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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Das war nun doch kein kleiner Trost für loyale Gemüther; auch der cott-
servative schwarzrothe Patriot mußte sich dadurch aufgefordert fühlen, das Sei¬
nige dazu beizutragen, daß seinem Könige das Worthalten erleichtert würde.
Manchem, der bisher vorsichtig zurückgehalten, gedieh jetzt ein heldenhafter
Muth, mit seiner Ueberzeugung hervorzutreten. Insbesondere wollte man be¬
merken, daß in den bürgerlichen Collegicn der Residenzstadt jetzt eben der un¬
widerstehliche Drang erwachte, sich an den Kundgebungen zu betheiligen. Vie¬
len waren unerwartet, wie dem Munde des Oberbürgermeisters bei der Versamm¬
lung im Bürgerhause beredte Worte zum Lob des norddeutschen Bundes und
zum Tadel particularistischer Ueberhebung entflossen. Eine national-liberale
Aera schien leuchtend über der Stadt am Nescnbach aufzugehn. Und beschämt
stand der Ultrarvyalismus des "Beobachter" daneben. Sein hochherziges An¬
gebot mit der Civilliste bis ans Ende der Tage war unbeachtet geblieben, die
Hoffnung auf ein Ministerium Neuratl) war dahin, seitdem der König im ersten
Ministerrath nach seiner Rückkehr Hrn. v. Varnbüler für den Fall der Verwer¬
fung der Verträge die Ermächtigung zur Kammcrauflösung ertheilt hatte.

Nichts desto weniger hörte man von den Particularistischen Blättern mit
affectirter Kaltblütigkeit Tag für Tag versichern, die Verwerfung der Verträge
durch unsere zweite Kammer sei über alle Zweifel erhaben und bereits vollendete
Thatsache. Der Zweck war einfach, durch diese Behauptung jene zweifelhafte
Gruppe von Abgeordneten, welche weder der deutschen, noch der dcmocratisch-
ultramontancn, noch der Regierungspartei angehören und die weniger um ihrer
Bedeutung als um ihrer Zahl willen fast ausschlaggebend waren, festzuhalten
und dem drohenden Abfall vorzubeugen. Die Wirkung war freilich die ent¬
gegengesetzte, denn durch die Dreistigkeit jener Versicherung wurde im Land erst
recht das Gefühl der vorhandenen Gefahr geweckt und verbreitet, jetzt erfolgten
die Kundgebungen, welche selbst wieder am meisten auf jene dunkle Gruppe
von Volksvertretern, für welche die Bezeichnung "Fraction Sumpf" üblich ge¬
worden ist, von Einfluß sein mußten. Ohnedies beschlich das Gefühl völliger
Vereinsamung allmählich auch die wärmsten Verehrer der Südbundsidccn. Auf
die völlig verprcußten, für die Schmach freiwilliger Knechtschaft ordentlich schwär¬
menden Badener hatte man freilich niemals gerechnet. Aber schmerzlich war,
daß auch die bayrische Abgeordnetenkammer, auf die man einen Augenblick
schüchterne Hoffnung gesetzt hatte, den Zollvereinsvertrag nicht blos genehmigte,
sondern mit Freuden und mit überwältigender Mehrheit genehmigte. Nachdem
das bayrische Volkshaus diesen Beschluß gefaßt, oder wie ein nicdcrbajuvarisches
Alatt sich glücklich ausdrückte, diesen "Begräbnißact des bayrischen Selbststandes
und Lebenswohls" vollzogen halte, blieb nur uoch eine Hoffnung übrig: die
bayrische Ncichsrathskammer.

Und an diese letzte Hoffnung klammerten sich nun die vereinigten Demo-


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Das war nun doch kein kleiner Trost für loyale Gemüther; auch der cott-
servative schwarzrothe Patriot mußte sich dadurch aufgefordert fühlen, das Sei¬
nige dazu beizutragen, daß seinem Könige das Worthalten erleichtert würde.
Manchem, der bisher vorsichtig zurückgehalten, gedieh jetzt ein heldenhafter
Muth, mit seiner Ueberzeugung hervorzutreten. Insbesondere wollte man be¬
merken, daß in den bürgerlichen Collegicn der Residenzstadt jetzt eben der un¬
widerstehliche Drang erwachte, sich an den Kundgebungen zu betheiligen. Vie¬
len waren unerwartet, wie dem Munde des Oberbürgermeisters bei der Versamm¬
lung im Bürgerhause beredte Worte zum Lob des norddeutschen Bundes und
zum Tadel particularistischer Ueberhebung entflossen. Eine national-liberale
Aera schien leuchtend über der Stadt am Nescnbach aufzugehn. Und beschämt
stand der Ultrarvyalismus des „Beobachter" daneben. Sein hochherziges An¬
gebot mit der Civilliste bis ans Ende der Tage war unbeachtet geblieben, die
Hoffnung auf ein Ministerium Neuratl) war dahin, seitdem der König im ersten
Ministerrath nach seiner Rückkehr Hrn. v. Varnbüler für den Fall der Verwer¬
fung der Verträge die Ermächtigung zur Kammcrauflösung ertheilt hatte.

