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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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macht zu benutzen, als er aber nach zehn Jahren den Krieg mit Frankreich be¬
gann, war nichts geschehen, von Landtruppen waren nur 3700 Mann dis¬
ponibel, kein einziger Offizier von Namen war da, die Ausrüstung war ebenso
mangelhaft und die Disciplin schlecht. Es war daher nicht zu verwundern,
daß die Expeditionen von Walcheren und gegen die Bretagne so kläglich aus¬
liefen, und Sheridan war wohl berechtigt bei der Debatte über letztere, wo die
französischen Legitimisten so schmachvoll im Stich gelassen, aus Pie-es Einwand,
daß kein englisches Blut geflossen, zu rufen: "aber die englische Ehre aus
allen Poren."

Wir können hier nicht auf die Einzelheiten des großen Krieges eingehen,
in dem die Thaten der englischen Marine so glänzend, als die Operationen
der Landtruppen, mit Ausnahme Aegvptens, so lange erfolglos waren, bis
Wellingtons Stern ausging; es zeigt sich in ihrer Geschichte, daß Pitt kein
Premier für eine Zeit war, wo die auswärtigen Fragen den Angelpunkt der
Politik bildeten. Vergeblich bemühte er sich durch immer neue Subsidien der
Continentalmächte den französischen Waffen Koalitionen auf Koalitionen ent¬
gegenzusetzen, vergeblich waren alle Bemühungen, Friedensunterhandlungen anzu¬
knüpfen. Nur in der Kunst bleibt er groß, die Mittel für diesen Riesenkampf
zu beschaffen, freilich kam ihm der Patriotismus der Nation in der hochherzig¬
sten Weise entgegen; die freiwilligen Unterzeichnungen für das sogenannte
Loyalitätsanlehen, die Bereitwilligkeit, mit der die schweren neuen Steuern in
dem Gefühl, daß es sich um die Behauptung der theuersten Nationalinteressen
handle, bewilligt und getragen wurden, die Entschlossenheit, mit der die Bank¬
noten zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt wurden, als das Gold drohte
auszugehen, alles dies bildet eine der glänzendsten Seiten in den Annalen der
englischen Geschichte. Es kommt dabei auch der Umstand in Betracht, daß, da
England die Seeherrschaft behauptete, der englische Handel fast ein Monopol
erhielt und durch die sich entwickelnde Baumwollenindustrie trotz des Krieges
stieg; man darf sagen, daß die Baumwolle England in den Stand setzte, den
Kampf gegen Napoleon auszuhalten.

Ein Umstand der innern Politik aber war es auch, der unerwartet Pitts
siebzehnjähriges Ministerium stürzte. Er war mit seinen nächsten Freunden zu
der Einsicht gekommen, daß, wenn auch die vollständige Emancipation der
Katholiken noch nicht möglich, doch etwas zur Erleichterung ihrer Lage in
Irland geschehen müsse, und beabsichtigte, dem Parlamente darüber eine Bill vor¬
zulegen. Diesem Plan trat der König, von Höflingen und Bigotten gereizt,
entschieden entgegen und nahm, als Pitt darauf bestand, dessen angebotene
Entlassung an. Aber dies Ereigniß afficirte ihn so, daß ein, wenn auch nur
kurzer Rückfall seiner Geisteskrankheit folgte. Dies machte einen tiefen Eindruck
auf Pitt, und obwohl er nach der Genesung des Königs seine Entlassung nicht


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macht zu benutzen, als er aber nach zehn Jahren den Krieg mit Frankreich be¬
gann, war nichts geschehen, von Landtruppen waren nur 3700 Mann dis¬
ponibel, kein einziger Offizier von Namen war da, die Ausrüstung war ebenso
mangelhaft und die Disciplin schlecht. Es war daher nicht zu verwundern,
daß die Expeditionen von Walcheren und gegen die Bretagne so kläglich aus¬
liefen, und Sheridan war wohl berechtigt bei der Debatte über letztere, wo die
französischen Legitimisten so schmachvoll im Stich gelassen, aus Pie-es Einwand,
daß kein englisches Blut geflossen, zu rufen: „aber die englische Ehre aus
allen Poren."

Wir können hier nicht auf die Einzelheiten des großen Krieges eingehen,
in dem die Thaten der englischen Marine so glänzend, als die Operationen
der Landtruppen, mit Ausnahme Aegvptens, so lange erfolglos waren, bis
Wellingtons Stern ausging; es zeigt sich in ihrer Geschichte, daß Pitt kein
Premier für eine Zeit war, wo die auswärtigen Fragen den Angelpunkt der
Politik bildeten. Vergeblich bemühte er sich durch immer neue Subsidien der
Continentalmächte den französischen Waffen Koalitionen auf Koalitionen ent¬
gegenzusetzen, vergeblich waren alle Bemühungen, Friedensunterhandlungen anzu¬
knüpfen. Nur in der Kunst bleibt er groß, die Mittel für diesen Riesenkampf
zu beschaffen, freilich kam ihm der Patriotismus der Nation in der hochherzig¬
sten Weise entgegen; die freiwilligen Unterzeichnungen für das sogenannte
Loyalitätsanlehen, die Bereitwilligkeit, mit der die schweren neuen Steuern in
dem Gefühl, daß es sich um die Behauptung der theuersten Nationalinteressen
handle, bewilligt und getragen wurden, die Entschlossenheit, mit der die Bank¬
noten zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt wurden, als das Gold drohte
auszugehen, alles dies bildet eine der glänzendsten Seiten in den Annalen der
englischen Geschichte. Es kommt dabei auch der Umstand in Betracht, daß, da
England die Seeherrschaft behauptete, der englische Handel fast ein Monopol
erhielt und durch die sich entwickelnde Baumwollenindustrie trotz des Krieges
stieg; man darf sagen, daß die Baumwolle England in den Stand setzte, den
Kampf gegen Napoleon auszuhalten.

Ein Umstand der innern Politik aber war es auch, der unerwartet Pitts
siebzehnjähriges Ministerium stürzte. Er war mit seinen nächsten Freunden zu
der Einsicht gekommen, daß, wenn auch die vollständige Emancipation der
Katholiken noch nicht möglich, doch etwas zur Erleichterung ihrer Lage in
Irland geschehen müsse, und beabsichtigte, dem Parlamente darüber eine Bill vor¬
zulegen. Diesem Plan trat der König, von Höflingen und Bigotten gereizt,
entschieden entgegen und nahm, als Pitt darauf bestand, dessen angebotene
Entlassung an. Aber dies Ereigniß afficirte ihn so, daß ein, wenn auch nur
kurzer Rückfall seiner Geisteskrankheit folgte. Dies machte einen tiefen Eindruck
auf Pitt, und obwohl er nach der Genesung des Königs seine Entlassung nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/63>, abgerufen am 27.09.2024.