Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dritten Orte nach beiden Richtungen gewandert sein. Endlich gab es noch eine
dritte Möglichkeit. Es könnte eine Naturnothwendigkeit geben, vermöge welcher
gleiche Begriffe in den Sprachen durch gleiche oder ähnliche Laute bezeichnet
werden müßten. Beruhte die Uebereinstimmung zwischen dem Sanskrit und
jenen anderen Sprachen auf einer dieser drei Anlässe, so würde sie zwar immer¬
hin bemerkenswert!), aber nicht geeignet sein, darauf weitere Schlüsse über eine
uralte Gemeinschaft dieser Sprachen zu gründen. Und da hat nun eben Bopp
zuerst so zu sagen die Formel gefunden um richtig zu unterscheiden und zu
entscheiden. Nichts haftet so fest an der Sprache als die Form, namentlich
als jene kleinen beweglichen selten vorn, öfter hinten angefügten Silben oder
Einzellaute, welche in den am reichsten ausgestatteten Sprachen den Zweck er¬
füllen, bie mannigfaltigen Beziehungen eines Wortes zu anderen im Zusammen¬
hang der Rede auszudrücken. Der Grieche bezeichnet das "ich" im Verbum ur¬
sprünglich durch die Silbe mi, das "du" durch si, das "er, sie oder es" durch ti,
ebenso der Inder z. B. lrK-M ich bin, a-si (für as-si) du bist, as-ti er ist,
urgricchisch es-mi, os-Li, "zö-ti. Solche Uebereinstimmung kann nicht Zufall
sein, denn sie wiederholt sich an Hunderten von Wörtern; sie kann ebensowenig
auf Übertragung beruhen, denn ich, du, er sind keine Waaren, die von Land
zu Land wandern; sie kann endlich nicht aus Naturnothwcndigt'eit beruhen,
denn es gibt Völker, welche zu demselben Zwecke völlig andere Laute verwenden,
und denen eine derartige Anfügung von Endungen gänzlich unbekannt ist.
Kann also gezeigt werden, daß in diesen Formen, daß in dem was wir jetzt
den Bau der Sprache nennen, zwischen mehreren Sprachen eine durchgreifende
Uebereinstimmung stattfindet, so ist das ein untrügliches Zeichen historischen
Zusammenhanges, oder mit anderen Worten ihrer Zugehörigkeit zu einem
Stamme.

Und eben dies zeigte Bopp unwiderleglich und mit überzeugender Klar¬
heit in Bezug auf das Verbum, zunächst des Sanskrit, Griechischen, Lateini¬
schen und Deutschen, für welche letztere Sprache er auf ihren ältesten Reprä¬
sentanten, das Gothische zurückging. Das Oft- und Westende des so erkannten
Sprachstammes zusammenfassend nannte er diesen den indogermanischen.
Der Nachweis war natürlich nicht immer so leicht wie in dem herausgehobenen
Falle. Es bedürfte oft mannigfaltiger Combinationen und überall der sorg¬
fältigen Zerlegung einer Form in ihre Bestandtheile. Das Verfahren des ver¬
gleichenden Grammatikers hat man mit Recht mit der Scheidekunst des Chemikers
oder mit der Section des Anatomen verglichen. Auch blieb Bopp nicht beim
Verbum stehen. Er untersuchte später in gleicher Weise die Declination, so
wie die Wort- oder Stammbildung, Untersuchungen, die er endlich in seinem
größten Werke der Vergleichenden Grammatik zusammenfaßte, während
^ in seinem Sanöttitwörterbuch zahlreiche einzelne Wörter und Wurzeln der


37*

dritten Orte nach beiden Richtungen gewandert sein. Endlich gab es noch eine
dritte Möglichkeit. Es könnte eine Naturnothwendigkeit geben, vermöge welcher
gleiche Begriffe in den Sprachen durch gleiche oder ähnliche Laute bezeichnet
werden müßten. Beruhte die Uebereinstimmung zwischen dem Sanskrit und
jenen anderen Sprachen auf einer dieser drei Anlässe, so würde sie zwar immer¬
hin bemerkenswert!), aber nicht geeignet sein, darauf weitere Schlüsse über eine
uralte Gemeinschaft dieser Sprachen zu gründen. Und da hat nun eben Bopp
zuerst so zu sagen die Formel gefunden um richtig zu unterscheiden und zu
entscheiden. Nichts haftet so fest an der Sprache als die Form, namentlich
als jene kleinen beweglichen selten vorn, öfter hinten angefügten Silben oder
Einzellaute, welche in den am reichsten ausgestatteten Sprachen den Zweck er¬
füllen, bie mannigfaltigen Beziehungen eines Wortes zu anderen im Zusammen¬
hang der Rede auszudrücken. Der Grieche bezeichnet das „ich" im Verbum ur¬
sprünglich durch die Silbe mi, das „du" durch si, das „er, sie oder es" durch ti,
ebenso der Inder z. B. lrK-M ich bin, a-si (für as-si) du bist, as-ti er ist,
urgricchisch es-mi, os-Li, «zö-ti. Solche Uebereinstimmung kann nicht Zufall
sein, denn sie wiederholt sich an Hunderten von Wörtern; sie kann ebensowenig
auf Übertragung beruhen, denn ich, du, er sind keine Waaren, die von Land
zu Land wandern; sie kann endlich nicht aus Naturnothwcndigt'eit beruhen,
denn es gibt Völker, welche zu demselben Zwecke völlig andere Laute verwenden,
und denen eine derartige Anfügung von Endungen gänzlich unbekannt ist.
Kann also gezeigt werden, daß in diesen Formen, daß in dem was wir jetzt
den Bau der Sprache nennen, zwischen mehreren Sprachen eine durchgreifende
Uebereinstimmung stattfindet, so ist das ein untrügliches Zeichen historischen
Zusammenhanges, oder mit anderen Worten ihrer Zugehörigkeit zu einem
Stamme.

