiten kamen. Und diese Zeiten blieben nicht aus. Alexan¬ der II., der sich schon durch die Rehabilitation des schwer gekränkten ehemali¬ gen Rector Ulmann (derselbe wurde nach 20jähriger Quiescirung zum Bischof der gesammten evangelischen Kirche Rußlands ernannt) als Freund der dorpa- ter Hochschule bewiesen hatte, hob die strengen Satzungen Uwarows auf und stellte die alte Freiheit der Hochschule in großmüthiger Weise wieder her. Auch äußerlich ist die Universität gegenwärtig wieder, was sie ihrem Wesen nach Von je gewesen, — die Hüterin protestantisch-deutscher Bildung und Wissen¬ schaft an der Ostsee, der Born, aus dem jedes heranwachsende Geschlecht Liebe und Verständniß für die geheiligten Traditionen der Heimat schöpft. Die in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/333
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/333>, abgerufen am 27.09.2024.