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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Gestade verarmt, auf die zweite Art die hündisch-australische Inselwelt zersplittert
und ohne Zusammenhang geblieben. Zwischen beiden Extremen stehen die con-
tinentalen Formen von Asien. Amerika und Europa, aber dieses letzte mit gestei¬
gerter Gestadebildung -- 4S00 Meilen Küste auf 160,000 Quadratmeilen Areal.

Das West- und Nordgcstade ist das reichste an Hafenbildungen, an oceani¬
schen Anführten, Zuströmungen. Ebben und Fluthen und das günstigste zur
Verbindung mit transatlantischen Welten. Das Südgestade dagegen ist ganz
dem Mittelmeer zugewendet, dem in seiner Art einzigen Centralmeere der alten
Welt, dem continentalen Culturmeere des Planeten. Von den Säulen des
Herkules bis zum Fuß des Kaukasus dehnt sich eine Küstenentwickelung von
fast 1600 Meilen. Dieses ganze Nordgestade ist voll Buchten. Golfe und
Halbinseln, während das südliche nicht blos weniger Meilen hat, sondern auch
weit weniger entwickelt ist. Dies Verhältniß war eine entschieden wichtige
Mitgift der Natur für den Erdtheil Europa, die viele reicher scheinende Mit¬
gaben andrer Erdtheile überboten hat. Der Mangel an Ebben und Fluthen
und großen die Weltschiffer von selbst forttragenden Strömungen, welche den
atlantischen Ocean auszeichnen, ist den Südenden Europas reichlich durch die
mildere Natur des Mittelmeeres und durch das große und leicht erreichbare
Gegengestade Afrikas und Westasiens ersetzt. Läge hier Nordafrika in amerika-
nischer Weltferne, so würde das Mittelmeer nicht so früh im Leben der
alten Welt die Erfindung der Küstenschifffahrt und der Ueberfahrten der
Meeresgassen gefördert haben, wie dies bei Phöniciern, Carern, Hellenen und
Karthagern der Fall war. Und andrerseits sicherte wieder die minder ent¬
wickelte, weniger bereicherte Natur der afrikanischen Küste Europas Gestaltung
an seinen Südenden. Hätten sich wie der ägyptische Nil noch ein paar ähn¬
liche Stromsysteme durch fruchtreiche Thalstufen aus dem Innern Libyens,
Numidiens oder des Atlassystems gegen den Norden in die Buchten der Syr¬
ien und der Cyrenais oder Iberien gegenüber zum mittelländischen Meer er¬
gossen : der schwarze Negerstamm würde nicht der Sklave des weißen Europäers
geworden sein. Vielleicht hätte sich der energische Volksstamm der braunen
afrikanischen Berbern in seiner Uebergewalt über Südeuropa ergossen wie der
arabische und der türkische über das libysche Nordafrika. Das Schicksal Euro¬
pas, der Gang seiner Cultur, die Entwickelung des Menschengeschlechts, der
Zug der Weltgeschichte würde ein anderer geworden sein. Am Rande dieser
Gefahr stand der Erdtheil, als die Karthager die Römerwelt bedrohten. Er
litt eine Zeit lang unter der Gewalt der Araber in Hesperien. Er leidet noch,
doch nur theilweise, unter der verdunkelnden Despotie des Halbmondes. Doch
seine Civilisation war schon fest gegründet, als jene Gefahren auf ihn eindrangen.
Europas humanere Entwickelung sollte sich aus seinem eignen Schooße, aus
den Stämmen der Hellenen, Kelten, Germanen, nicht aus denen der Libyer,


Grenzboten II. 1863- 63

Gestade verarmt, auf die zweite Art die hündisch-australische Inselwelt zersplittert
und ohne Zusammenhang geblieben. Zwischen beiden Extremen stehen die con-
tinentalen Formen von Asien. Amerika und Europa, aber dieses letzte mit gestei¬
gerter Gestadebildung — 4S00 Meilen Küste auf 160,000 Quadratmeilen Areal.