Und eben dies zeigte Bopp unwiderleglich und mit überzeugender Klar¬
heit in Bezug auf das Verbum, zunächst des Sanskrit, Griechischen, Lateini¬
schen und Deutschen, für welche letztere Sprache er auf ihren ältesten Reprä¬
sentanten, das Gothische zurückging. Das Oft- und Westende des so erkannten
Sprachstammes zusammenfassend nannte er diesen den indogermanischen.
Der Nachweis war natürlich nicht immer so leicht wie in dem herausgehobenen
Falle. Es bedürfte oft mannigfaltiger Combinationen und überall der sorg¬
fältigen Zerlegung einer Form in ihre Bestandtheile. Das Verfahren des ver¬
gleichenden Grammatikers hat man mit Recht mit der Scheidekunst des Chemikers
oder mit der Section des Anatomen verglichen. Auch blieb Bopp nicht beim
Verbum stehen. Er untersuchte später in gleicher Weise die Declination, so
wie die Wort- oder Stammbildung, Untersuchungen, die er endlich in seinem
größten Werke der Vergleichenden Grammatik zusammenfaßte, während
^ in seinem Sanöttitwörterbuch zahlreiche einzelne Wörter und Wurzeln der


37*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192052"/>
          <p xml:id="ID_806" prev="#ID_805"> dritten Orte nach beiden Richtungen gewandert sein. Endlich gab es noch eine<lb/>
dritte Möglichkeit. Es könnte eine Naturnothwendigkeit geben, vermöge welcher<lb/>
gleiche Begriffe in den Sprachen durch gleiche oder ähnliche Laute bezeichnet<lb/>
werden müßten. Beruhte die Uebereinstimmung zwischen dem Sanskrit und<lb/>
jenen anderen Sprachen auf einer dieser drei Anlässe, so würde sie zwar immer¬<lb/>
hin bemerkenswert!), aber nicht geeignet sein, darauf weitere Schlüsse über eine<lb/>
uralte Gemeinschaft dieser Sprachen zu gründen. Und da hat nun eben Bopp<lb/>
zuerst so zu sagen die Formel gefunden um richtig zu unterscheiden und zu<lb/>
entscheiden. Nichts haftet so fest an der Sprache als die Form, namentlich<lb/>
als jene kleinen beweglichen selten vorn, öfter hinten angefügten Silben oder<lb/>
Einzellaute, welche in den am reichsten ausgestatteten Sprachen den Zweck er¬<lb/>
füllen, bie mannigfaltigen Beziehungen eines Wortes zu anderen im Zusammen¬<lb/>
hang der Rede auszudrücken. Der Grieche bezeichnet das &#x201E;ich" im Verbum ur¬<lb/>
sprünglich durch die Silbe mi, das &#x201E;du" durch si, das &#x201E;er, sie oder es" durch ti,<lb/>
ebenso der Inder z. B. lrK-M ich bin, a-si (für as-si) du bist, as-ti er ist,<lb/>
urgricchisch es-mi, os-Li, «zö-ti. Solche Uebereinstimmung kann nicht Zufall<lb/>
sein, denn sie wiederholt sich an Hunderten von Wörtern; sie kann ebensowenig<lb/>
auf Übertragung beruhen, denn ich, du, er sind keine Waaren, die von Land<lb/>
zu Land wandern; sie kann endlich nicht aus Naturnothwcndigt'eit beruhen,<lb/>
denn es gibt Völker, welche zu demselben Zwecke völlig andere Laute verwenden,<lb/>
und denen eine derartige Anfügung von Endungen gänzlich unbekannt ist.<lb/>
Kann also gezeigt werden, daß in diesen Formen, daß in dem was wir jetzt<lb/>
den Bau der Sprache nennen, zwischen mehreren Sprachen eine durchgreifende<lb/>
Uebereinstimmung stattfindet, so ist das ein untrügliches Zeichen historischen<lb/>
Zusammenhanges, oder mit anderen Worten ihrer Zugehörigkeit zu einem<lb/>
Stamme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Und eben dies zeigte Bopp unwiderleglich und mit überzeugender Klar¬<lb/>
heit in Bezug auf das Verbum, zunächst des Sanskrit, Griechischen, Lateini¬<lb/>
schen und Deutschen, für welche letztere Sprache er auf ihren ältesten Reprä¬<lb/>
sentanten, das Gothische zurückging. Das Oft- und Westende des so erkannten<lb/>
Sprachstammes zusammenfassend nannte er diesen den indogermanischen.<lb/>
Der Nachweis war natürlich nicht immer so leicht wie in dem herausgehobenen<lb/>
Falle. Es bedürfte oft mannigfaltiger Combinationen und überall der sorg¬<lb/>
