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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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durch Gesetzessiellen zu stützen. Wenn die Verfassung selbst in einem Paragraph
die Freiheit der Presse decretirt, in einem andern Paragraphen zur Zeit eines
Nothstandes der Regierung das Recht gibt, vorübergehend Gesetze zu suspen-
diren, so zieht die Verfassungspartei diesen, die Negierung jenen Paragraphen
an. Wenn die Verfassung auf der einen Seite jedem Bürger das Petitionsrecht
schützt, die Städteordnung dagegen das Petitionsrecht der Communen auf ihre
Gemeindeinteressen beschränkt, so dürfen die Opposition und die Negierung sich
auf Paragraphen berufen. Nun ist zwar in diesem, wie wahrscheinlich in jedem
andern Falle sowohl dem Richter von Urtheil als dem unbefangenen Billig¬
keitsgefühl unzweifelhaft, welches Recht das bessere sei. Es ist an sich unthun-
lich, das Petitionsrecht großer Gemeinden zu beschränken, wo jedem einzelnen
Bürger dasselbe Recht zusteht. Und es entzieht sich ferner jedem menschlichen
Verständniß, wie eine Adresse der großen Stadt Berlin, welche dem Könige die
Aufregung der Stadt und die Schädigung gewerblicher Interessen derselben
schildert, mit communalen Interessen nichts zu thun haben solle.

Und ferner, die Freiheit der Presse ist durch das höchste Gesetz des Staa¬
tes garantirt. Kein Richter von Urtheil und kein billig Denkender in Europa
wird zugeben können, daß der Nothstand für den Staat vorhanden sei, indem
das Gesetz eine vorübergehende Ausnahme zuläßt. Die Auffassung des Ministe¬
riums beruht auf einem Mißverständnis das Ministerium war in Noth, aber
nicht der Staat.

Aber wie leicht diese Maßregeln des Ministeriums der Opposition auch ge¬
macht haben, das gute Recht auf ihrer Seite zu behalten, so wird dieser
werthvolle Besitz doch an sich ihr weder den Sieg sichern noch eine Fortsetzung
des gesetzlichen Kampfes aus die Länge möglich machen. Recht hat nur einen
Werth, wenn man dasselbe geltend machen darf. Das Gesetz ist mir unnütz,
sobald ich keinen Richter finde, der mir zu meinem Recht verhilft. Voraus¬
sichtlich wird das Volt in Preußen in kurzer Zeit zu dieser Ansicht kommen.

Und die feudale Partei thut Alles, um dieselbe Ansicht allgemein zu ma¬
chen, die >schlechtesten ihrer Blätter verkünden im Triumph, daß nun bald das
Opponiren ein Ende haben werde, höhnend fordern sie zu einem Kampfe her¬
aus, der, wie etwa im Jahre 1848, hinter Barrikaden abgemacht werden
solle. Es ist möglich, daß die Negierung auch dies ins Auge gefaßt und die
nöthigen Operationspläne und Ordres vorgesehen hat.

Die Blätter der feudalen Partei und die Regierung haben ganz Recht:
nur wer die Macht hat. hat das Recht, d. h. nur er kann das Recht fest¬
halten. Das wird ebensogut wie in Preußen, in den Staaten sichtbar, in
denen die parlamentarische Partei die Macht hat. Würden in England die
Könige von Wilhelm dem "Befreier" bis zur Königin Victoria verfassungs¬
mäßig regiert haben, wenn sie nicht etwas zu scheuen und zu ehren hatten,


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durch Gesetzessiellen zu stützen. Wenn die Verfassung selbst in einem Paragraph
die Freiheit der Presse decretirt, in einem andern Paragraphen zur Zeit eines
Nothstandes der Regierung das Recht gibt, vorübergehend Gesetze zu suspen-
diren, so zieht die Verfassungspartei diesen, die Negierung jenen Paragraphen
an. Wenn die Verfassung auf der einen Seite jedem Bürger das Petitionsrecht
schützt, die Städteordnung dagegen das Petitionsrecht der Communen auf ihre
Gemeindeinteressen beschränkt, so dürfen die Opposition und die Negierung sich
auf Paragraphen berufen. Nun ist zwar in diesem, wie wahrscheinlich in jedem
andern Falle sowohl dem Richter von Urtheil als dem unbefangenen Billig¬
keitsgefühl unzweifelhaft, welches Recht das bessere sei. Es ist an sich unthun-
lich, das Petitionsrecht großer Gemeinden zu beschränken, wo jedem einzelnen
Bürger dasselbe Recht zusteht. Und es entzieht sich ferner jedem menschlichen
Verständniß, wie eine Adresse der großen Stadt Berlin, welche dem Könige die
Aufregung der Stadt und die Schädigung gewerblicher Interessen derselben
schildert, mit communalen Interessen nichts zu thun haben solle.

Und ferner, die Freiheit der Presse ist durch das höchste Gesetz des Staa¬
tes garantirt. Kein Richter von Urtheil und kein billig Denkender in Europa
wird zugeben können, daß der Nothstand für den Staat vorhanden sei, indem
das Gesetz eine vorübergehende Ausnahme zuläßt. Die Auffassung des Ministe¬
riums beruht auf einem Mißverständnis das Ministerium war in Noth, aber
nicht der Staat.

Aber wie leicht diese Maßregeln des Ministeriums der Opposition auch ge¬
macht haben, das gute Recht auf ihrer Seite zu behalten, so wird dieser
werthvolle Besitz doch an sich ihr weder den Sieg sichern noch eine Fortsetzung
des gesetzlichen Kampfes aus die Länge möglich machen. Recht hat nur einen
Werth, wenn man dasselbe geltend machen darf. Das Gesetz ist mir unnütz,
sobald ich keinen Richter finde, der mir zu meinem Recht verhilft. Voraus¬
sichtlich wird das Volt in Preußen in kurzer Zeit zu dieser Ansicht kommen.

Und die feudale Partei thut Alles, um dieselbe Ansicht allgemein zu ma¬
chen, die >schlechtesten ihrer Blätter verkünden im Triumph, daß nun bald das
Opponiren ein Ende haben werde, höhnend fordern sie zu einem Kampfe her¬
aus, der, wie etwa im Jahre 1848, hinter Barrikaden abgemacht werden
solle. Es ist möglich, daß die Negierung auch dies ins Auge gefaßt und die
nöthigen Operationspläne und Ordres vorgesehen hat.

Die Blätter der feudalen Partei und die Regierung haben ganz Recht:
nur wer die Macht hat. hat das Recht, d. h. nur er kann das Recht fest¬
halten. Das wird ebensogut wie in Preußen, in den Staaten sichtbar, in
denen die parlamentarische Partei die Macht hat. Würden in England die
Könige von Wilhelm dem „Befreier" bis zur Königin Victoria verfassungs¬
mäßig regiert haben, wenn sie nicht etwas zu scheuen und zu ehren hatten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/479>, abgerufen am 27.09.2024.