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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Jeder Tag verstärkt für Frankreich die Nöthigung, endlich aus seinem bis¬
herigen schwanke" zwischen Kriegs- und Friedensschlüssen herauszutreten. Es
kann ihm nicht entgehen, daß durch die Fortdauer der bisherigen Zweideutig¬
keit sein Prästige viel sicherer untergraben wird, als durch rückhaltlose Aner¬
kennung der Thatsachen. Denn wenn es das Rundschreiben von 7. September,
die officiellen Kundgebungen aus Baden, die Adresse des norddeutschen Reichs¬
tags ruhig hinnimmt, ohne doch seine halbdrohende Haltung aufzugeben, so ist
nur die eine Deutung möglich, daß es wohl der Entwicklung der deutschen
Dinge entgegentreten möchte, aber, für den Augenblick wenigstens, doch vor dem
Aeußersten zurückschreckt. Die klare Sprache Bismarcks nicht minder als die
Lage der Geschäfte in Frankreich drängen zu einer Entscheidung. Noch scheint
dieselbe zu dieser Stunde nicht erfolgt. In der That wurde sie erschwert durch
die gleichzeitigen Verwicklungen, die von Rom her sich erhoben.

Es ist ein eigenes Zusammentreffen, daß auch in diesem Augenblick wie¬
der die Bahnen der deutschen und der italienischen Einheitsbewegung aufs
innigste sich berühren und zusammenlaufen. Hier wie dort ein Volk, das vor
dem letzten Ziele seiner staatlichen Entwicklung steche, hier wie dort der dro¬
hende Einspruch einer Macht, die auf zweideutige Verträge gestützt das neue Recht
der Völker nicht anerkennen will, hier wie dort das entschiedene Verlangen, die¬
ser unberechtigten Bevormundung ein für allemal sich zu entziehen. Noch ein¬
mal tritt an Frankreich die Versuchung heran, nach beiden Seiten seine illegi¬
timen Ansprüche aufrecht zu erhalten. Näher noch muß ihm der Gedanke liegen,
durch Nachgiebigkeit nach der einen Seite sich eine starke Position nach der an¬
dern zu verschaffen. Aber auch der dritte, eines großen sich selbst achtenden
Volks allein würdige Weg steht ihm noch offen, der Entschluß, andere Völker
nach ihrem freien Willen ihre inneren Angelegenheiten ordnen zu lassen.

Mit weit größerm Gleichmuth könnte man den Entschließungen Frankreichs
entgegensehen, w.um das Bismcncksche Rundschreiben sofort im Süden den ent¬
sprechenden Wiederhall gefunden hätte. Aber es scheint fast in Frankreich besser
verstanden und gewürdigt worden zu sein, als bei uns. Man hätte denken
sollen, nachdem das nationale Ziel von Preußen so unumwunden aufgestellt
und die Vollendung des Einheitswerkes einzig vom freiwilligen Entgegenkom¬
men des Südens abhängig gemacht ist, müßte die Bewegung vollends unauf¬
haltsam dem Ziele zueilen, jede Drohung ignorirend, jeden Widerstand zermal¬
mend. Allein gerade die Freiheit der Wahl, die dem Süden zugestanden ist,
kommt zunächst den Widerstandsmächten zu gute. Ohne auf die Bevölkerun¬
gen die elektrische Wirkung hervorzubringen, die bei einem Volke andern Tem¬
peraments oder minder entwickelten Localgeists nicht ausgeblieben wäre, ge¬
währt sie den Regierungen die erwünschte Frist, "".belästigt sich in den Rechten
ihrer Souveränität wohnlich einzurichten.


Jeder Tag verstärkt für Frankreich die Nöthigung, endlich aus seinem bis¬
herigen schwanke» zwischen Kriegs- und Friedensschlüssen herauszutreten. Es
kann ihm nicht entgehen, daß durch die Fortdauer der bisherigen Zweideutig¬
keit sein Prästige viel sicherer untergraben wird, als durch rückhaltlose Aner¬
kennung der Thatsachen. Denn wenn es das Rundschreiben von 7. September,
die officiellen Kundgebungen aus Baden, die Adresse des norddeutschen Reichs¬
tags ruhig hinnimmt, ohne doch seine halbdrohende Haltung aufzugeben, so ist
nur die eine Deutung möglich, daß es wohl der Entwicklung der deutschen
Dinge entgegentreten möchte, aber, für den Augenblick wenigstens, doch vor dem
Aeußersten zurückschreckt. Die klare Sprache Bismarcks nicht minder als die
Lage der Geschäfte in Frankreich drängen zu einer Entscheidung. Noch scheint
dieselbe zu dieser Stunde nicht erfolgt. In der That wurde sie erschwert durch
die gleichzeitigen Verwicklungen, die von Rom her sich erhoben.

Es ist ein eigenes Zusammentreffen, daß auch in diesem Augenblick wie¬
der die Bahnen der deutschen und der italienischen Einheitsbewegung aufs
innigste sich berühren und zusammenlaufen. Hier wie dort ein Volk, das vor
dem letzten Ziele seiner staatlichen Entwicklung steche, hier wie dort der dro¬
hende Einspruch einer Macht, die auf zweideutige Verträge gestützt das neue Recht
der Völker nicht anerkennen will, hier wie dort das entschiedene Verlangen, die¬
ser unberechtigten Bevormundung ein für allemal sich zu entziehen. Noch ein¬
mal tritt an Frankreich die Versuchung heran, nach beiden Seiten seine illegi¬
timen Ansprüche aufrecht zu erhalten. Näher noch muß ihm der Gedanke liegen,
durch Nachgiebigkeit nach der einen Seite sich eine starke Position nach der an¬
dern zu verschaffen. Aber auch der dritte, eines großen sich selbst achtenden
Volks allein würdige Weg steht ihm noch offen, der Entschluß, andere Völker
nach ihrem freien Willen ihre inneren Angelegenheiten ordnen zu lassen.

Mit weit größerm Gleichmuth könnte man den Entschließungen Frankreichs
entgegensehen, w.um das Bismcncksche Rundschreiben sofort im Süden den ent¬
sprechenden Wiederhall gefunden hätte. Aber es scheint fast in Frankreich besser
verstanden und gewürdigt worden zu sein, als bei uns. Man hätte denken
sollen, nachdem das nationale Ziel von Preußen so unumwunden aufgestellt
und die Vollendung des Einheitswerkes einzig vom freiwilligen Entgegenkom¬
men des Südens abhängig gemacht ist, müßte die Bewegung vollends unauf¬
haltsam dem Ziele zueilen, jede Drohung ignorirend, jeden Widerstand zermal¬
mend. Allein gerade die Freiheit der Wahl, die dem Süden zugestanden ist,
kommt zunächst den Widerstandsmächten zu gute. Ohne auf die Bevölkerun¬
gen die elektrische Wirkung hervorzubringen, die bei einem Volke andern Tem¬
peraments oder minder entwickelten Localgeists nicht ausgeblieben wäre, ge¬
währt sie den Regierungen die erwünschte Frist, »».belästigt sich in den Rechten
ihrer Souveränität wohnlich einzurichten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/150>, abgerufen am 27.09.2024.