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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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herauslesen wird, bedangen die Livländer sich ganz besonders (P. XI.) aus:

"Weil wir Jhro Majestät aus unvermeidlicher und hoher, unumbgänglicher Noth
in diesen unsern Trcmgsalen und Beklemmungen, wodurch wir, nebst unsern
Fürsten, wegen des barbarischen Feindes Uebermuth in die äußerste Noth ge¬
bracht und vom römischen Reich verlassen, unser Leben, Weib und Kind nicht
beschützen können ......... uns unterwürfig gemacht haben: Als wolle
Ew. Königl. Majestät es dergestalt vermitteln, das wegen dieser unsres Fürsten
Ergebung und auch uns als Unterthanen bey dem unüberwindlichsten Kayser,
den Churfürsten, Fürsten und Ständen des römischen Reichs, unser Ehre und
Gut vertreten und gehandhabet werde, damit wir nicht etwa in öffentliche Reichs-
acht erkläret oder sonst mit andern Ehrenmakeln beschmitzet oder schädlich be¬
fählet, sondern vielmehr allerdings schadlos gehalten und erhalten werden."
Das Reich, das seine Ehre längst verloren/ sollte nicht übel von denen denken,
die von ihrem unüberwindlichen Kayser und denen Herren Churfürsten und
Ständen kampflos preisgegeben, von ihm gelassen hatten in der Stunde tödt-
licher Gefahr! Den Enkel, der diese Zeugnisse trotz bitteren Erfahrungen un-
beirrter Treue erröthend liest, will es bedeuten, nicht diese, sondern die Ironie
über den Jammer der Zustände, denen sie entronnen, habe den Livländcrn ein¬
gegeben, scheidend dem Reiche gegenüber ihre Ehre sicher zu stellen!

Wenn die Livländer sich von der Unterwerfung unter die pnlnisch-litthau-
ische Krone das Ende ihrer Leiden, Schutz vor dem"äußern Feinde und
Wahrung der Heiligthümer ihrer Vergangenheit versprochen hatten, so sollten sie
arg getäuscht werden. Mehr als die Hälfte des LOjährigen Abschnitts der
Polnischen Negierung verging unter blutigen Kriegen mit Russen und Schwe¬
den, die fast ausnahmslos auf livländischer Erde ausgefochten wurden und das
Land noch tiefer herabdrückten, als es bereits durch den russisch-tatarischen
Einfall geschehen war. Von einer Beobachtung der durch das Privilegium
König Sigismund Augusts verhießenen Rechte und Vorzüge war unter dem
recht- und gesetzlosen, wüsten Polenregiment vollends nicht die Rede. Der Con-
versionseifer fanatischer Jesuiten setzte es durch, daß ein katholischer Bischof
über Livland eingesetzt wurde, daß zu Riga, Werden und Dorpat lutherische
Kirchen in katholische verwandelt wurden und daß das Lutherthum zu der Rolle
einer bloß geduldeten Ketzerei herabsank. Allen Stipulationen zum Trotz, wurde das
Land unter polnische und lithauische Kastellane vertheilt, die garantirte Ver¬
fassung durch wiederholte Octroyimngen unkenntlich verändert, Recht und Her¬
kommen mit Füßen getreten und ernstliche Miene gemacht "die Transmariner
über das Meer zu jagen, von dannen sie gekommen". Unrettbar schien das
unglückliche, der Cultur nur zur Hälfte gewonnene Land in die Nacht alter
Barbarei zurückzusinken; elender denn je war der Zustand des von feindlichen
Soldaten und polnischen Beamten ausgesogenen Bauernstandes, auf dem, der


Grenzboten IV- 1867. 23

herauslesen wird, bedangen die Livländer sich ganz besonders (P. XI.) aus:

„Weil wir Jhro Majestät aus unvermeidlicher und hoher, unumbgänglicher Noth
in diesen unsern Trcmgsalen und Beklemmungen, wodurch wir, nebst unsern
Fürsten, wegen des barbarischen Feindes Uebermuth in die äußerste Noth ge¬
bracht und vom römischen Reich verlassen, unser Leben, Weib und Kind nicht
beschützen können ......... uns unterwürfig gemacht haben: Als wolle
Ew. Königl. Majestät es dergestalt vermitteln, das wegen dieser unsres Fürsten
Ergebung und auch uns als Unterthanen bey dem unüberwindlichsten Kayser,
den Churfürsten, Fürsten und Ständen des römischen Reichs, unser Ehre und
Gut vertreten und gehandhabet werde, damit wir nicht etwa in öffentliche Reichs-
acht erkläret oder sonst mit andern Ehrenmakeln beschmitzet oder schädlich be¬
fählet, sondern vielmehr allerdings schadlos gehalten und erhalten werden."
Das Reich, das seine Ehre längst verloren/ sollte nicht übel von denen denken,
die von ihrem unüberwindlichen Kayser und denen Herren Churfürsten und
Ständen kampflos preisgegeben, von ihm gelassen hatten in der Stunde tödt-
licher Gefahr! Den Enkel, der diese Zeugnisse trotz bitteren Erfahrungen un-
beirrter Treue erröthend liest, will es bedeuten, nicht diese, sondern die Ironie
über den Jammer der Zustände, denen sie entronnen, habe den Livländcrn ein¬
gegeben, scheidend dem Reiche gegenüber ihre Ehre sicher zu stellen!

Wenn die Livländer sich von der Unterwerfung unter die pnlnisch-litthau-
ische Krone das Ende ihrer Leiden, Schutz vor dem"äußern Feinde und
Wahrung der Heiligthümer ihrer Vergangenheit versprochen hatten, so sollten sie
arg getäuscht werden. Mehr als die Hälfte des LOjährigen Abschnitts der
Polnischen Negierung verging unter blutigen Kriegen mit Russen und Schwe¬
den, die fast ausnahmslos auf livländischer Erde ausgefochten wurden und das
Land noch tiefer herabdrückten, als es bereits durch den russisch-tatarischen
Einfall geschehen war. Von einer Beobachtung der durch das Privilegium
König Sigismund Augusts verhießenen Rechte und Vorzüge war unter dem
recht- und gesetzlosen, wüsten Polenregiment vollends nicht die Rede. Der Con-
versionseifer fanatischer Jesuiten setzte es durch, daß ein katholischer Bischof
über Livland eingesetzt wurde, daß zu Riga, Werden und Dorpat lutherische
Kirchen in katholische verwandelt wurden und daß das Lutherthum zu der Rolle
einer bloß geduldeten Ketzerei herabsank. Allen Stipulationen zum Trotz, wurde das
Land unter polnische und lithauische Kastellane vertheilt, die garantirte Ver¬
fassung durch wiederholte Octroyimngen unkenntlich verändert, Recht und Her¬
kommen mit Füßen getreten und ernstliche Miene gemacht „die Transmariner
über das Meer zu jagen, von dannen sie gekommen". Unrettbar schien das
unglückliche, der Cultur nur zur Hälfte gewonnene Land in die Nacht alter
Barbarei zurückzusinken; elender denn je war der Zustand des von feindlichen
Soldaten und polnischen Beamten ausgesogenen Bauernstandes, auf dem, der


Grenzboten IV- 1867. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/177>, abgerufen am 27.09.2024.