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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Interessen auch das nationale Moment der Verträge kräftig hervorhob, mit
allen gegen Eine Stimme. Auch die Arbeitervereine, endlich die Magistrate
singen an in die Bewegung einzutreten, die allmählich recht respectable Dimen¬
sionen annahm, wenn sie auch nicht die Temperatur der bayrischen Bewegung
erreichte. Eine ansehnliche Bürgervcrsammlung zu Stuttgart, welcher der Ober¬
bürgermeister der Residenzstadt präsidirte, machte unmittelbar vor Beginn der
Kammerdebatten den Beschluß dieser Demonstrationen. Was die Volkspartei
dagegen aufzubringen hatte, war gleich Null. Wo blieben jene 43,000 Männer,
die vor einem Jahr ihre berühmten Unterschriften unter die Adressen der
Volkspartei gesetzt hatten, unter jene Adressen, die je nach den 4 Kreisen des
Landes in 4 stattliche Bände gefaßt, Muster der Papeterie, in den Archiven
des Ministeriums des Innern schlummern? So viel war unleugbar, die In¬
teressen des Landes hatten laut gesprochen, die Stimme der urteilsfähigen
Kreise pochte vernehmlich an die Thüren des Halbmondsaals und es war
wenig tactvoll, als man sie innerhalb dieses geweihten Raumes mit Witzen
über die banausischen Pfeffersäcke glaubte abfertigen zu können; wobei jedoch
nicht verschwiegen werden soll, daß die Agitation wider die "unabsehbaren Ge¬
fahren" einer Sprengung des Zollvereins allerdings zuweilen einen kleinlichen
und weinerlichen Charakter anzunehmen drohte.

Und noch ein Bundesgenosse erschien, unverhofft, in elfter Stunde. Das
Ministerium hatte bis zuletzt sich einer fröhlichen Sorglosigkeit hingegeben und
die Agitation für die Verträge, die Widerlegung der Mohlschen Monstrositäten
einzig der deutschen Partei überlassen, was sehr bequem war, aber über die
Herzensmeinung des Ministeriums nach wie vor im Dunkeln ließ. Daneben
sah man gelassen zu, wie die öffentliche Meinung von der unter den Oberamt-
leutcn stehenden Localprcsse fortgesetzt in einer Weise bearbeitet wurde, als seien
Jnstructionen noch in Kraft, die im Juni des denkwürdigen Jahres 1866 zur Zeit
des Vae VieUs gegeben worden. Bis zuletzt wurden die Untergebenen darüber
in Zweifel gelassen, ob sie sich der Negierung angenehmer machten, wenn sie
gegen die Vorlage oder für dieselbe wirkten. Jetzt stand man vor den Fol¬
gen eines solchen Schritts und die Regierung war nun doch ernstlich besorgt,
und sah sich nach Mitteln um, die bedrohte Sache zu stützen. Sie fand die¬
selben glücklich. Der König kam von seinem Aufenthalt 'am Bodensee nach
der Hauptstadt, wie dienstbeflissene Organe versicherten, um sein Interesse an
der bevorstehenden politischen Entscheidung zu bethätigen, und nun hielt er An¬
reden bei Audienzen, bei Diners, im Ministerrath, welche durch zuverlässige
Canale rasch zu weitester Verbreitung gebracht wurden, Anreden, in welchen
er seinen ernsten Entschluß ausdrückte, an den mit Preußen geschlossenen Ver¬
trägen festzuhalten, und die Erwartung' hinzufügte, daß so wie er Opfer ge¬
bracht, auch sein Land der Größe des Gesammtvaterlandes Opfer bringen werde.


Interessen auch das nationale Moment der Verträge kräftig hervorhob, mit
allen gegen Eine Stimme. Auch die Arbeitervereine, endlich die Magistrate
singen an in die Bewegung einzutreten, die allmählich recht respectable Dimen¬
sionen annahm, wenn sie auch nicht die Temperatur der bayrischen Bewegung
erreichte. Eine ansehnliche Bürgervcrsammlung zu Stuttgart, welcher der Ober¬
bürgermeister der Residenzstadt präsidirte, machte unmittelbar vor Beginn der
Kammerdebatten den Beschluß dieser Demonstrationen. Was die Volkspartei
dagegen aufzubringen hatte, war gleich Null. Wo blieben jene 43,000 Männer,
die vor einem Jahr ihre berühmten Unterschriften unter die Adressen der
Volkspartei gesetzt hatten, unter jene Adressen, die je nach den 4 Kreisen des
Landes in 4 stattliche Bände gefaßt, Muster der Papeterie, in den Archiven
des Ministeriums des Innern schlummern? So viel war unleugbar, die In¬
teressen des Landes hatten laut gesprochen, die Stimme der urteilsfähigen
Kreise pochte vernehmlich an die Thüren des Halbmondsaals und es war
wenig tactvoll, als man sie innerhalb dieses geweihten Raumes mit Witzen
über die banausischen Pfeffersäcke glaubte abfertigen zu können; wobei jedoch
nicht verschwiegen werden soll, daß die Agitation wider die „unabsehbaren Ge¬
fahren" einer Sprengung des Zollvereins allerdings zuweilen einen kleinlichen
und weinerlichen Charakter anzunehmen drohte.

Und noch ein Bundesgenosse erschien, unverhofft, in elfter Stunde. Das
Ministerium hatte bis zuletzt sich einer fröhlichen Sorglosigkeit hingegeben und
die Agitation für die Verträge, die Widerlegung der Mohlschen Monstrositäten
einzig der deutschen Partei überlassen, was sehr bequem war, aber über die
Herzensmeinung des Ministeriums nach wie vor im Dunkeln ließ. Daneben
sah man gelassen zu, wie die öffentliche Meinung von der unter den Oberamt-
leutcn stehenden Localprcsse fortgesetzt in einer Weise bearbeitet wurde, als seien
Jnstructionen noch in Kraft, die im Juni des denkwürdigen Jahres 1866 zur Zeit
des Vae VieUs gegeben worden. Bis zuletzt wurden die Untergebenen darüber
in Zweifel gelassen, ob sie sich der Negierung angenehmer machten, wenn sie
gegen die Vorlage oder für dieselbe wirkten. Jetzt stand man vor den Fol¬
gen eines solchen Schritts und die Regierung war nun doch ernstlich besorgt,
und sah sich nach Mitteln um, die bedrohte Sache zu stützen. Sie fand die¬
selben glücklich. Der König kam von seinem Aufenthalt 'am Bodensee nach
der Hauptstadt, wie dienstbeflissene Organe versicherten, um sein Interesse an
der bevorstehenden politischen Entscheidung zu bethätigen, und nun hielt er An¬
reden bei Audienzen, bei Diners, im Ministerrath, welche durch zuverlässige
Canale rasch zu weitester Verbreitung gebracht wurden, Anreden, in welchen
er seinen ernsten Entschluß ausdrückte, an den mit Preußen geschlossenen Ver¬
trägen festzuhalten, und die Erwartung' hinzufügte, daß so wie er Opfer ge¬
bracht, auch sein Land der Größe des Gesammtvaterlandes Opfer bringen werde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/314>, abgerufen am 27.09.2024.