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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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nicht versuchte, weil sie eine über das Mechanische hinausgehende, lebendige
Thätigkeit und Bewegung erfordert hätte.

Demgemäß war, wie schon Schmidt in der zeitgenössischen Geschichte über¬
zeugend dargelegt hat, die Stabilität zum leitenden Princip der östreichischen
Politik erhoben worden. Dies Princip sagte ebenso den starr absolutistischen
Neigungen des Herrschers, wie dem quietistischen Systeme des geschmeidigeren,
aber von einer krankhaften Furcht vor jeder populären Bewegung erfüllten
Ministers zu. Freilich mußte auch hier, wie überall, das Princip vor der
Macht der Thatsachen sich beugen. Der überlegenen Gewalt der Julirevolution
gegenüber gab man den Grundsatz des unbedingten Widerstandes gegen die
Revolution auf und beschränkte sich selbst in der Theorie auf den Widerstand
innerhalb der Grenzen des Möglichen, womit natürlich das ganze Princip,
das man bis dahin als den Schutz gegen alle Stürme, als die Grundlage
aller Staatsweisheit gepriesen hatte, Vollständig aufgegeben wurde. Ja man
ging sogar so weit, gewissen Revolutionen eine Art von Berechtigung zuzugestehen;
man fügte sich thatsächlich in den wichtigsten Punkten dem Princip der Nicht-
intervcntion, wenn man auch theoretisch an dem entgegengesetzten Princip fest¬
hielt. Bei diesem Aufgeben dessen, was man nicht länger halten konnte, blieb
man stehen. Das Princip, dem man bisher gefolgt war, hatte dem Staate
eine verhältnißmäßig große Sicherheit nach Innen und Außen gewährt, so lange
man es unverletzt aufrecht erhalten konnte. Aber seine Herrschaft hatte den
Staat jeder geistigen Productivität beraubt: kein schöpferischer Gedanke, nach
dem die ihrer Grundlagen beraubte Politik sich den Anforderungen der neuen
Verhältnisse gemäß hätte umgestalten können, trat ins Leben.

Es gehört zu den besonders charakteristischen Eigenthümlichkeiten der östrei¬
chischen Politik, daß sie fast ausschließlich die Beziehungen des Staates zum
Auslande ins Auge faßt, und daß jeder andere Staatszweck vor dem einen
zurücktritt, zwar nicht die Ausdehnung, aber doch die Machtstellung des Reiches
zu vermehren. Die einzelnen Theile des Reiches wurden bis aus die neueste
Zeit nur durch das gemeinschaftliche Band der Dynastie zusammengehalten.
Seit Jahrhunderten hat die Dynastie mit wenigen Ausnahmen ohne jede Rück¬
sicht aus nationale Interessen, ja oft im schroffsten Gegensatze zu ihnen, ohne
jedes Bewußtsein eines civilisatorischen. culturcntfaltenden Berufes nur für
ihren Glanz gewirkt. Die aus einer längst entschwundenen Zeit überkommenen
Traditionen des alten Kaiserthums hatten zwar längst alle reale Bedeutung ver¬
loren; sie waren aber gerade noch stark genug, um zum Nimbus für die Herr¬
lichkeit des ErzHauses gebraucht zu werden. Der Titel, kraft dessen die Herr¬
scher des alten Reiches die Herrschaft über die Christenheit beansprucht hatten
wurde zum Schmuck für die Habsburgische Dynastie, die durch die wunderbare
Gunst der Verhältnisse einen mächtigen, aber zusammenhangslosen Komplex


nicht versuchte, weil sie eine über das Mechanische hinausgehende, lebendige
Thätigkeit und Bewegung erfordert hätte.

Demgemäß war, wie schon Schmidt in der zeitgenössischen Geschichte über¬
zeugend dargelegt hat, die Stabilität zum leitenden Princip der östreichischen
Politik erhoben worden. Dies Princip sagte ebenso den starr absolutistischen
Neigungen des Herrschers, wie dem quietistischen Systeme des geschmeidigeren,
aber von einer krankhaften Furcht vor jeder populären Bewegung erfüllten
Ministers zu. Freilich mußte auch hier, wie überall, das Princip vor der
Macht der Thatsachen sich beugen. Der überlegenen Gewalt der Julirevolution
gegenüber gab man den Grundsatz des unbedingten Widerstandes gegen die
Revolution auf und beschränkte sich selbst in der Theorie auf den Widerstand
innerhalb der Grenzen des Möglichen, womit natürlich das ganze Princip,
das man bis dahin als den Schutz gegen alle Stürme, als die Grundlage
aller Staatsweisheit gepriesen hatte, Vollständig aufgegeben wurde. Ja man
ging sogar so weit, gewissen Revolutionen eine Art von Berechtigung zuzugestehen;
man fügte sich thatsächlich in den wichtigsten Punkten dem Princip der Nicht-
intervcntion, wenn man auch theoretisch an dem entgegengesetzten Princip fest¬
hielt. Bei diesem Aufgeben dessen, was man nicht länger halten konnte, blieb
man stehen. Das Princip, dem man bisher gefolgt war, hatte dem Staate
eine verhältnißmäßig große Sicherheit nach Innen und Außen gewährt, so lange
man es unverletzt aufrecht erhalten konnte. Aber seine Herrschaft hatte den
Staat jeder geistigen Productivität beraubt: kein schöpferischer Gedanke, nach
dem die ihrer Grundlagen beraubte Politik sich den Anforderungen der neuen
Verhältnisse gemäß hätte umgestalten können, trat ins Leben.

Es gehört zu den besonders charakteristischen Eigenthümlichkeiten der östrei¬
chischen Politik, daß sie fast ausschließlich die Beziehungen des Staates zum
Auslande ins Auge faßt, und daß jeder andere Staatszweck vor dem einen
zurücktritt, zwar nicht die Ausdehnung, aber doch die Machtstellung des Reiches
zu vermehren. Die einzelnen Theile des Reiches wurden bis aus die neueste
Zeit nur durch das gemeinschaftliche Band der Dynastie zusammengehalten.
Seit Jahrhunderten hat die Dynastie mit wenigen Ausnahmen ohne jede Rück¬
sicht aus nationale Interessen, ja oft im schroffsten Gegensatze zu ihnen, ohne
jedes Bewußtsein eines civilisatorischen. culturcntfaltenden Berufes nur für
ihren Glanz gewirkt. Die aus einer längst entschwundenen Zeit überkommenen
Traditionen des alten Kaiserthums hatten zwar längst alle reale Bedeutung ver¬
loren; sie waren aber gerade noch stark genug, um zum Nimbus für die Herr¬
lichkeit des ErzHauses gebraucht zu werden. Der Titel, kraft dessen die Herr¬
scher des alten Reiches die Herrschaft über die Christenheit beansprucht hatten
wurde zum Schmuck für die Habsburgische Dynastie, die durch die wunderbare
Gunst der Verhältnisse einen mächtigen, aber zusammenhangslosen Komplex


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/489>, abgerufen am 27.09.2024.