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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Das Verhältniß der Concentration aller Continente im nächsten Umkreis von
Europa brachte diesem in den Geschichtsanfängen die größtmögliche Annäherung
und den daraus hervorgehenden möglichst großen Verkehr mit allen Contincn-
talvölkern zu Wege. Das Verhältniß der Abwendung Europas vom offnen
Ocean, wie der particulären Sonderung vom äußersten Gestadering der Erde,
d. h. der Sonderung von Amerika durch das atlantische Meer, hinderte auf
das Bestimmteste in frühern Jahrhunderten die vorzeitige Zerstreuung sei¬
ner Population über die zerrissenen, abgesprengten und in weitesten Fer¬
nen liegenden Glieder des Planeten, eine Zerstreuung, die von der Peri¬
pherie des Lanbrings aus, der Europa umgibt, häusig vorkam. Bis zu den
entferntesten Gestaden und Eilanden hin zersplitterten sich von der Außenseite
jenes Rings nicht selten die Völkerschaften, schieden sich zu früh, noch als
rohe Massen von ihrem Muttererdtheil ab, verkümmerten und verarmten. So
verbreiteten sich die Malayen nach Australien ohne Frucht und Gewinn-für
ihre Heimath, so semitische Stämme nach dem Kaffernlandc und Madagaskar,
so die Cariben aus Nordamerika nach dem Süden über die Antillen, so ge¬
wisse nordasiatische Völkerschaften nach dem gegenüberliegenden Norden Ame¬
rikas. Solche Auswanderungen sind für einen völkerreichen kolossalen Erdtheil
wie Asien von Anfang an heilsam. Aber Europa, das seine Bevölkerungen
selbst erst aus dem Wiegenlande Asien erhalten mußte, würde durch solche früh¬
zeitige Abzüge nach Außen immer wieder verarmt und verödet sein, und es
würde sich kein Kern der Ansiedelung und der stationären Cultur haben ent¬
wickeln und festwurzeln können. Der Zug der Vandalen nach Afrika ist das
einzige Beispiel der Art bis zur Entdeckung Amerikas. Was früher geschah,
war keine Auswanderung, sondern nur Kolonisation, und diese wirkte berei¬
chernd, nicht verarmend auf die Mutterländer zurück. Diese Colonisation
würde, soweit sie Afrika betraf, zu schädlicher Entleerung Europas geworden
sein, wenn der Küstenstrich jenes Welttheils nicht blos ein Gegengestade Euro¬
pas, nicht durch das Sandmeer der Sahara wie ein langer Inselstreifen von
Centralafrika, der Negerhcunath, abgeschieden wäre. Hätte im Rücken des Kar¬
thagerlandes, der römischen Besitzungen in Nordafrika, des Vandalcnreichs,
der Berbern in späterer Zeit eine reichbewässcrte Fruchtlandschaft sich ausgebrei¬
tet, wie in der neuen Welt hinter den zuerst von europäischen Einwanderern
besiedelten Uferstrecken, so würde in den Bedrängnissen der Völkerwanderung die
südeuropäische Culturwelt sich sehr bald und vor der Zeit dorthin gewen¬
det haben.

Die Abgeschiedenheit Europas von äußern offnen Gewässern der freien
Oceane würde den Erdtheil auf nachtheilige Weise isolirt haben. Sie war
aber keine absolute; denn die durchbrechenden Meeresstraßcn der Ost- und Nord¬
see, des Mittelmeeres und des atlantischen Oceans heben sie bis zu einem ge-


Das Verhältniß der Concentration aller Continente im nächsten Umkreis von
Europa brachte diesem in den Geschichtsanfängen die größtmögliche Annäherung
und den daraus hervorgehenden möglichst großen Verkehr mit allen Contincn-
talvölkern zu Wege. Das Verhältniß der Abwendung Europas vom offnen
Ocean, wie der particulären Sonderung vom äußersten Gestadering der Erde,
d. h. der Sonderung von Amerika durch das atlantische Meer, hinderte auf
das Bestimmteste in frühern Jahrhunderten die vorzeitige Zerstreuung sei¬
ner Population über die zerrissenen, abgesprengten und in weitesten Fer¬
nen liegenden Glieder des Planeten, eine Zerstreuung, die von der Peri¬
pherie des Lanbrings aus, der Europa umgibt, häusig vorkam. Bis zu den
entferntesten Gestaden und Eilanden hin zersplitterten sich von der Außenseite
jenes Rings nicht selten die Völkerschaften, schieden sich zu früh, noch als
rohe Massen von ihrem Muttererdtheil ab, verkümmerten und verarmten. So
verbreiteten sich die Malayen nach Australien ohne Frucht und Gewinn-für
ihre Heimath, so semitische Stämme nach dem Kaffernlandc und Madagaskar,
so die Cariben aus Nordamerika nach dem Süden über die Antillen, so ge¬
wisse nordasiatische Völkerschaften nach dem gegenüberliegenden Norden Ame¬
rikas. Solche Auswanderungen sind für einen völkerreichen kolossalen Erdtheil
wie Asien von Anfang an heilsam. Aber Europa, das seine Bevölkerungen
selbst erst aus dem Wiegenlande Asien erhalten mußte, würde durch solche früh¬
zeitige Abzüge nach Außen immer wieder verarmt und verödet sein, und es
würde sich kein Kern der Ansiedelung und der stationären Cultur haben ent¬
wickeln und festwurzeln können. Der Zug der Vandalen nach Afrika ist das
einzige Beispiel der Art bis zur Entdeckung Amerikas. Was früher geschah,
war keine Auswanderung, sondern nur Kolonisation, und diese wirkte berei¬
chernd, nicht verarmend auf die Mutterländer zurück. Diese Colonisation
würde, soweit sie Afrika betraf, zu schädlicher Entleerung Europas geworden
sein, wenn der Küstenstrich jenes Welttheils nicht blos ein Gegengestade Euro¬
pas, nicht durch das Sandmeer der Sahara wie ein langer Inselstreifen von
Centralafrika, der Negerhcunath, abgeschieden wäre. Hätte im Rücken des Kar¬
thagerlandes, der römischen Besitzungen in Nordafrika, des Vandalcnreichs,
der Berbern in späterer Zeit eine reichbewässcrte Fruchtlandschaft sich ausgebrei¬
tet, wie in der neuen Welt hinter den zuerst von europäischen Einwanderern
besiedelten Uferstrecken, so würde in den Bedrängnissen der Völkerwanderung die
südeuropäische Culturwelt sich sehr bald und vor der Zeit dorthin gewen¬
det haben.

