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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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ist nicht unempfänglich für die jeweilige Haltung des Ministeriums. Sie wird
wie sie im vergangenen October auf Seite der Volkspartei sich stellte, als Hr.
v. Varnbüler noch jede Spur seiner Bekehrung verbarg, aller Voraussicht nach
diesmal mit der deutschen Partei für die Verträge stimmen, die vom Mini¬
sterium mit sehr überzeugenden, sachgemäßen Motivirungen vorgelegt wor¬
den sind.

Daß die Volkspartei nicht mehr im Ernst an einen Sieg ihrer Sache
glaubt, ist bei ihrer Landesversammlung am 29. Sptb. deutlich zu Tage getre¬
ten. Bisher galt die unbedingte Verwerfung der bewußten Verträge als selbst¬
verständliches Dogma dieser Partei. Sie waren ja für "dieses schöne Süd¬
deutschland", wie Herr Mohl sagt, der Anfang der Mediatisirung, der Verpreu-
szung, sie begründeten ein unwürdiges Helotenthum, führten unfehlbar den
Ruin des Landes und die Erdrückung desselben in den Armen des Cäsarismus
herbei, und wie sonst die alberne Phraseologie lautete. Der Beobachter füllte
lange Spalten mit Auszügen aus der Mohl'schen Schrift, und noch jetzt agitirt
er für die Verwerfung mit jenen Gründen, die schon zur Zeit des französischen
Handelsvertrags hervorgesucht wurden und bereits damals sich als eitle Täu¬
schung erwiesen haben: daß nämlich Preußen mit der Kündigung des Zollver¬
eins nicht Ernst machen werde; Norddeutschland habe ein viel größeres Inter¬
esse an der Zollcinigung mit dem Süden als dieser, der nötigenfalls auf eige¬
nen Füßen stehen könne; würden also die Verträge verworfen, so werde Preußen
sich beeilen, günstigere Bedingungen anzubieten u. dergl.

Danach also mußte man annehmen, die Bundesversammlung der Volks¬
partei werde in einer energischen Resolution die Verwerfung der Verträge ver¬
langen. Merkwürdigerweise aber war auf dieser Versammlung die officielle
Sprache ungleich gemäßigter, und man hatte guten Grund dazu. Es drohte
wegen der Zollvereinsfrage eine bedenkliche Desorganisation in der Partei ein¬
zureihen. Die alten bequemen Phrasen hielten doch nur so lange vor, als
man noch nicht an den Ernst der Wirklichkeit dachte. Jetzt aber begann die
Sache doch über den Spaß zu gehen, aus dem Lande mehrten sich die Symp¬
tome des Abfalls, und so war man, um die Reihen der Partei leidlich zusam¬
menzuhalten, genöthigt, ein laxeres Programm aufzustellen, das zwar den Füh¬
rern erlaubte, im bisherigen Sinne weiter zu agitiren, aber doch die Menge der
Disscntirenden nicht zurückstieß. Man gab die Parole aus. der Zollvereinsver¬
trag sei für die Volkspartei eine offene Frage, und in den Resolutionen
half man sich mit dem völlig nichtssagenden Satze: die würtembergischen Ab¬
geordneten sollten sich womöglich mit den übrigen süddeutschen Abgeordneten
verständigen, um die Gefahren, die aus dem Schutz- und Trutzbündniß und aus
der bedingungslosen Annahme des Zollvereins drohen, abzuwenden. Dies


ist nicht unempfänglich für die jeweilige Haltung des Ministeriums. Sie wird
wie sie im vergangenen October auf Seite der Volkspartei sich stellte, als Hr.
v. Varnbüler noch jede Spur seiner Bekehrung verbarg, aller Voraussicht nach
diesmal mit der deutschen Partei für die Verträge stimmen, die vom Mini¬
sterium mit sehr überzeugenden, sachgemäßen Motivirungen vorgelegt wor¬
den sind.

Daß die Volkspartei nicht mehr im Ernst an einen Sieg ihrer Sache
glaubt, ist bei ihrer Landesversammlung am 29. Sptb. deutlich zu Tage getre¬
ten. Bisher galt die unbedingte Verwerfung der bewußten Verträge als selbst¬
verständliches Dogma dieser Partei. Sie waren ja für „dieses schöne Süd¬
deutschland", wie Herr Mohl sagt, der Anfang der Mediatisirung, der Verpreu-
szung, sie begründeten ein unwürdiges Helotenthum, führten unfehlbar den
Ruin des Landes und die Erdrückung desselben in den Armen des Cäsarismus
herbei, und wie sonst die alberne Phraseologie lautete. Der Beobachter füllte
lange Spalten mit Auszügen aus der Mohl'schen Schrift, und noch jetzt agitirt
er für die Verwerfung mit jenen Gründen, die schon zur Zeit des französischen
Handelsvertrags hervorgesucht wurden und bereits damals sich als eitle Täu¬
schung erwiesen haben: daß nämlich Preußen mit der Kündigung des Zollver¬
eins nicht Ernst machen werde; Norddeutschland habe ein viel größeres Inter¬
esse an der Zollcinigung mit dem Süden als dieser, der nötigenfalls auf eige¬
nen Füßen stehen könne; würden also die Verträge verworfen, so werde Preußen
sich beeilen, günstigere Bedingungen anzubieten u. dergl.

Danach also mußte man annehmen, die Bundesversammlung der Volks¬
partei werde in einer energischen Resolution die Verwerfung der Verträge ver¬
langen. Merkwürdigerweise aber war auf dieser Versammlung die officielle
Sprache ungleich gemäßigter, und man hatte guten Grund dazu. Es drohte
wegen der Zollvereinsfrage eine bedenkliche Desorganisation in der Partei ein¬
zureihen. Die alten bequemen Phrasen hielten doch nur so lange vor, als
man noch nicht an den Ernst der Wirklichkeit dachte. Jetzt aber begann die
Sache doch über den Spaß zu gehen, aus dem Lande mehrten sich die Symp¬
tome des Abfalls, und so war man, um die Reihen der Partei leidlich zusam¬
menzuhalten, genöthigt, ein laxeres Programm aufzustellen, das zwar den Füh¬
rern erlaubte, im bisherigen Sinne weiter zu agitiren, aber doch die Menge der
Disscntirenden nicht zurückstieß. Man gab die Parole aus. der Zollvereinsver¬
trag sei für die Volkspartei eine offene Frage, und in den Resolutionen
half man sich mit dem völlig nichtssagenden Satze: die würtembergischen Ab¬
geordneten sollten sich womöglich mit den übrigen süddeutschen Abgeordneten
verständigen, um die Gefahren, die aus dem Schutz- und Trutzbündniß und aus
der bedingungslosen Annahme des Zollvereins drohen, abzuwenden. Dies


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/118>, abgerufen am 27.09.2024.