Nichts desto weniger hörte man von den Particularistischen Blättern mit
affectirter Kaltblütigkeit Tag für Tag versichern, die Verwerfung der Verträge
durch unsere zweite Kammer sei über alle Zweifel erhaben und bereits vollendete
Thatsache. Der Zweck war einfach, durch diese Behauptung jene zweifelhafte
Gruppe von Abgeordneten, welche weder der deutschen, noch der dcmocratisch-
ultramontancn, noch der Regierungspartei angehören und die weniger um ihrer
Bedeutung als um ihrer Zahl willen fast ausschlaggebend waren, festzuhalten
und dem drohenden Abfall vorzubeugen. Die Wirkung war freilich die ent¬
gegengesetzte, denn durch die Dreistigkeit jener Versicherung wurde im Land erst
recht das Gefühl der vorhandenen Gefahr geweckt und verbreitet, jetzt erfolgten
die Kundgebungen, welche selbst wieder am meisten auf jene dunkle Gruppe
von Volksvertretern, für welche die Bezeichnung „Fraction Sumpf" üblich ge¬
worden ist, von Einfluß sein mußten. Ohnedies beschlich das Gefühl völliger
Vereinsamung allmählich auch die wärmsten Verehrer der Südbundsidccn. Auf
die völlig verprcußten, für die Schmach freiwilliger Knechtschaft ordentlich schwär¬
menden Badener hatte man freilich niemals gerechnet. Aber schmerzlich war,
daß auch die bayrische Abgeordnetenkammer, auf die man einen Augenblick
schüchterne Hoffnung gesetzt hatte, den Zollvereinsvertrag nicht blos genehmigte,
sondern mit Freuden und mit überwältigender Mehrheit genehmigte. Nachdem
das bayrische Volkshaus diesen Beschluß gefaßt, oder wie ein nicdcrbajuvarisches
Alatt sich glücklich ausdrückte, diesen „Begräbnißact des bayrischen Selbststandes
und Lebenswohls" vollzogen halte, blieb nur uoch eine Hoffnung übrig: die
bayrische Ncichsrathskammer.

Und an diese letzte Hoffnung klammerten sich nun die vereinigten Demo-


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[0315] Das war nun doch kein kleiner Trost für loyale Gemüther; auch der cott- servative schwarzrothe Patriot mußte sich dadurch aufgefordert fühlen, das Sei¬ nige dazu beizutragen, daß seinem Könige das Worthalten erleichtert würde. Manchem, der bisher vorsichtig zurückgehalten, gedieh jetzt ein heldenhafter Muth, mit seiner Ueberzeugung hervorzutreten. Insbesondere wollte man be¬ merken, daß in den bürgerlichen Collegicn der Residenzstadt jetzt eben der un¬ widerstehliche Drang erwachte, sich an den Kundgebungen zu betheiligen. Vie¬ len waren unerwartet, wie dem Munde des Oberbürgermeisters bei der Versamm¬ lung im Bürgerhause beredte Worte zum Lob des norddeutschen Bundes und zum Tadel particularistischer Ueberhebung entflossen. Eine national-liberale Aera schien leuchtend über der Stadt am Nescnbach aufzugehn. Und beschämt stand der Ultrarvyalismus des „Beobachter" daneben. Sein hochherziges An¬ gebot mit der Civilliste bis ans Ende der Tage war unbeachtet geblieben, die Hoffnung auf ein Ministerium Neuratl) war dahin, seitdem der König im ersten Ministerrath nach seiner Rückkehr Hrn. v. Varnbüler für den Fall der Verwer¬ fung der Verträge die Ermächtigung zur Kammcrauflösung ertheilt hatte. Nichts desto weniger hörte man von den Particularistischen Blättern mit affectirter Kaltblütigkeit Tag für Tag versichern, die Verwerfung der Verträge durch unsere zweite Kammer sei über alle Zweifel erhaben und bereits vollendete Thatsache. Der Zweck war einfach, durch diese Behauptung jene zweifelhafte Gruppe von Abgeordneten, welche weder der deutschen, noch der dcmocratisch- ultramontancn, noch der Regierungspartei angehören und die weniger um ihrer Bedeutung als um ihrer Zahl willen fast ausschlaggebend waren, festzuhalten und dem drohenden Abfall vorzubeugen. Die Wirkung war freilich die ent¬ gegengesetzte, denn durch die Dreistigkeit jener Versicherung wurde im Land erst recht das Gefühl der vorhandenen Gefahr geweckt und verbreitet, jetzt erfolgten die Kundgebungen, welche selbst wieder am meisten auf jene dunkle Gruppe von Volksvertretern, für welche die Bezeichnung „Fraction Sumpf" üblich ge¬ worden ist, von Einfluß sein mußten. Ohnedies beschlich das Gefühl völliger Vereinsamung allmählich auch die wärmsten Verehrer der Südbundsidccn. Auf die völlig verprcußten, für die Schmach freiwilliger Knechtschaft ordentlich schwär¬ menden Badener hatte man freilich niemals gerechnet. Aber schmerzlich war, daß auch die bayrische Abgeordnetenkammer, auf die man einen Augenblick schüchterne Hoffnung gesetzt hatte, den Zollvereinsvertrag nicht blos genehmigte, sondern mit Freuden und mit überwältigender Mehrheit genehmigte. Nachdem das bayrische Volkshaus diesen Beschluß gefaßt, oder wie ein nicdcrbajuvarisches Alatt sich glücklich ausdrückte, diesen „Begräbnißact des bayrischen Selbststandes und Lebenswohls" vollzogen halte, blieb nur uoch eine Hoffnung übrig: die bayrische Ncichsrathskammer. Und an diese letzte Hoffnung klammerten sich nun die vereinigten Demo- 4<N

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/315>, abgerufen am 27.09.2024.