Die Abgeschiedenheit Europas von äußern offnen Gewässern der freien
Oceane würde den Erdtheil auf nachtheilige Weise isolirt haben. Sie war
aber keine absolute; denn die durchbrechenden Meeresstraßcn der Ost- und Nord¬
see, des Mittelmeeres und des atlantischen Oceans heben sie bis zu einem ge-


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[0514] Das Verhältniß der Concentration aller Continente im nächsten Umkreis von Europa brachte diesem in den Geschichtsanfängen die größtmögliche Annäherung und den daraus hervorgehenden möglichst großen Verkehr mit allen Contincn- talvölkern zu Wege. Das Verhältniß der Abwendung Europas vom offnen Ocean, wie der particulären Sonderung vom äußersten Gestadering der Erde, d. h. der Sonderung von Amerika durch das atlantische Meer, hinderte auf das Bestimmteste in frühern Jahrhunderten die vorzeitige Zerstreuung sei¬ ner Population über die zerrissenen, abgesprengten und in weitesten Fer¬ nen liegenden Glieder des Planeten, eine Zerstreuung, die von der Peri¬ pherie des Lanbrings aus, der Europa umgibt, häusig vorkam. Bis zu den entferntesten Gestaden und Eilanden hin zersplitterten sich von der Außenseite jenes Rings nicht selten die Völkerschaften, schieden sich zu früh, noch als rohe Massen von ihrem Muttererdtheil ab, verkümmerten und verarmten. So verbreiteten sich die Malayen nach Australien ohne Frucht und Gewinn-für ihre Heimath, so semitische Stämme nach dem Kaffernlandc und Madagaskar, so die Cariben aus Nordamerika nach dem Süden über die Antillen, so ge¬ wisse nordasiatische Völkerschaften nach dem gegenüberliegenden Norden Ame¬ rikas. Solche Auswanderungen sind für einen völkerreichen kolossalen Erdtheil wie Asien von Anfang an heilsam. Aber Europa, das seine Bevölkerungen selbst erst aus dem Wiegenlande Asien erhalten mußte, würde durch solche früh¬ zeitige Abzüge nach Außen immer wieder verarmt und verödet sein, und es würde sich kein Kern der Ansiedelung und der stationären Cultur haben ent¬ wickeln und festwurzeln können. Der Zug der Vandalen nach Afrika ist das einzige Beispiel der Art bis zur Entdeckung Amerikas. Was früher geschah, war keine Auswanderung, sondern nur Kolonisation, und diese wirkte berei¬ chernd, nicht verarmend auf die Mutterländer zurück. Diese Colonisation würde, soweit sie Afrika betraf, zu schädlicher Entleerung Europas geworden sein, wenn der Küstenstrich jenes Welttheils nicht blos ein Gegengestade Euro¬ pas, nicht durch das Sandmeer der Sahara wie ein langer Inselstreifen von Centralafrika, der Negerhcunath, abgeschieden wäre. Hätte im Rücken des Kar¬ thagerlandes, der römischen Besitzungen in Nordafrika, des Vandalcnreichs, der Berbern in späterer Zeit eine reichbewässcrte Fruchtlandschaft sich ausgebrei¬ tet, wie in der neuen Welt hinter den zuerst von europäischen Einwanderern besiedelten Uferstrecken, so würde in den Bedrängnissen der Völkerwanderung die südeuropäische Culturwelt sich sehr bald und vor der Zeit dorthin gewen¬ det haben. Die Abgeschiedenheit Europas von äußern offnen Gewässern der freien Oceane würde den Erdtheil auf nachtheilige Weise isolirt haben. Sie war aber keine absolute; denn die durchbrechenden Meeresstraßcn der Ost- und Nord¬ see, des Mittelmeeres und des atlantischen Oceans heben sie bis zu einem ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/514>, abgerufen am 27.09.2024.