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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Dwina bei Archangel liegt die Roseninsel, berühmt durch die Fülle ihrer wilden
Rosen, während weiter im Osten auf diesen Breiten keine Blume dieser Gat¬
tung das Auge entzückt. Ebenso wird umgekehrt am Südende Europas, in
Spanien, Sicilien und Candia das Uebermaß der tropischen und subtropischen
Hinc schon durch die Kühlung der Meere, sowie durch die Erhebung der Ge¬
stade in kältere Luftregionen gemildert. Noch größer endlich ist die Harmonie
der klimatischen Verhältnisse zwischen den Ost- und Wcstendcn des europäischen
Erdtheils, und so zeigen Paris und Moskau, Lissabon und Astrachan, Madrid
und Konstantinopel große Analogien und nur untergeordnete Differenzen, so
konnte dieselbe Menschenrace ganz Europa, so konnte der germanische Stamm
zugleich Spanien und Sicilien als Skandinavien bevölkern. Welcher Unterschied
dagegen zwischen Tobolsk und Kalkutta, zwischen Babylon und Peking, und wie
hätte der Sibirier in Indien eine Heimath sich gründen können, wo schon die
Mandschu in China, die Mongolen in anderen Theilen Südasiens entarteten?

Und der größeren Harmonie der klimatischen Berhcillnisse entspricht die
Harmonie der Flora und Fauna Europas. In Asien contrastiren die Hunderte
von Meilen bedeckenden Teppiche des Nennthiermooses in Sibirien mit den
Bananenhainen und Kokosvalmenwcildcrn Indiens, in Amerika die schattigen
dichten Urwaldungen und Saftpflanzen mit den reitelhohen Grasungen der
Savannen im Süden und Norden, während in Europa Mittelformen aller an¬
dern pflanzlichen Organismen herrschen. Aehnliches gilt von der Menschen-
gcstciltung in Europa, die deshalb der wirkliche Kanon, das Ebenmaß für alle
Uebergänge und Abweichungen in den übrigen Nacenbildungcn ist, Aehnliches
auch von der Thierwelt. überall der Charakter vermittelnder Mäßigung.

Dazu kommt aber noch ein anderes wichtiges Moment, die Lage und Ge¬
staltung unseres Erdtheils. Europa ist der cvntinentalste Erdtheil; denn das
gesammte trockene Land des Planeten liegt vorherrschend auf der Nordvsthalbc
der Erdkugel zusammengedrängt, und in dieser zusammengedrängtesten, continen-
talstcn Masse bildet Europa die Mitte; es ist der umgebene Erdtheil, die an¬
dern sind die umgebenden. Durch einen Ring von Continenten eingefaßt, nicht
berührt von der weiten Einöde des Austtalvceans, der Australien ganz, Asien
zu zwei Dritteln, Afrika zu drei Vierteln und ebenso Amerika umspült, steht
Europa allen andern Erdtheilen gleich nahe, ist es mit allen in Wechselwirkung.
Der atlantische Ocean gehört den offnen unüberschaulichen Wassermassen des
äußern Oceans weniger an, er ist vielmehr zu den nach innerhalb der großen
Continente der Alten und Neuen Welt eingeschlossenen Meeren zu zählen. So
gleicht Europas Stellung der Lage des Fruchtbodcnö in der Mitte der Blume,
zu dem alle Saftgefäße leiten, zu dem der ganze reiche Blätterschmuck an¬
gehört. Kein anderer Erdtheil ist ähnlich gelegen, den Nordosten Amerikas etwa
ausgenommen, der überhaupt in Allem die größte Analogie mit Europa hat.


Dwina bei Archangel liegt die Roseninsel, berühmt durch die Fülle ihrer wilden
Rosen, während weiter im Osten auf diesen Breiten keine Blume dieser Gat¬
tung das Auge entzückt. Ebenso wird umgekehrt am Südende Europas, in
Spanien, Sicilien und Candia das Uebermaß der tropischen und subtropischen
Hinc schon durch die Kühlung der Meere, sowie durch die Erhebung der Ge¬
stade in kältere Luftregionen gemildert. Noch größer endlich ist die Harmonie
der klimatischen Verhältnisse zwischen den Ost- und Wcstendcn des europäischen
Erdtheils, und so zeigen Paris und Moskau, Lissabon und Astrachan, Madrid
und Konstantinopel große Analogien und nur untergeordnete Differenzen, so
konnte dieselbe Menschenrace ganz Europa, so konnte der germanische Stamm
zugleich Spanien und Sicilien als Skandinavien bevölkern. Welcher Unterschied
dagegen zwischen Tobolsk und Kalkutta, zwischen Babylon und Peking, und wie
hätte der Sibirier in Indien eine Heimath sich gründen können, wo schon die
Mandschu in China, die Mongolen in anderen Theilen Südasiens entarteten?

Und der größeren Harmonie der klimatischen Berhcillnisse entspricht die
Harmonie der Flora und Fauna Europas. In Asien contrastiren die Hunderte
von Meilen bedeckenden Teppiche des Nennthiermooses in Sibirien mit den
Bananenhainen und Kokosvalmenwcildcrn Indiens, in Amerika die schattigen
dichten Urwaldungen und Saftpflanzen mit den reitelhohen Grasungen der
Savannen im Süden und Norden, während in Europa Mittelformen aller an¬
dern pflanzlichen Organismen herrschen. Aehnliches gilt von der Menschen-
gcstciltung in Europa, die deshalb der wirkliche Kanon, das Ebenmaß für alle
Uebergänge und Abweichungen in den übrigen Nacenbildungcn ist, Aehnliches
auch von der Thierwelt. überall der Charakter vermittelnder Mäßigung.

