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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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und Rekrutirung und ein förmliches Netz administrativer Behörden bildete, die,
unter den Befehl der warschauer Nationalregierung gestellt, sich unter den ge-
sammten Organismus der legalen Gewalten heruntcrschoben, glaubte man fürs
Erste vielleicht noch nicht, die Provinz Posen vom preußischen Staatsverbande
loszureißen; man unternahm aber nach unserer Ueberzeugung sicherlich Hand¬
lungen, die vom Standpunkte der Politik wie des Rechts schlechterdings nur
als eine allmälige Loslösung der Provinz aus ihrem legitimen Verbände und
folglich als hochverräterisch angesehn werden müssen. Wenn dies Unternehmen
sich im vollsten Umfange verwirklichte und die Ausgaben ganz erfüllte, die seine
Urheber ihm gestellt hatten, dann bedürfte es kaum noch eines erheblichen Risses,
und wir befanden uns hier, fast ohne es zu wissen, unter der revolutionären
Herrschaft Polens."

Dabei gibt es Menschen, denen diese Dinge noch nicht ernst genug sind;
dazu rechne ich jene, welche, was namentlich in den Kreisen Kosten, Pleschen
und Krotoschin vorkommt, an Deutsche anonyme Drohbriefe mit Haken und
Strick, an Polen, welche nicht "hinüber" gehen, einen Rocken und eine
Waffe senden. Dazu gehören die frivolen Arrangeurs der Huldigungen, mit
denen die Gefangenen während ihres Transportes mehr gehöhnt als geehrt
werden. Ein Schwindler, welcher sich Xaver v. Mikorski nannte und zuletzt
dem Wirth im Hotel d'Angleterre zu Berlin sehr übel mitspielte, hat neulich
diese Huldiger ein wenig dupirt, respective compromittirt.

In diese Frivolitäten schneidet nachher irgend eine Thatsache scharf ein,
die uns plötzlich erinnert, daß wir nicht zu tändeln und zu scherzen haben. Eine
solche ist die meines Wissens noch von keiner Zeitung mitgetheilte Ermordung
eines "Sammlers" für den Aufstand durch rückkehrende Zuzügler. Der Er¬
schlagene, ein deutscher Abenteurer, Namens Wittmann, war ein schöner großer
Mann, der früher in Schleswig-Holstein gekämpft hatte. Es war sein Beruf
gewesen, Leute für den Aufstand zu werben. Ob seine Ermordung ein Act der
Rache getäuschter Aufrührer, ob sie die Execution eines Urtheils der jenseitigen
"Behörde" war, läßt sich nicht feststellen. Thatsache ist, daß er in der Nähe
von Miaskowv todtgeschlagen wurde, daß die Mörder nicht nur Muße hatten,
die That auszuführen, sondern auch noch die, ihn an einem Stricke tiefer in
den Wald zu schleifen und dort zu verscharren, und daß die Furcht bei den
Landleuten s< lebendig ist, daß Tage vergingen, ehe dem Gericht Anzeige von
dem aufgefundenen Leichnam wurde. Denn, sagt ein darum gescholtener Mann,
Jeder liebt sein Leben, er mag nun Katholik sein oder Preuße.
"Ein Anfang galizischer Scenen", so begann ein erfahrener liberaler Mann,
als er mir die Sache erzählte.

"Drüben" d. h. zunächst im koniner Kreise ist die Furcht nicht mehr so
groß. Ein Mann aus jener Gegend, den ich heute sprach, versichert, daß es


und Rekrutirung und ein förmliches Netz administrativer Behörden bildete, die,
unter den Befehl der warschauer Nationalregierung gestellt, sich unter den ge-
sammten Organismus der legalen Gewalten heruntcrschoben, glaubte man fürs
Erste vielleicht noch nicht, die Provinz Posen vom preußischen Staatsverbande
loszureißen; man unternahm aber nach unserer Ueberzeugung sicherlich Hand¬
lungen, die vom Standpunkte der Politik wie des Rechts schlechterdings nur
als eine allmälige Loslösung der Provinz aus ihrem legitimen Verbände und
folglich als hochverräterisch angesehn werden müssen. Wenn dies Unternehmen
sich im vollsten Umfange verwirklichte und die Ausgaben ganz erfüllte, die seine
Urheber ihm gestellt hatten, dann bedürfte es kaum noch eines erheblichen Risses,
und wir befanden uns hier, fast ohne es zu wissen, unter der revolutionären
Herrschaft Polens."

Dabei gibt es Menschen, denen diese Dinge noch nicht ernst genug sind;
dazu rechne ich jene, welche, was namentlich in den Kreisen Kosten, Pleschen
und Krotoschin vorkommt, an Deutsche anonyme Drohbriefe mit Haken und
Strick, an Polen, welche nicht „hinüber" gehen, einen Rocken und eine
Waffe senden. Dazu gehören die frivolen Arrangeurs der Huldigungen, mit
denen die Gefangenen während ihres Transportes mehr gehöhnt als geehrt
werden. Ein Schwindler, welcher sich Xaver v. Mikorski nannte und zuletzt
dem Wirth im Hotel d'Angleterre zu Berlin sehr übel mitspielte, hat neulich
diese Huldiger ein wenig dupirt, respective compromittirt.

In diese Frivolitäten schneidet nachher irgend eine Thatsache scharf ein,
die uns plötzlich erinnert, daß wir nicht zu tändeln und zu scherzen haben. Eine
solche ist die meines Wissens noch von keiner Zeitung mitgetheilte Ermordung
eines „Sammlers" für den Aufstand durch rückkehrende Zuzügler. Der Er¬
schlagene, ein deutscher Abenteurer, Namens Wittmann, war ein schöner großer
Mann, der früher in Schleswig-Holstein gekämpft hatte. Es war sein Beruf
gewesen, Leute für den Aufstand zu werben. Ob seine Ermordung ein Act der
Rache getäuschter Aufrührer, ob sie die Execution eines Urtheils der jenseitigen
„Behörde" war, läßt sich nicht feststellen. Thatsache ist, daß er in der Nähe
von Miaskowv todtgeschlagen wurde, daß die Mörder nicht nur Muße hatten,
die That auszuführen, sondern auch noch die, ihn an einem Stricke tiefer in
den Wald zu schleifen und dort zu verscharren, und daß die Furcht bei den
Landleuten s< lebendig ist, daß Tage vergingen, ehe dem Gericht Anzeige von
dem aufgefundenen Leichnam wurde. Denn, sagt ein darum gescholtener Mann,
Jeder liebt sein Leben, er mag nun Katholik sein oder Preuße.
„Ein Anfang galizischer Scenen", so begann ein erfahrener liberaler Mann,
als er mir die Sache erzählte.

„Drüben" d. h. zunächst im koniner Kreise ist die Furcht nicht mehr so
groß. Ein Mann aus jener Gegend, den ich heute sprach, versichert, daß es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/474>, abgerufen am 27.09.2024.