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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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oder auch nur offen discutiren, desto besser, -- dann hat es sich für die Zu¬
kunft selbst captivirt. Die moralische Wirkung eines Schrittes, der -- wenn auch
ohne wirklichen Grund -- ziemlich allgemein für eine Provocation des Tuilerien-
cabinets angesehen würde, müßte ferner der Kräftigung der nationalen Sache in
Deutschland unschätzbare Dienste leisten und die Feinde derselben ins Herz
treffen. Aus diesem Grunde, und nicht aus Parteilichkeit für die speciellen
Vorschläge unserer politischen Freunde, geben wir der Adresse der National¬
liberalen unbedingt den Vorzug vor dem conservativen Entwurf. Schon die
Aufschrift dieses letztern will uns nicht gefallen; so lange der Particularismus
noch so keck sein Haupt erhebt, wie gegenwärtig, kann keine Betonung des
föderativem Characters unsers norddeutschen Staats von heilsamer Wirkung
sein und weil jedes öffentlich gesprochene Wort über die Nothwendigkeit der
Heranziehung des Südens in Paris Anstoß giebt, liegt kein Grund dafür vor,
nicht möglichst deutlich und energisch zu reden. Ist das ein Mal geschehen, so
ist mindestens das Gerede der Schwarzen und Rothen in München und Stutt-
gart, welche immer wieder darauf zurückkommen, daß der norddeutsche Klein¬
muth gegen Frankreich nicht zu den Ansprüchen eines Großstaats stimme -- ein
für alle Mal auf den Mund geschlagen und der ungünstige Effect der Entschei¬
dung über Luxemburg aus der Welt geschafft. Seit Menschengedenken hat das
norddeutsche Volk zum ersten Male einen preußischen Minister des Auswärtigen
an seiner Spitze, der den besten Theil der Tapferkeit nicht in der Vorsicht sieht;
wenn der officielle und Verantwortliche Repräsentant der preußischen Politik ein
kräftiges Wort wie das des national-liberalen Adreßentwurfs für nicht unzulässig
hält, so liegt für das Volk und dessen Vertretung absolut kein Grund dafür vor, für
seinen Theil die Rollen der Bedächtiger und Aengstlichen zu übernehmen, welche
sonst in entscheidenden Zeiten an der Spitze unserer Geschäfte standen.

Von den Vorlagen, an deren Bearbeitung der Reichstag in nächster Zeit
gehen wird, verdient der Miguelsche Antrag auf Erlaß eines allgemeinen Wahl¬
gesetzes für alle Bundesstaaten, unseres Erachtens, besondere Berücksichtigung,
denn er füllt eine thatsächlich vorhandene Lücke aus, deren Unzuträglichkeiten
bereits wiederholt fühlbar geworden sind. Es ist schlechterdings nicht abzusehen,
warum kleinstaatliche Eigenthümlichkeiten vom Schlage der mecklenburgischen,
dem Volk die Freiheit seines Wahlrechts wenn nicht verkürzen, so doch einengen,
und das Bewußtsein nehmen sollen, daß allenthalben im Bundesstaat wenig¬
stens in Bundesangelegenheiten nach einer Elle gemessen werde. Weriii es
auch nicht unwahrscheinlich ist, daß die Conservativen dieses Mal mit der "con-
stitutionell-föderativem" d. h. particularistischen Gruppe gegen die Nationallib- ihter
Front machen werden, so dürfte an der Annahme dieses Antrags doch ni l t zu
Zweifeln sein, denn die Fortschrittspartei kann demselben ihre Unterstützung nicht
versagen, um für Mecklenburg. Neuß oder Waldeck Partei zu nehmen. Von


oder auch nur offen discutiren, desto besser, — dann hat es sich für die Zu¬
kunft selbst captivirt. Die moralische Wirkung eines Schrittes, der — wenn auch
ohne wirklichen Grund — ziemlich allgemein für eine Provocation des Tuilerien-
cabinets angesehen würde, müßte ferner der Kräftigung der nationalen Sache in
Deutschland unschätzbare Dienste leisten und die Feinde derselben ins Herz
treffen. Aus diesem Grunde, und nicht aus Parteilichkeit für die speciellen
Vorschläge unserer politischen Freunde, geben wir der Adresse der National¬
liberalen unbedingt den Vorzug vor dem conservativen Entwurf. Schon die
Aufschrift dieses letztern will uns nicht gefallen; so lange der Particularismus
noch so keck sein Haupt erhebt, wie gegenwärtig, kann keine Betonung des
föderativem Characters unsers norddeutschen Staats von heilsamer Wirkung
sein und weil jedes öffentlich gesprochene Wort über die Nothwendigkeit der
Heranziehung des Südens in Paris Anstoß giebt, liegt kein Grund dafür vor,
nicht möglichst deutlich und energisch zu reden. Ist das ein Mal geschehen, so
ist mindestens das Gerede der Schwarzen und Rothen in München und Stutt-
gart, welche immer wieder darauf zurückkommen, daß der norddeutsche Klein¬
muth gegen Frankreich nicht zu den Ansprüchen eines Großstaats stimme — ein
für alle Mal auf den Mund geschlagen und der ungünstige Effect der Entschei¬
dung über Luxemburg aus der Welt geschafft. Seit Menschengedenken hat das
norddeutsche Volk zum ersten Male einen preußischen Minister des Auswärtigen
an seiner Spitze, der den besten Theil der Tapferkeit nicht in der Vorsicht sieht;
wenn der officielle und Verantwortliche Repräsentant der preußischen Politik ein
kräftiges Wort wie das des national-liberalen Adreßentwurfs für nicht unzulässig
hält, so liegt für das Volk und dessen Vertretung absolut kein Grund dafür vor, für
seinen Theil die Rollen der Bedächtiger und Aengstlichen zu übernehmen, welche
sonst in entscheidenden Zeiten an der Spitze unserer Geschäfte standen.

Von den Vorlagen, an deren Bearbeitung der Reichstag in nächster Zeit
gehen wird, verdient der Miguelsche Antrag auf Erlaß eines allgemeinen Wahl¬
gesetzes für alle Bundesstaaten, unseres Erachtens, besondere Berücksichtigung,
denn er füllt eine thatsächlich vorhandene Lücke aus, deren Unzuträglichkeiten
bereits wiederholt fühlbar geworden sind. Es ist schlechterdings nicht abzusehen,
warum kleinstaatliche Eigenthümlichkeiten vom Schlage der mecklenburgischen,
dem Volk die Freiheit seines Wahlrechts wenn nicht verkürzen, so doch einengen,
und das Bewußtsein nehmen sollen, daß allenthalben im Bundesstaat wenig¬
stens in Bundesangelegenheiten nach einer Elle gemessen werde. Weriii es
auch nicht unwahrscheinlich ist, daß die Conservativen dieses Mal mit der „con-
stitutionell-föderativem" d. h. particularistischen Gruppe gegen die Nationallib- ihter
Front machen werden, so dürfte an der Annahme dieses Antrags doch ni l t zu
Zweifeln sein, denn die Fortschrittspartei kann demselben ihre Unterstützung nicht
versagen, um für Mecklenburg. Neuß oder Waldeck Partei zu nehmen. Von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/33>, abgerufen am 27.09.2024.