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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Doch wo sind nun endlich die Menschen, denen alle diese Staatsdienst¬
leistungen geschehen sollen? Der Staat besteht ja nur eben aus seinen eige¬
nen Angehörigen; es gibt also nur zwei Möglichkeiten: entweder ein Theil
dieser Staatsangehörigen We sich auf Staatskosten von dem andern Theile be¬
dienen; in diesem Falle, da der Staat so viele Obliegenheiten übernimmt und
für die Dienste Löhne zahlen muß, muß dieser bediente Theil den gesamm-
ten Lohn aufbringen, d, h. er muß in der Form von Steuern so viele
Staatskosten tragen, als zur Bestreitung jener Löhne nöthig sind; -- oder es
ist nur die andere Möglichkeit vorhanden, daß jeder Einzelne auf diese
Staatshilfe so weit verzichtet, als er alle Dienste, welche er sich selbst
zu leisten vermag, selbst leistet. Da nun gewiß jeder viel besser selbst weiß,
welche Bedürfnisse und Wünsche er hat und diese individuell so sehr verschieden
sind, so thut jeder zweifelsohne am bester., vom Staate so wenig wie mög¬
lich zu fordern; dann braucht er ihm auch viel weniger zu zahlen, als
im andern Falle.

Betrachten wir aber einmal die practischen Versuche mit Lassalleschen Theo¬
rien. Das classische Land der socialen Experimente ist Frankreich. Nicht erst
seit dem zweiten Kaiserreich, welches das allgemeine directe Wahlrecht schon
lange in Uebung gebracht hat. sodaß die Stimme eines jeden Arbeiters, der
über 21 Jahr alt ist. ebenso viel gilt, wie die eines Fould oder jPereire, ohne
daß darum der französische Arbeiter materiell oder social besser daran wäre,
als der deutsche und ohne daß der gesetzgebende Körper zu Paris den Ange¬
legenheiten und Interessen des Arbeiterstandes eine besondere Aufmerksamkeit
widmete, -- schon in den vierziger Jahren hat man dort angefangen, den
"alttestamentlichen Organismus" zu ändern. Louis Bla ne machte den Vor¬
schlag: der Staat solle die großen Industriellen alle expropriiren um ihre Fa¬
briken den vereinigten Arbeitern zur Ausbeutung zu überlassen, und auf diese
Weise nach und nach die ganze Production in seine Hände zu nehmen und
sociale Werkstätten in sämmtlichen Hauptbranchen der Fabrication zu errichten,
in die alle Arbeiter mit gleichem Lohne aufgenommen werben sollten. --
Ebenso wollte Lasalle mit einem Sprunge den Arbeiter am Untcrnehmungs-
lohne theilnehmen lassen. Von den Zwischenstationen, welche das Genossen¬
schaftswesen bietet, mochte er nichts wissen und forderte vom Staate die Ini¬
tiative, daß er wenigstens indireci durch Zinscngarantie den Arbeitern die Ca¬
pitalien und Arbeitsinstrumente zur selbständigen Production schaffe. Das sind
also keineswegs neue Erfindungen; in den National Werkstätten, Lohn-
taxen, Maximalpreisen für Leben funkel, Zinstaxen :c. sind alle
diese Gedanken bereits verwirklicht worden. Denn alle diese Herrlichkeiten haben
den nämlichen theoretischen Ausgangspunkt: verkehrte unnatürliche Zustände
und Verhältnisse durch willkürliche also eben so unnatürliche Einrichtungen zu


Doch wo sind nun endlich die Menschen, denen alle diese Staatsdienst¬
leistungen geschehen sollen? Der Staat besteht ja nur eben aus seinen eige¬
nen Angehörigen; es gibt also nur zwei Möglichkeiten: entweder ein Theil
dieser Staatsangehörigen We sich auf Staatskosten von dem andern Theile be¬
dienen; in diesem Falle, da der Staat so viele Obliegenheiten übernimmt und
für die Dienste Löhne zahlen muß, muß dieser bediente Theil den gesamm-
ten Lohn aufbringen, d, h. er muß in der Form von Steuern so viele
Staatskosten tragen, als zur Bestreitung jener Löhne nöthig sind; — oder es
ist nur die andere Möglichkeit vorhanden, daß jeder Einzelne auf diese
Staatshilfe so weit verzichtet, als er alle Dienste, welche er sich selbst
zu leisten vermag, selbst leistet. Da nun gewiß jeder viel besser selbst weiß,
welche Bedürfnisse und Wünsche er hat und diese individuell so sehr verschieden
sind, so thut jeder zweifelsohne am bester., vom Staate so wenig wie mög¬
lich zu fordern; dann braucht er ihm auch viel weniger zu zahlen, als
im andern Falle.

