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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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der heterogensten Länderbestandtheile an ihre Schicksale geknüpft hat, deren
gegenseitige Beziehungen nur darin bestanden, daß sie gemeinschaftlich den
Interessen des Herrscherhauses dienten. Es ist leicht ersichtlich, wie diese Verhält¬
nisse dazu führen mußten, die Thätigkeit der Regierenden von den verzweifelt
schwierigen innern Aufgaben abzulenken und ausschließlich auf die Wege der
Machtcrweiterung nach Außen zu weisen. So war es erklärlich, ja nothwen¬
dig, daß alle staatsmännische Thätigkeit sich in der Diplomatie concentrirte,
und im Innern die Verwaltungsroutine, in der ja auch Franz der Erste ein Meister
war. zur unbestrittenen Herrschaft gelangte. Dazu kam noch, daß diejenigen
inneren Angelegenheiten, deren Erledigung gelegentlich die Kräfte und Fähig¬
keiten der Routine überschritt, zum Theil vortrefflich für eine diplomatische Be¬
handlung geeignet waren. Zu welchen Mitteln sollte man seine Zuflucht nehmen,
wenn die Praxis der Verwaltung nicht ausreichte, um die widerstrebenden Stände
der selbständig gestellten Landestheile, besonders Ungarns, der Gewährung
kaiserlicher Forderungen geneigt zu machen? Es blieb nichts Anderes übrig, als
diplomatisch, Macht gegen Macht, mit ihnen zu verhandeln, und zu versuchen,
ob es gelingen werde, die wichtigsten den innern Staatsorganismus betreffen¬
den Fragen mit den im internationalen Verkehr oft mit Meisterschaft angewand¬
ten Künsten zu lösen.

Die erwähnte Eigenthümlichkeit der östreichischen Politik hat denn auch
zur Folge gehabt, daß vor 1848 die Aufmerksamkeit der Welt fast nur auf die
Stellung Oestreichs zu den großen europäischen Fragen gerichtet gewesen ist,
daß dagegen die inneren Zustände des Reiches sich fast gänzlich der Beachtung
entzogen, es sei Kenn, daß eine der stets sich wiederholenden Finanzkrisen die
Börsen Europas mit Schrecken erfüllte, und daß gelegentlich Anekdoten über die
östreichische Censur und Polizei oder über Grenzcontrole "im Reiche" circulir-
ten. Im Uebrigen wußte man nicht viel mehr, als daß der Mangel an Frei¬
heit in der Pflege der materiellen Interessen einen Ersatz finde, daß der Druck
des politischen Systems leicht auf einem Volke laste, dem es an jedem Sinn
für geistige Bewegung fehle, und daß nirgends das Dasein mit ruhigerem und
gemüthlicheren Behagen genossen werde, als in dem Kaiserstaat. Vermochte
doch selbst der kritische norddeutsche nicht gegen die Reize des wiener Lebens
gleichgiltig zu bleiben. ,

So mußte denn die Kenntniß der inneren Verhältnisse Oestreichs eine
oberflächliche, auf das Aeußere beschränkte bleiben, Und doch ist ohne ein ge¬
naueres Eingehen auf diese Seite des Staatslebens die Geschichte der auswär¬
tigen Politik Oestreichs nicht vollständig zu verstehen. Freilich lag im Wesen
der östreichischen Staatsanschauung selbst das Streben begründet, den Zusam¬
menhang zwischen den inneren Zuständen des Staates und den Lebensäuße¬
rungen desselben nach Außen hin auf ein möglichst geringes Maß zu reduci-


der heterogensten Länderbestandtheile an ihre Schicksale geknüpft hat, deren
gegenseitige Beziehungen nur darin bestanden, daß sie gemeinschaftlich den
Interessen des Herrscherhauses dienten. Es ist leicht ersichtlich, wie diese Verhält¬
nisse dazu führen mußten, die Thätigkeit der Regierenden von den verzweifelt
schwierigen innern Aufgaben abzulenken und ausschließlich auf die Wege der
Machtcrweiterung nach Außen zu weisen. So war es erklärlich, ja nothwen¬
dig, daß alle staatsmännische Thätigkeit sich in der Diplomatie concentrirte,
und im Innern die Verwaltungsroutine, in der ja auch Franz der Erste ein Meister
war. zur unbestrittenen Herrschaft gelangte. Dazu kam noch, daß diejenigen
inneren Angelegenheiten, deren Erledigung gelegentlich die Kräfte und Fähig¬
keiten der Routine überschritt, zum Theil vortrefflich für eine diplomatische Be¬
handlung geeignet waren. Zu welchen Mitteln sollte man seine Zuflucht nehmen,
wenn die Praxis der Verwaltung nicht ausreichte, um die widerstrebenden Stände
der selbständig gestellten Landestheile, besonders Ungarns, der Gewährung
kaiserlicher Forderungen geneigt zu machen? Es blieb nichts Anderes übrig, als
diplomatisch, Macht gegen Macht, mit ihnen zu verhandeln, und zu versuchen,
ob es gelingen werde, die wichtigsten den innern Staatsorganismus betreffen¬
den Fragen mit den im internationalen Verkehr oft mit Meisterschaft angewand¬
ten Künsten zu lösen.

Die erwähnte Eigenthümlichkeit der östreichischen Politik hat denn auch
zur Folge gehabt, daß vor 1848 die Aufmerksamkeit der Welt fast nur auf die
Stellung Oestreichs zu den großen europäischen Fragen gerichtet gewesen ist,
daß dagegen die inneren Zustände des Reiches sich fast gänzlich der Beachtung
entzogen, es sei Kenn, daß eine der stets sich wiederholenden Finanzkrisen die
Börsen Europas mit Schrecken erfüllte, und daß gelegentlich Anekdoten über die
östreichische Censur und Polizei oder über Grenzcontrole „im Reiche" circulir-
ten. Im Uebrigen wußte man nicht viel mehr, als daß der Mangel an Frei¬
heit in der Pflege der materiellen Interessen einen Ersatz finde, daß der Druck
des politischen Systems leicht auf einem Volke laste, dem es an jedem Sinn
für geistige Bewegung fehle, und daß nirgends das Dasein mit ruhigerem und
gemüthlicheren Behagen genossen werde, als in dem Kaiserstaat. Vermochte
doch selbst der kritische norddeutsche nicht gegen die Reize des wiener Lebens
gleichgiltig zu bleiben. ,

So mußte denn die Kenntniß der inneren Verhältnisse Oestreichs eine
oberflächliche, auf das Aeußere beschränkte bleiben, Und doch ist ohne ein ge¬
naueres Eingehen auf diese Seite des Staatslebens die Geschichte der auswär¬
tigen Politik Oestreichs nicht vollständig zu verstehen. Freilich lag im Wesen
der östreichischen Staatsanschauung selbst das Streben begründet, den Zusam¬
menhang zwischen den inneren Zuständen des Staates und den Lebensäuße¬
rungen desselben nach Außen hin auf ein möglichst geringes Maß zu reduci-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/490>, abgerufen am 27.09.2024.