Das West- und Nordgcstade ist das reichste an Hafenbildungen, an oceani¬
schen Anführten, Zuströmungen. Ebben und Fluthen und das günstigste zur
Verbindung mit transatlantischen Welten. Das Südgestade dagegen ist ganz
dem Mittelmeer zugewendet, dem in seiner Art einzigen Centralmeere der alten
Welt, dem continentalen Culturmeere des Planeten. Von den Säulen des
Herkules bis zum Fuß des Kaukasus dehnt sich eine Küstenentwickelung von
fast 1600 Meilen. Dieses ganze Nordgestade ist voll Buchten. Golfe und
Halbinseln, während das südliche nicht blos weniger Meilen hat, sondern auch
weit weniger entwickelt ist. Dies Verhältniß war eine entschieden wichtige
Mitgift der Natur für den Erdtheil Europa, die viele reicher scheinende Mit¬
gaben andrer Erdtheile überboten hat. Der Mangel an Ebben und Fluthen
und großen die Weltschiffer von selbst forttragenden Strömungen, welche den
atlantischen Ocean auszeichnen, ist den Südenden Europas reichlich durch die
mildere Natur des Mittelmeeres und durch das große und leicht erreichbare
Gegengestade Afrikas und Westasiens ersetzt. Läge hier Nordafrika in amerika-
nischer Weltferne, so würde das Mittelmeer nicht so früh im Leben der
alten Welt die Erfindung der Küstenschifffahrt und der Ueberfahrten der
Meeresgassen gefördert haben, wie dies bei Phöniciern, Carern, Hellenen und
Karthagern der Fall war. Und andrerseits sicherte wieder die minder ent¬
wickelte, weniger bereicherte Natur der afrikanischen Küste Europas Gestaltung
an seinen Südenden. Hätten sich wie der ägyptische Nil noch ein paar ähn¬
liche Stromsysteme durch fruchtreiche Thalstufen aus dem Innern Libyens,
Numidiens oder des Atlassystems gegen den Norden in die Buchten der Syr¬
ien und der Cyrenais oder Iberien gegenüber zum mittelländischen Meer er¬
gossen : der schwarze Negerstamm würde nicht der Sklave des weißen Europäers
geworden sein. Vielleicht hätte sich der energische Volksstamm der braunen
afrikanischen Berbern in seiner Uebergewalt über Südeuropa ergossen wie der
arabische und der türkische über das libysche Nordafrika. Das Schicksal Euro¬
pas, der Gang seiner Cultur, die Entwickelung des Menschengeschlechts, der
Zug der Weltgeschichte würde ein anderer geworden sein. Am Rande dieser
Gefahr stand der Erdtheil, als die Karthager die Römerwelt bedrohten. Er
litt eine Zeit lang unter der Gewalt der Araber in Hesperien. Er leidet noch,
doch nur theilweise, unter der verdunkelnden Despotie des Halbmondes. Doch
seine Civilisation war schon fest gegründet, als jene Gefahren auf ihn eindrangen.
Europas humanere Entwickelung sollte sich aus seinem eignen Schooße, aus
den Stämmen der Hellenen, Kelten, Germanen, nicht aus denen der Libyer,


Grenzboten II. 1863- 63
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[0517] Gestade verarmt, auf die zweite Art die hündisch-australische Inselwelt zersplittert und ohne Zusammenhang geblieben. Zwischen beiden Extremen stehen die con- tinentalen Formen von Asien. Amerika und Europa, aber dieses letzte mit gestei¬ gerter Gestadebildung — 4S00 Meilen Küste auf 160,000 Quadratmeilen Areal. Das West- und Nordgcstade ist das reichste an Hafenbildungen, an oceani¬ schen Anführten, Zuströmungen. Ebben und Fluthen und das günstigste zur Verbindung mit transatlantischen Welten. Das Südgestade dagegen ist ganz dem Mittelmeer zugewendet, dem in seiner Art einzigen Centralmeere der alten Welt, dem continentalen Culturmeere des Planeten. Von den Säulen des Herkules bis zum Fuß des Kaukasus dehnt sich eine Küstenentwickelung von fast 1600 Meilen. Dieses ganze Nordgestade ist voll Buchten. Golfe und Halbinseln, während das südliche nicht blos weniger Meilen hat, sondern auch weit weniger entwickelt ist. Dies Verhältniß war eine entschieden wichtige Mitgift der Natur für den Erdtheil Europa, die viele reicher scheinende Mit¬ gaben andrer Erdtheile überboten hat. Der Mangel an Ebben und Fluthen und großen die Weltschiffer von selbst forttragenden Strömungen, welche den atlantischen Ocean auszeichnen, ist den Südenden Europas reichlich durch die mildere Natur des Mittelmeeres und durch das große und leicht erreichbare Gegengestade Afrikas und Westasiens ersetzt. Läge hier Nordafrika in amerika- nischer Weltferne, so würde das Mittelmeer nicht so früh im Leben der alten Welt die Erfindung der Küstenschifffahrt und der Ueberfahrten der Meeresgassen gefördert haben, wie dies bei Phöniciern, Carern, Hellenen und Karthagern der Fall war. Und andrerseits sicherte wieder die minder ent¬ wickelte, weniger bereicherte Natur der afrikanischen Küste Europas Gestaltung an seinen Südenden. Hätten sich wie der ägyptische Nil noch ein paar ähn¬ liche Stromsysteme durch fruchtreiche Thalstufen aus dem Innern Libyens, Numidiens oder des Atlassystems gegen den Norden in die Buchten der Syr¬ ien und der Cyrenais oder Iberien gegenüber zum mittelländischen Meer er¬ gossen : der schwarze Negerstamm würde nicht der Sklave des weißen Europäers geworden sein. Vielleicht hätte sich der energische Volksstamm der braunen afrikanischen Berbern in seiner Uebergewalt über Südeuropa ergossen wie der arabische und der türkische über das libysche Nordafrika. Das Schicksal Euro¬ pas, der Gang seiner Cultur, die Entwickelung des Menschengeschlechts, der Zug der Weltgeschichte würde ein anderer geworden sein. Am Rande dieser Gefahr stand der Erdtheil, als die Karthager die Römerwelt bedrohten. Er litt eine Zeit lang unter der Gewalt der Araber in Hesperien. Er leidet noch, doch nur theilweise, unter der verdunkelnden Despotie des Halbmondes. Doch seine Civilisation war schon fest gegründet, als jene Gefahren auf ihn eindrangen. Europas humanere Entwickelung sollte sich aus seinem eignen Schooße, aus den Stämmen der Hellenen, Kelten, Germanen, nicht aus denen der Libyer, Grenzboten II. 1863- 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/517>, abgerufen am 27.09.2024.