Betrachten wir aber einmal die practischen Versuche mit Lassalleschen Theo¬
rien. Das classische Land der socialen Experimente ist Frankreich. Nicht erst
seit dem zweiten Kaiserreich, welches das allgemeine directe Wahlrecht schon
lange in Uebung gebracht hat. sodaß die Stimme eines jeden Arbeiters, der
über 21 Jahr alt ist. ebenso viel gilt, wie die eines Fould oder jPereire, ohne
daß darum der französische Arbeiter materiell oder social besser daran wäre,
als der deutsche und ohne daß der gesetzgebende Körper zu Paris den Ange¬
legenheiten und Interessen des Arbeiterstandes eine besondere Aufmerksamkeit
widmete, — schon in den vierziger Jahren hat man dort angefangen, den
„alttestamentlichen Organismus" zu ändern. Louis Bla ne machte den Vor¬
schlag: der Staat solle die großen Industriellen alle expropriiren um ihre Fa¬
briken den vereinigten Arbeitern zur Ausbeutung zu überlassen, und auf diese
Weise nach und nach die ganze Production in seine Hände zu nehmen und
sociale Werkstätten in sämmtlichen Hauptbranchen der Fabrication zu errichten,
in die alle Arbeiter mit gleichem Lohne aufgenommen werben sollten. —
Ebenso wollte Lasalle mit einem Sprunge den Arbeiter am Untcrnehmungs-
lohne theilnehmen lassen. Von den Zwischenstationen, welche das Genossen¬
schaftswesen bietet, mochte er nichts wissen und forderte vom Staate die Ini¬
tiative, daß er wenigstens indireci durch Zinscngarantie den Arbeitern die Ca¬
pitalien und Arbeitsinstrumente zur selbständigen Production schaffe. Das sind
also keineswegs neue Erfindungen; in den National Werkstätten, Lohn-
taxen, Maximalpreisen für Leben funkel, Zinstaxen :c. sind alle
diese Gedanken bereits verwirklicht worden. Denn alle diese Herrlichkeiten haben
den nämlichen theoretischen Ausgangspunkt: verkehrte unnatürliche Zustände
und Verhältnisse durch willkürliche also eben so unnatürliche Einrichtungen zu


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[0144] Doch wo sind nun endlich die Menschen, denen alle diese Staatsdienst¬ leistungen geschehen sollen? Der Staat besteht ja nur eben aus seinen eige¬ nen Angehörigen; es gibt also nur zwei Möglichkeiten: entweder ein Theil dieser Staatsangehörigen We sich auf Staatskosten von dem andern Theile be¬ dienen; in diesem Falle, da der Staat so viele Obliegenheiten übernimmt und für die Dienste Löhne zahlen muß, muß dieser bediente Theil den gesamm- ten Lohn aufbringen, d, h. er muß in der Form von Steuern so viele Staatskosten tragen, als zur Bestreitung jener Löhne nöthig sind; — oder es ist nur die andere Möglichkeit vorhanden, daß jeder Einzelne auf diese Staatshilfe so weit verzichtet, als er alle Dienste, welche er sich selbst zu leisten vermag, selbst leistet. Da nun gewiß jeder viel besser selbst weiß, welche Bedürfnisse und Wünsche er hat und diese individuell so sehr verschieden sind, so thut jeder zweifelsohne am bester., vom Staate so wenig wie mög¬ lich zu fordern; dann braucht er ihm auch viel weniger zu zahlen, als im andern Falle. Betrachten wir aber einmal die practischen Versuche mit Lassalleschen Theo¬ rien. Das classische Land der socialen Experimente ist Frankreich. Nicht erst seit dem zweiten Kaiserreich, welches das allgemeine directe Wahlrecht schon lange in Uebung gebracht hat. sodaß die Stimme eines jeden Arbeiters, der über 21 Jahr alt ist. ebenso viel gilt, wie die eines Fould oder jPereire, ohne daß darum der französische Arbeiter materiell oder social besser daran wäre, als der deutsche und ohne daß der gesetzgebende Körper zu Paris den Ange¬ legenheiten und Interessen des Arbeiterstandes eine besondere Aufmerksamkeit widmete, — schon in den vierziger Jahren hat man dort angefangen, den „alttestamentlichen Organismus" zu ändern. Louis Bla ne machte den Vor¬ schlag: der Staat solle die großen Industriellen alle expropriiren um ihre Fa¬ briken den vereinigten Arbeitern zur Ausbeutung zu überlassen, und auf diese Weise nach und nach die ganze Production in seine Hände zu nehmen und sociale Werkstätten in sämmtlichen Hauptbranchen der Fabrication zu errichten, in die alle Arbeiter mit gleichem Lohne aufgenommen werben sollten. — Ebenso wollte Lasalle mit einem Sprunge den Arbeiter am Untcrnehmungs- lohne theilnehmen lassen. Von den Zwischenstationen, welche das Genossen¬ schaftswesen bietet, mochte er nichts wissen und forderte vom Staate die Ini¬ tiative, daß er wenigstens indireci durch Zinscngarantie den Arbeitern die Ca¬ pitalien und Arbeitsinstrumente zur selbständigen Production schaffe. Das sind also keineswegs neue Erfindungen; in den National Werkstätten, Lohn- taxen, Maximalpreisen für Leben funkel, Zinstaxen :c. sind alle diese Gedanken bereits verwirklicht worden. Denn alle diese Herrlichkeiten haben den nämlichen theoretischen Ausgangspunkt: verkehrte unnatürliche Zustände und Verhältnisse durch willkürliche also eben so unnatürliche Einrichtungen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/144>, abgerufen am 27.09.2024.