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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Es dürfte kaum eine europäische Zeitung geben, welche es nicht für Pflicht
gehalten hätte, ihre Meinung über bie Rathsamkeit oder Unrathsamkeit des
projectirten allgemeinen Kongresses abzugeben. Von gewissen französischen Re-
gierungsorgancn abgesehen, hat sich aber keine Stimme erhoben, welche diesen
Plan freudig begrüßt hätte, -- und in der That läßt sich schlechterdings nicht
absehen, wozu derselbe führen und wie ein Kongreß die römische Frage regeln
soll. Italien ist ein konstitutioneller Staat, die Politik Menabreas muß, wenn
sie Bestand haben soll, eine parlamentarische Majorität hinter sich haben. Eine
italienische Volksvertretung, welche die Schmach der letzten Wochen besiegelte, wird
aber weder Victor Emanuel noch einer seiner Minister aufzutreiben im Stande
sein. Märe das Fortbestehen des Kirchenstaates neben dem italienischen König¬
thum nicht schon längst eine Unmöglichkeit gewesen, die letzte französische In¬
tervention hätte es zu einer solchen gemacht. Mag die Integrität des gegen¬
wärtigen römischen Gebiets von Frankreich oder von der Mehrzahl aller Staa¬
ten Europas verlangt werden -- das italienische Königthum ist außer Stande,
dieselbe zu gcirantiren. Die einzig mögliche Gewähr besteht in einer starken
französischen Besatzung, und weil Napoleon selbst weiß, daß diese mit der Selbst-
Vernichtung skiner italienischen Schöpfung identisch ist, hat er den Ausweg
einer Entscheidung durch den europäischen Areopag vorgeschlagen. Mag dieser
seinen Richtsrspruch fällen wie er wolle, die einmal gegebenen Verhältnisse ver¬
mag er nicht zu ändern. Das Resultat der Entwickelung des europäischen
Völkerlebens der letzten zehn Jahre ist die Negation der alten Lehre, nach wel¬
cher die Bedingungen der Organisation des Einzelstaats von ihrem Verhältniß
zu dem "System" abhängig sind, in welches die Minister der Großmächte den
Weltihcil zu zwängen für nothwendig halten. Das moderne europäische Staats-
recht dreht die Sache um, und macht die Konfiguration des Ganzen von der
Wohlfahrt und der naturgemäßen Constituirung der einzelnen Nationalitäten
abhängig.

Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet erscheint es ziemlich gleichgiltig, wie
die verschiedenen Theilnehmer eines europäischen Kongresses über die Lösung
der römischen Frage denken würden, -- vermögen sie es doch nicht, an den
Bedingungen des natürlichen Verlaufs derselben irgend etwas zu ändern. Das
Wagestück, zu Gunsten des neunten Pius mit bewaffneter Hand zu interveniren,
wird von den Großmächten keine dem französischen Kaiserreich nachmachen,
Preußen, Rußland und England haben keine katholischen Interessen zu vertreten,
und Oesterreich ist durch seine inneren Schwierigkeiten wie durch seine Be¬
ziehungen zu den Nachbarstaaten an einem Vorgehen dieser Art verhindert.

Will Frankreich aber den Andeutungen des Moniteur gemäß seine Truppen
bis zur gänzlichen Pacisieation Mittelitaliens in Rom und Civitavecchia lassen,
so scheint, mag der Kongreß sagen, was er wolle, ein Krieg unvermeidlich


Es dürfte kaum eine europäische Zeitung geben, welche es nicht für Pflicht
gehalten hätte, ihre Meinung über bie Rathsamkeit oder Unrathsamkeit des
projectirten allgemeinen Kongresses abzugeben. Von gewissen französischen Re-
gierungsorgancn abgesehen, hat sich aber keine Stimme erhoben, welche diesen
Plan freudig begrüßt hätte, — und in der That läßt sich schlechterdings nicht
absehen, wozu derselbe führen und wie ein Kongreß die römische Frage regeln
soll. Italien ist ein konstitutioneller Staat, die Politik Menabreas muß, wenn
sie Bestand haben soll, eine parlamentarische Majorität hinter sich haben. Eine
italienische Volksvertretung, welche die Schmach der letzten Wochen besiegelte, wird
aber weder Victor Emanuel noch einer seiner Minister aufzutreiben im Stande
sein. Märe das Fortbestehen des Kirchenstaates neben dem italienischen König¬
thum nicht schon längst eine Unmöglichkeit gewesen, die letzte französische In¬
tervention hätte es zu einer solchen gemacht. Mag die Integrität des gegen¬
wärtigen römischen Gebiets von Frankreich oder von der Mehrzahl aller Staa¬
ten Europas verlangt werden — das italienische Königthum ist außer Stande,
dieselbe zu gcirantiren. Die einzig mögliche Gewähr besteht in einer starken
französischen Besatzung, und weil Napoleon selbst weiß, daß diese mit der Selbst-
Vernichtung skiner italienischen Schöpfung identisch ist, hat er den Ausweg
einer Entscheidung durch den europäischen Areopag vorgeschlagen. Mag dieser
seinen Richtsrspruch fällen wie er wolle, die einmal gegebenen Verhältnisse ver¬
mag er nicht zu ändern. Das Resultat der Entwickelung des europäischen
Völkerlebens der letzten zehn Jahre ist die Negation der alten Lehre, nach wel¬
cher die Bedingungen der Organisation des Einzelstaats von ihrem Verhältniß
zu dem „System" abhängig sind, in welches die Minister der Großmächte den
Weltihcil zu zwängen für nothwendig halten. Das moderne europäische Staats-
recht dreht die Sache um, und macht die Konfiguration des Ganzen von der
Wohlfahrt und der naturgemäßen Constituirung der einzelnen Nationalitäten
abhängig.

Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet erscheint es ziemlich gleichgiltig, wie
die verschiedenen Theilnehmer eines europäischen Kongresses über die Lösung
der römischen Frage denken würden, — vermögen sie es doch nicht, an den
Bedingungen des natürlichen Verlaufs derselben irgend etwas zu ändern. Das
Wagestück, zu Gunsten des neunten Pius mit bewaffneter Hand zu interveniren,
wird von den Großmächten keine dem französischen Kaiserreich nachmachen,
Preußen, Rußland und England haben keine katholischen Interessen zu vertreten,
und Oesterreich ist durch seine inneren Schwierigkeiten wie durch seine Be¬
ziehungen zu den Nachbarstaaten an einem Vorgehen dieser Art verhindert.

Will Frankreich aber den Andeutungen des Moniteur gemäß seine Truppen
bis zur gänzlichen Pacisieation Mittelitaliens in Rom und Civitavecchia lassen,
so scheint, mag der Kongreß sagen, was er wolle, ein Krieg unvermeidlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/320>, abgerufen am 27.09.2024.