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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Verfasser Privatmittheilungen von kundiger Hand zu Gebote. Wenn man er¬
wägt, einen wie verderblichen Einfluß die finanzielle Zerrüttung auf die innern
Zustände, oft auch auf die internationalen Beziehungen des Kaiserstaates ausgeübt,
in wie viele Kreise der fast permanent gewordene Staatsbankrott Zersetzung und
Demoralisirung getragen hat, so wird man in vollem Maße das Verdienst zu
würdigen wissen, welches der Verfasser sich durch seine klare, eingehende und
zusammenhängende Bearbeitung der Geschichte der östreichischen Finanzen er¬
worben hat. Wir stehen nicht an, die Abschnitte, welche diesen Gegenstand be¬
handeln, zu den wichtigsten und dcmkenswerthesten Partien des Werkes zu
zählen.

Springer faßt den Inhalt des ersten Theiles seines Werkes in die Worte
zusammen: "Der Verfall des alten Reiches". Und in der That rechtfertigt der
Gang der geschilderten Begebenheiten die Wahl des Titels vollkommen. Unter
den erschütternden Ereignissen des Jahres 1848 wirkte wohl keines mit so
überraschender, so betrübender Gewalt, als die wiener Revolution, die mit
einem Schlage einem System ein Ende machte, in welchem alle Widerstands¬
kraft, die das conservative Princip den Umsturzbestrebungen in Europa ent¬
gegenzusetzen hatte, sich wie in einem lebendigen Brennpunkt zu concentriren
schien. Mit Metternichs Sturz schien der letzte Anker der Ordnung aus dem
unterwühlten Boden des Continents losgerissen zu sein. Eine Revolution, vor
deren erstem Anlauf dieser festgefügte, wie es schien, zu ewiger Stabilität be¬
stimmte Staatskörper sast widerstandslos zusammengesunken war, mußte mit
der verheerenden, unwiderstehlichen Gewalt einer elementaren Naturkraft wir¬
ken. Man hatte sich aber über die Zustände Oestreichs vollständig getäuscht
Durch Ueberraschung fällt kein festgefügtes Staatsgebäude. Der Staat, welchen
die Mairevolution zertrümmerte, wäre längst zerfallen, wenn ihm nicht selbst
die Kraft abhanden gekommen wäre, einen Schritt aus dem Geleise heraus¬
zuthun, in welchem er seine Existenz von einen Tage zum andern fortspann.

Ueber alle Gebiete des Staatslebens, wenn auch nicht über alle in glei¬
chem Maße, hatte sich in stets wachsender Progression der Verfall verbreitet.
Nach welcher Richtung hin auch der Staatsorganismus zu wirken suchte, überall
stieß er auf Hindernisse, welche die geschwächten und gelähmten Organe nicht zu
überwinden vermochten. Und nicht blos an den an sich großen Schwierigkeiten,
die auch ein festes Gefüge zu erschüttern vermögen, deren Beseitigung auch in
dem bestgeordnetcn Staate eine ungewöhnliche Anspannung aller Kräfte erfor¬
dert, sollte die östreichische Staatskunst scheitern. Auch die kleinen Verlegenheiten,
die in normalen Verhältnissen nur bewirken, daß der Staat, indem seine Or¬
gane in einer mäßigen und heilsamen Bewegung gehalten werden, vor einer
maschinenmäßiger, mechanischen Routine bewahrt wird, wurden in dem alten
Oestreich sofort zu Schwierigkeiten, deren endgiltige Lösung man deshalb gar


Verfasser Privatmittheilungen von kundiger Hand zu Gebote. Wenn man er¬
wägt, einen wie verderblichen Einfluß die finanzielle Zerrüttung auf die innern
Zustände, oft auch auf die internationalen Beziehungen des Kaiserstaates ausgeübt,
in wie viele Kreise der fast permanent gewordene Staatsbankrott Zersetzung und
Demoralisirung getragen hat, so wird man in vollem Maße das Verdienst zu
würdigen wissen, welches der Verfasser sich durch seine klare, eingehende und
zusammenhängende Bearbeitung der Geschichte der östreichischen Finanzen er¬
worben hat. Wir stehen nicht an, die Abschnitte, welche diesen Gegenstand be¬
handeln, zu den wichtigsten und dcmkenswerthesten Partien des Werkes zu
zählen.

Springer faßt den Inhalt des ersten Theiles seines Werkes in die Worte
zusammen: „Der Verfall des alten Reiches". Und in der That rechtfertigt der
Gang der geschilderten Begebenheiten die Wahl des Titels vollkommen. Unter
den erschütternden Ereignissen des Jahres 1848 wirkte wohl keines mit so
überraschender, so betrübender Gewalt, als die wiener Revolution, die mit
einem Schlage einem System ein Ende machte, in welchem alle Widerstands¬
kraft, die das conservative Princip den Umsturzbestrebungen in Europa ent¬
gegenzusetzen hatte, sich wie in einem lebendigen Brennpunkt zu concentriren
schien. Mit Metternichs Sturz schien der letzte Anker der Ordnung aus dem
unterwühlten Boden des Continents losgerissen zu sein. Eine Revolution, vor
deren erstem Anlauf dieser festgefügte, wie es schien, zu ewiger Stabilität be¬
stimmte Staatskörper sast widerstandslos zusammengesunken war, mußte mit
der verheerenden, unwiderstehlichen Gewalt einer elementaren Naturkraft wir¬
ken. Man hatte sich aber über die Zustände Oestreichs vollständig getäuscht
Durch Ueberraschung fällt kein festgefügtes Staatsgebäude. Der Staat, welchen
die Mairevolution zertrümmerte, wäre längst zerfallen, wenn ihm nicht selbst
die Kraft abhanden gekommen wäre, einen Schritt aus dem Geleise heraus¬
zuthun, in welchem er seine Existenz von einen Tage zum andern fortspann.