fältigen Zerlegung einer Form in ihre Bestandtheile. Das Verfahren des ver¬<lb/>
gleichenden Grammatikers hat man mit Recht mit der Scheidekunst des Chemikers<lb/>
oder mit der Section des Anatomen verglichen. Auch blieb Bopp nicht beim<lb/>
Verbum stehen. Er untersuchte später in gleicher Weise die Declination, so<lb/>
wie die Wort- oder Stammbildung, Untersuchungen, die er endlich in seinem<lb/>
größten Werke der Vergleichenden Grammatik zusammenfaßte, während<lb/>
^ in seinem Sanöttitwörterbuch zahlreiche einzelne Wörter und Wurzeln der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 37*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0291] dritten Orte nach beiden Richtungen gewandert sein. Endlich gab es noch eine dritte Möglichkeit. Es könnte eine Naturnothwendigkeit geben, vermöge welcher gleiche Begriffe in den Sprachen durch gleiche oder ähnliche Laute bezeichnet werden müßten. Beruhte die Uebereinstimmung zwischen dem Sanskrit und jenen anderen Sprachen auf einer dieser drei Anlässe, so würde sie zwar immer¬ hin bemerkenswert!), aber nicht geeignet sein, darauf weitere Schlüsse über eine uralte Gemeinschaft dieser Sprachen zu gründen. Und da hat nun eben Bopp zuerst so zu sagen die Formel gefunden um richtig zu unterscheiden und zu entscheiden. Nichts haftet so fest an der Sprache als die Form, namentlich als jene kleinen beweglichen selten vorn, öfter hinten angefügten Silben oder Einzellaute, welche in den am reichsten ausgestatteten Sprachen den Zweck er¬ füllen, bie mannigfaltigen Beziehungen eines Wortes zu anderen im Zusammen¬ hang der Rede auszudrücken. Der Grieche bezeichnet das „ich" im Verbum ur¬ sprünglich durch die Silbe mi, das „du" durch si, das „er, sie oder es" durch ti, ebenso der Inder z. B. lrK-M ich bin, a-si (für as-si) du bist, as-ti er ist, urgricchisch es-mi, os-Li, «zö-ti. Solche Uebereinstimmung kann nicht Zufall sein, denn sie wiederholt sich an Hunderten von Wörtern; sie kann ebensowenig auf Übertragung beruhen, denn ich, du, er sind keine Waaren, die von Land zu Land wandern; sie kann endlich nicht aus Naturnothwcndigt'eit beruhen, denn es gibt Völker, welche zu demselben Zwecke völlig andere Laute verwenden, und denen eine derartige Anfügung von Endungen gänzlich unbekannt ist. Kann also gezeigt werden, daß in diesen Formen, daß in dem was wir jetzt den Bau der Sprache nennen, zwischen mehreren Sprachen eine durchgreifende Uebereinstimmung stattfindet, so ist das ein untrügliches Zeichen historischen Zusammenhanges, oder mit anderen Worten ihrer Zugehörigkeit zu einem Stamme. Und eben dies zeigte Bopp unwiderleglich und mit überzeugender Klar¬ heit in Bezug auf das Verbum, zunächst des Sanskrit, Griechischen, Lateini¬ schen und Deutschen, für welche letztere Sprache er auf ihren ältesten Reprä¬ sentanten, das Gothische zurückging. Das Oft- und Westende des so erkannten Sprachstammes zusammenfassend nannte er diesen den indogermanischen. Der Nachweis war natürlich nicht immer so leicht wie in dem herausgehobenen Falle. Es bedürfte oft mannigfaltiger Combinationen und überall der sorg¬ fältigen Zerlegung einer Form in ihre Bestandtheile. Das Verfahren des ver¬ gleichenden Grammatikers hat man mit Recht mit der Scheidekunst des Chemikers oder mit der Section des Anatomen verglichen. Auch blieb Bopp nicht beim Verbum stehen. Er untersuchte später in gleicher Weise die Declination, so wie die Wort- oder Stammbildung, Untersuchungen, die er endlich in seinem größten Werke der Vergleichenden Grammatik zusammenfaßte, während ^ in seinem Sanöttitwörterbuch zahlreiche einzelne Wörter und Wurzeln der 37*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/291
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/291>, abgerufen am 27.09.2024.