Dazu kommt aber noch ein anderes wichtiges Moment, die Lage und Ge¬
staltung unseres Erdtheils. Europa ist der cvntinentalste Erdtheil; denn das
gesammte trockene Land des Planeten liegt vorherrschend auf der Nordvsthalbc
der Erdkugel zusammengedrängt, und in dieser zusammengedrängtesten, continen-
talstcn Masse bildet Europa die Mitte; es ist der umgebene Erdtheil, die an¬
dern sind die umgebenden. Durch einen Ring von Continenten eingefaßt, nicht
berührt von der weiten Einöde des Austtalvceans, der Australien ganz, Asien
zu zwei Dritteln, Afrika zu drei Vierteln und ebenso Amerika umspült, steht
Europa allen andern Erdtheilen gleich nahe, ist es mit allen in Wechselwirkung.
Der atlantische Ocean gehört den offnen unüberschaulichen Wassermassen des
äußern Oceans weniger an, er ist vielmehr zu den nach innerhalb der großen
Continente der Alten und Neuen Welt eingeschlossenen Meeren zu zählen. So
gleicht Europas Stellung der Lage des Fruchtbodcnö in der Mitte der Blume,
zu dem alle Saftgefäße leiten, zu dem der ganze reiche Blätterschmuck an¬
gehört. Kein anderer Erdtheil ist ähnlich gelegen, den Nordosten Amerikas etwa
ausgenommen, der überhaupt in Allem die größte Analogie mit Europa hat.


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[0513] Dwina bei Archangel liegt die Roseninsel, berühmt durch die Fülle ihrer wilden Rosen, während weiter im Osten auf diesen Breiten keine Blume dieser Gat¬ tung das Auge entzückt. Ebenso wird umgekehrt am Südende Europas, in Spanien, Sicilien und Candia das Uebermaß der tropischen und subtropischen Hinc schon durch die Kühlung der Meere, sowie durch die Erhebung der Ge¬ stade in kältere Luftregionen gemildert. Noch größer endlich ist die Harmonie der klimatischen Verhältnisse zwischen den Ost- und Wcstendcn des europäischen Erdtheils, und so zeigen Paris und Moskau, Lissabon und Astrachan, Madrid und Konstantinopel große Analogien und nur untergeordnete Differenzen, so konnte dieselbe Menschenrace ganz Europa, so konnte der germanische Stamm zugleich Spanien und Sicilien als Skandinavien bevölkern. Welcher Unterschied dagegen zwischen Tobolsk und Kalkutta, zwischen Babylon und Peking, und wie hätte der Sibirier in Indien eine Heimath sich gründen können, wo schon die Mandschu in China, die Mongolen in anderen Theilen Südasiens entarteten? Und der größeren Harmonie der klimatischen Berhcillnisse entspricht die Harmonie der Flora und Fauna Europas. In Asien contrastiren die Hunderte von Meilen bedeckenden Teppiche des Nennthiermooses in Sibirien mit den Bananenhainen und Kokosvalmenwcildcrn Indiens, in Amerika die schattigen dichten Urwaldungen und Saftpflanzen mit den reitelhohen Grasungen der Savannen im Süden und Norden, während in Europa Mittelformen aller an¬ dern pflanzlichen Organismen herrschen. Aehnliches gilt von der Menschen- gcstciltung in Europa, die deshalb der wirkliche Kanon, das Ebenmaß für alle Uebergänge und Abweichungen in den übrigen Nacenbildungcn ist, Aehnliches auch von der Thierwelt. überall der Charakter vermittelnder Mäßigung. Dazu kommt aber noch ein anderes wichtiges Moment, die Lage und Ge¬ staltung unseres Erdtheils. Europa ist der cvntinentalste Erdtheil; denn das gesammte trockene Land des Planeten liegt vorherrschend auf der Nordvsthalbc der Erdkugel zusammengedrängt, und in dieser zusammengedrängtesten, continen- talstcn Masse bildet Europa die Mitte; es ist der umgebene Erdtheil, die an¬ dern sind die umgebenden. Durch einen Ring von Continenten eingefaßt, nicht berührt von der weiten Einöde des Austtalvceans, der Australien ganz, Asien zu zwei Dritteln, Afrika zu drei Vierteln und ebenso Amerika umspült, steht Europa allen andern Erdtheilen gleich nahe, ist es mit allen in Wechselwirkung. Der atlantische Ocean gehört den offnen unüberschaulichen Wassermassen des äußern Oceans weniger an, er ist vielmehr zu den nach innerhalb der großen Continente der Alten und Neuen Welt eingeschlossenen Meeren zu zählen. So gleicht Europas Stellung der Lage des Fruchtbodcnö in der Mitte der Blume, zu dem alle Saftgefäße leiten, zu dem der ganze reiche Blätterschmuck an¬ gehört. Kein anderer Erdtheil ist ähnlich gelegen, den Nordosten Amerikas etwa ausgenommen, der überhaupt in Allem die größte Analogie mit Europa hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/513>, abgerufen am 27.09.2024.