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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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und wollen zu diesem greifen, weil sie sich von anderen Mitteln noch weniger
Effect versprechen und weil sie aus Erfahrung wissen, daß der Ruhm einiger
gewonnenen Schlachten ihre Existenz mindestens auf ein halbes Jahrzehnt weiter
fristet. Die friedlich-liberalen Imperialisten der dynastischen Opposition sehen
weiter; sie verlangen eine Erweiterung der Volksfreiheit, weil sie von dieser
eine dauerndere Unterstützung des herrschenden Systems hoffen, als von einem
Kriege und weil sie den Wankelmuth der Schlachtengöttin fürchten.

Mit dem Glauben an die Möglichkeit einer freiheitlichen Entwickelung ist
es aber auch in diesen Kreisen nicht weit her. Sie erstreben die Freiheit nur
als Mittel zum Zweck. Sie wissen so genau, daß ein wahrhaft parlamentarisches
Regiment über kurz oder lang zu einem Umsturz der bestehenden Ordnung führen
würde, daß ihre Wünsche sich auf das bescheidenste Maß des Erreichbaren be¬
schränken und sich im wesentlichen zufrieden geben, wenn der Volksvertretung
die Möglichkeit geboten wird, künftig compromittirende Mißgriffe von der Art
der mexikanischen Expedition und der Experimente mit dem Oeäit mobilier
zu verhüten. In der Wahl ihrer Mittel von den Männern der Kriegs¬
partei verschieden, sind diese Politiker bezüglich ihrer letzten Zwecke
mit Jenen im Großen und Ganzen einig; auch ihre Politik lebt von der
Hand in den Mund und sieht wenig über den kommenden Morgen hinaus.
Einen wahrhaft gesunden Volkszustand herbeizuführen sind beide Fractionen der
kaiserlichen Anhängerschaft außer Stande, ja sie sehen es auf einen solchen nicht
einmal ab. In ihren Augen ist das Volk eben nichts mehr als ein vielköpfi¬
ges Ungeheuer, das aus irgend welchem Wege zur Ruhe gebracht werden muß,
mit dem sich auf die Dauer aber nichts anfangen läßt und das eigentlich nur
dazu da ist, das herrschende System und das Behagen derer, die sich auf dieses
System gestützt haben, zu erhalten. Der gemeinsame Familienzug beider
Gattungen von "öffentlichen Charakteren" ist eine kalte egoistische Blasirtheit,
die mit allem politischen Idealismus, mit allem Glauben an zu erreichende
sittliche Zwecke längst abgeschlossen hat; die einzelnen Schwärmer, die sich unter
ihnen finden, fühlen entweder das Bedürfniß der Aufregung durch Krieg, Kriegs¬
geschrei und kriegerisch-patriotische Phrasen, oder sie glauben, das Quentchen
Freiheit, das mit dem Imperialismus verträglich ist, werde dazu hinreichen,
em Leben der Nation eine edlere Richtung zu geben und von! den herrschenden
Classen den Koth abzustreifen, der an denselben klebt. Ist in !diesen Kreisen
davon die Rede, "was mit dem französischen Volk anzufangen sei", so lautet
der selbständige Nachsatz "damit das Kaiserthum und seine Freunde im Regiment
bleiben." Davon, mit dem Volk etwas um des Volkes willen anzufangen, denken
beide Fractionen nicht. Ganz anders sieht es bei der Opposition, bei den
Männern aus, welche den gegenwärtigen Zustand als einen Schaden, als ein
sittliches Uebel empfinden. Man hat sich bei uns seit den letzten Debatten im


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und wollen zu diesem greifen, weil sie sich von anderen Mitteln noch weniger
Effect versprechen und weil sie aus Erfahrung wissen, daß der Ruhm einiger
gewonnenen Schlachten ihre Existenz mindestens auf ein halbes Jahrzehnt weiter
fristet. Die friedlich-liberalen Imperialisten der dynastischen Opposition sehen
weiter; sie verlangen eine Erweiterung der Volksfreiheit, weil sie von dieser
eine dauerndere Unterstützung des herrschenden Systems hoffen, als von einem
Kriege und weil sie den Wankelmuth der Schlachtengöttin fürchten.

Mit dem Glauben an die Möglichkeit einer freiheitlichen Entwickelung ist
es aber auch in diesen Kreisen nicht weit her. Sie erstreben die Freiheit nur
als Mittel zum Zweck. Sie wissen so genau, daß ein wahrhaft parlamentarisches
Regiment über kurz oder lang zu einem Umsturz der bestehenden Ordnung führen
würde, daß ihre Wünsche sich auf das bescheidenste Maß des Erreichbaren be¬
schränken und sich im wesentlichen zufrieden geben, wenn der Volksvertretung
die Möglichkeit geboten wird, künftig compromittirende Mißgriffe von der Art
der mexikanischen Expedition und der Experimente mit dem Oeäit mobilier
zu verhüten. In der Wahl ihrer Mittel von den Männern der Kriegs¬
partei verschieden, sind diese Politiker bezüglich ihrer letzten Zwecke
mit Jenen im Großen und Ganzen einig; auch ihre Politik lebt von der
Hand in den Mund und sieht wenig über den kommenden Morgen hinaus.
Einen wahrhaft gesunden Volkszustand herbeizuführen sind beide Fractionen der
kaiserlichen Anhängerschaft außer Stande, ja sie sehen es auf einen solchen nicht
einmal ab. In ihren Augen ist das Volk eben nichts mehr als ein vielköpfi¬
ges Ungeheuer, das aus irgend welchem Wege zur Ruhe gebracht werden muß,
mit dem sich auf die Dauer aber nichts anfangen läßt und das eigentlich nur
dazu da ist, das herrschende System und das Behagen derer, die sich auf dieses
System gestützt haben, zu erhalten. Der gemeinsame Familienzug beider
Gattungen von „öffentlichen Charakteren" ist eine kalte egoistische Blasirtheit,
die mit allem politischen Idealismus, mit allem Glauben an zu erreichende
sittliche Zwecke längst abgeschlossen hat; die einzelnen Schwärmer, die sich unter
ihnen finden, fühlen entweder das Bedürfniß der Aufregung durch Krieg, Kriegs¬
geschrei und kriegerisch-patriotische Phrasen, oder sie glauben, das Quentchen
Freiheit, das mit dem Imperialismus verträglich ist, werde dazu hinreichen,
em Leben der Nation eine edlere Richtung zu geben und von! den herrschenden
Classen den Koth abzustreifen, der an denselben klebt. Ist in !diesen Kreisen
davon die Rede, „was mit dem französischen Volk anzufangen sei", so lautet
der selbständige Nachsatz „damit das Kaiserthum und seine Freunde im Regiment
bleiben." Davon, mit dem Volk etwas um des Volkes willen anzufangen, denken
beide Fractionen nicht. Ganz anders sieht es bei der Opposition, bei den
Männern aus, welche den gegenwärtigen Zustand als einen Schaden, als ein
sittliches Uebel empfinden. Man hat sich bei uns seit den letzten Debatten im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/157>, abgerufen am 27.09.2024.