Ueber alle Gebiete des Staatslebens, wenn auch nicht über alle in glei¬
chem Maße, hatte sich in stets wachsender Progression der Verfall verbreitet.
Nach welcher Richtung hin auch der Staatsorganismus zu wirken suchte, überall
stieß er auf Hindernisse, welche die geschwächten und gelähmten Organe nicht zu
überwinden vermochten. Und nicht blos an den an sich großen Schwierigkeiten,
die auch ein festes Gefüge zu erschüttern vermögen, deren Beseitigung auch in
dem bestgeordnetcn Staate eine ungewöhnliche Anspannung aller Kräfte erfor¬
dert, sollte die östreichische Staatskunst scheitern. Auch die kleinen Verlegenheiten,
die in normalen Verhältnissen nur bewirken, daß der Staat, indem seine Or¬
gane in einer mäßigen und heilsamen Bewegung gehalten werden, vor einer
maschinenmäßiger, mechanischen Routine bewahrt wird, wurden in dem alten
Oestreich sofort zu Schwierigkeiten, deren endgiltige Lösung man deshalb gar


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[0488] Verfasser Privatmittheilungen von kundiger Hand zu Gebote. Wenn man er¬ wägt, einen wie verderblichen Einfluß die finanzielle Zerrüttung auf die innern Zustände, oft auch auf die internationalen Beziehungen des Kaiserstaates ausgeübt, in wie viele Kreise der fast permanent gewordene Staatsbankrott Zersetzung und Demoralisirung getragen hat, so wird man in vollem Maße das Verdienst zu würdigen wissen, welches der Verfasser sich durch seine klare, eingehende und zusammenhängende Bearbeitung der Geschichte der östreichischen Finanzen er¬ worben hat. Wir stehen nicht an, die Abschnitte, welche diesen Gegenstand be¬ handeln, zu den wichtigsten und dcmkenswerthesten Partien des Werkes zu zählen. Springer faßt den Inhalt des ersten Theiles seines Werkes in die Worte zusammen: „Der Verfall des alten Reiches". Und in der That rechtfertigt der Gang der geschilderten Begebenheiten die Wahl des Titels vollkommen. Unter den erschütternden Ereignissen des Jahres 1848 wirkte wohl keines mit so überraschender, so betrübender Gewalt, als die wiener Revolution, die mit einem Schlage einem System ein Ende machte, in welchem alle Widerstands¬ kraft, die das conservative Princip den Umsturzbestrebungen in Europa ent¬ gegenzusetzen hatte, sich wie in einem lebendigen Brennpunkt zu concentriren schien. Mit Metternichs Sturz schien der letzte Anker der Ordnung aus dem unterwühlten Boden des Continents losgerissen zu sein. Eine Revolution, vor deren erstem Anlauf dieser festgefügte, wie es schien, zu ewiger Stabilität be¬ stimmte Staatskörper sast widerstandslos zusammengesunken war, mußte mit der verheerenden, unwiderstehlichen Gewalt einer elementaren Naturkraft wir¬ ken. Man hatte sich aber über die Zustände Oestreichs vollständig getäuscht Durch Ueberraschung fällt kein festgefügtes Staatsgebäude. Der Staat, welchen die Mairevolution zertrümmerte, wäre längst zerfallen, wenn ihm nicht selbst die Kraft abhanden gekommen wäre, einen Schritt aus dem Geleise heraus¬ zuthun, in welchem er seine Existenz von einen Tage zum andern fortspann. Ueber alle Gebiete des Staatslebens, wenn auch nicht über alle in glei¬ chem Maße, hatte sich in stets wachsender Progression der Verfall verbreitet. Nach welcher Richtung hin auch der Staatsorganismus zu wirken suchte, überall stieß er auf Hindernisse, welche die geschwächten und gelähmten Organe nicht zu überwinden vermochten. Und nicht blos an den an sich großen Schwierigkeiten, die auch ein festes Gefüge zu erschüttern vermögen, deren Beseitigung auch in dem bestgeordnetcn Staate eine ungewöhnliche Anspannung aller Kräfte erfor¬ dert, sollte die östreichische Staatskunst scheitern. Auch die kleinen Verlegenheiten, die in normalen Verhältnissen nur bewirken, daß der Staat, indem seine Or¬ gane in einer mäßigen und heilsamen Bewegung gehalten werden, vor einer maschinenmäßiger, mechanischen Routine bewahrt wird, wurden in dem alten Oestreich sofort zu Schwierigkeiten, deren endgiltige Lösung man deshalb gar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/488>, abgerufen am 27.09.2024.