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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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was stärker war als ihre Macht? Und diese stärkere Macht bestand dort in der
Ueberzeugung, daß ihr Volk sich wie ein Mann gegen jede auffallende Un¬
gesetzlichkeit erheben würde. Denn in England liegt, wie bemerkt, die Macht
beim Volke.

Ebenso denkt die feudale Partei in Preußen. Unser ist die Macht, folg¬
lich muß geschehen, was wir für recht halten. Mit uns ist die Majestät des
Königs, der gesammte Organismus der Administration, das Recht Steuern zu
erheben, das ganze Kriegsheer. Die Partei hat nicht Unrecht, aber es ist nicht
schön, daß sie damit so sicher prahlt.

Und was hat dagegen die parlamentarische Opposition außer ihremÄechte
einzusetzen? Sie besitzt die Herzen der Majorität des Volkes.

So stehen die Parteien einander gegenüber. Die feudale Partei angrei¬
fend, mit überlegten Plane, zur letzten Appellation an die Kraft wohl ent¬
schlossen. Die Majorität des Volks aus der Defensive, überrascht, aufgeregt,
erbittert, nicht ohne Leitung, aber noch ohne Führung nach einheitlichem
Plane.

Der preußische Vcrfassungsstreit ist nicht mehr eine Rechtsfrage, sondern er
ist eine Machtfrage geworden.

Eine nahe Zukunft wird Europa darüber belehren, auf welcher Seite die
?. größere Macht war.




Neue Schriften über Schiller.
Ueber Schillers Lyrik im Verhältnisse zu ihrer musikalischen
Behandlung. Von Dr. F. A. Brand Slüter. Berlin, Ferdinand Tümmlers
Verlagsbuchhandlung. 1863. 39 S. Quart.

Eine Abhandlung, die schon deshalb von Interesse ist, weil man Schiller in
seinem Verhältniß zur Musik noch nicht ins Auge gefaßt hat, und die augenschein¬
lich auf einer reichen Sammlung musikalisch-literarischer Notizen beruht, außerdem
aber insofern willkommen zu heißen ist, als sie (beiläufig allerdings von dem eigent¬
lichen Thema abspringend) sich gegen gewisse Phrase" kehrt, die 1859 über Schiller
gemacht wurden und von Vielen jedenfalls noch heute für baare Münze angenom¬
men werden. Der Verfasser ist ein nüchterner Kritiker und sein Vorrath von Bei¬
spielen reicht vollkommen hin, zu überzeugen. Er zeigt uns zunächst Schillers Ver¬
hältniß zur Musik im Allgemeinen, seine Ansicht von derselben, seinen musikalischen
Geschmack, seine mangelhafte Kenntniß von der Tonkunst, seine Meinung über die
Verwendbarkeit derselben. Dann folgt ein Capitel über Schiller und seine Dichtun¬
gen im Allgemeinen, in welchem namentlich die Abschnitte über das Verhalten der


was stärker war als ihre Macht? Und diese stärkere Macht bestand dort in der
Ueberzeugung, daß ihr Volk sich wie ein Mann gegen jede auffallende Un¬
gesetzlichkeit erheben würde. Denn in England liegt, wie bemerkt, die Macht
beim Volke.

Ebenso denkt die feudale Partei in Preußen. Unser ist die Macht, folg¬
lich muß geschehen, was wir für recht halten. Mit uns ist die Majestät des
Königs, der gesammte Organismus der Administration, das Recht Steuern zu
erheben, das ganze Kriegsheer. Die Partei hat nicht Unrecht, aber es ist nicht
schön, daß sie damit so sicher prahlt.

Und was hat dagegen die parlamentarische Opposition außer ihremÄechte
einzusetzen? Sie besitzt die Herzen der Majorität des Volkes.

So stehen die Parteien einander gegenüber. Die feudale Partei angrei¬
fend, mit überlegten Plane, zur letzten Appellation an die Kraft wohl ent¬
schlossen. Die Majorität des Volks aus der Defensive, überrascht, aufgeregt,
erbittert, nicht ohne Leitung, aber noch ohne Führung nach einheitlichem
Plane.

Der preußische Vcrfassungsstreit ist nicht mehr eine Rechtsfrage, sondern er
ist eine Machtfrage geworden.

Eine nahe Zukunft wird Europa darüber belehren, auf welcher Seite die
?. größere Macht war.




Neue Schriften über Schiller.
Ueber Schillers Lyrik im Verhältnisse zu ihrer musikalischen
Behandlung. Von Dr. F. A. Brand Slüter. Berlin, Ferdinand Tümmlers
Verlagsbuchhandlung. 1863. 39 S. Quart.

Eine Abhandlung, die schon deshalb von Interesse ist, weil man Schiller in
seinem Verhältniß zur Musik noch nicht ins Auge gefaßt hat, und die augenschein¬
lich auf einer reichen Sammlung musikalisch-literarischer Notizen beruht, außerdem
aber insofern willkommen zu heißen ist, als sie (beiläufig allerdings von dem eigent¬
lichen Thema abspringend) sich gegen gewisse Phrase» kehrt, die 1859 über Schiller
gemacht wurden und von Vielen jedenfalls noch heute für baare Münze angenom¬
men werden. Der Verfasser ist ein nüchterner Kritiker und sein Vorrath von Bei¬
spielen reicht vollkommen hin, zu überzeugen. Er zeigt uns zunächst Schillers Ver¬
hältniß zur Musik im Allgemeinen, seine Ansicht von derselben, seinen musikalischen
Geschmack, seine mangelhafte Kenntniß von der Tonkunst, seine Meinung über die
Verwendbarkeit derselben. Dann folgt ein Capitel über Schiller und seine Dichtun¬
gen im Allgemeinen, in welchem namentlich die Abschnitte über das Verhalten der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/480>, abgerufen am 27.09.2024.