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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Landwirthe. Für die entgegengesetzte Meinung lassen sich die allgemeinen Be-
völkcrungsvcrhältnisse geltend machen, mit denen verglichen der Stand der Ge¬
lehrten und ebenso der Kaufmannsstand ein viel zu großes Contingent zu den
Turnvereinen stellt. Thatsächlich kommt mehr als diese numerischen Bevölke-
rungsvcrhältnisse die größere oder geringere Intelligenz der Bewohner in Be¬
tracht. Wo die Volksbildung im Allgemeinen weit vorgeschritten ist. wird man
in der Regel den Nutzen des Turnens mehr anerkannt und mithin mehr Turn¬
vereinsmitglieder finden, als da, wo -- wie in Oestreich -- die Bildung noch
schwach, der Geist des Fortschritts noch im Erwachen ist. Ist eine gewisse
Durchschnittsbildung gleichmäßig über alle Theile der Bevölkerung vertheilt, so
werden auch die Turnvereine eine den allgemeinen Bevölkerungsverhältnissen
analoge Vertretung der Berufsarten aufzuweisen haben.

Die turnerische Thätigkeit der Vereine ist nach den Jahreszeiten verschieden.
Im Winter 1861 bis 1862 haben 3630 Riegen mit 45.318 Turnern, im da¬
rauffolgenden Sommer dagegen 5226 Riegen mit 64.970 Turnern geturnt.
Die Erklärung dieser Erscheinung ist nicht schwer zu entdecken. Wohlwollende
Behörden, die einem strebsamen Turnverein ein Stück Wiesengrund, einen
Sandplatz, einen Garten abtraten, konnten nur in seltnen Fällen zugleich für
ein Haus sorgen, und ein kleiner Verein vermag natürlich nicht die Mittel zur
Erwerbung oder Erbauung eines solchen aufzubringen, ja selbst die Miethe eines
geeigneten bedeckten Raumes läßt sich von manchen nicht leicht beschaffen. In¬
deß besitzen bereits 44 Vereine eigene Turnhallen, unter denen die neue leip¬
ziger, den Turnern von der Stadt erbaut, die schönste und geräumigste ist, und
unser Buch zählt eine ziemlich große Anzahl von Städten auf, deren Behörden
oder deren Turnvereine an den Bau solcher Hallen denken.

Hatten wir im Vorstehenden sehr Erfreuliches von dem Aufschwung des
Vereinsturnens zu melden, so nimmt auch das Schulturnen, soweit die
vorliegenden unvollständigen Berichte es übersehen lassen, im Ganzen guten
Fortgang.

In Oestreich haben hier und da städtische Schulbehörden, hauptsächlich
durch Mitglieder der Männerturnvercine angeregt, Interesse für die Sache be¬
thätigt. Die Regierung sieht zu. In Preußen ist das Turnen seit 1862
an allen Schulen obligatorisch. Von den Verirrungen, denen man sich höhern
Orts in Betreff der "Methode" des Turnens hingegeben, ist oben die Rede ge¬
wesen; doch mag hier noch nachgeholt werden, daß der Streit: ob schwedisch,
ob Deutsch, von Rothstein auf das wissenschaftliche Gebiet hinübergespielt, durch
die höchste medicinische Autorität zu Gunsten der Jahnschen Methode entschieden
worden ist, und daß man auf Grund dessen letzt wenigstens die "Civil-Ele¬
ven" der k. Centralturnanstalt zu Berlin im Gebrauch des Barrens und Reeks
unterweise.


Landwirthe. Für die entgegengesetzte Meinung lassen sich die allgemeinen Be-
völkcrungsvcrhältnisse geltend machen, mit denen verglichen der Stand der Ge¬
lehrten und ebenso der Kaufmannsstand ein viel zu großes Contingent zu den
Turnvereinen stellt. Thatsächlich kommt mehr als diese numerischen Bevölke-
rungsvcrhältnisse die größere oder geringere Intelligenz der Bewohner in Be¬
tracht. Wo die Volksbildung im Allgemeinen weit vorgeschritten ist. wird man
in der Regel den Nutzen des Turnens mehr anerkannt und mithin mehr Turn¬
vereinsmitglieder finden, als da, wo — wie in Oestreich — die Bildung noch
schwach, der Geist des Fortschritts noch im Erwachen ist. Ist eine gewisse
Durchschnittsbildung gleichmäßig über alle Theile der Bevölkerung vertheilt, so
werden auch die Turnvereine eine den allgemeinen Bevölkerungsverhältnissen
analoge Vertretung der Berufsarten aufzuweisen haben.

Die turnerische Thätigkeit der Vereine ist nach den Jahreszeiten verschieden.
Im Winter 1861 bis 1862 haben 3630 Riegen mit 45.318 Turnern, im da¬
rauffolgenden Sommer dagegen 5226 Riegen mit 64.970 Turnern geturnt.
Die Erklärung dieser Erscheinung ist nicht schwer zu entdecken. Wohlwollende
Behörden, die einem strebsamen Turnverein ein Stück Wiesengrund, einen
Sandplatz, einen Garten abtraten, konnten nur in seltnen Fällen zugleich für
ein Haus sorgen, und ein kleiner Verein vermag natürlich nicht die Mittel zur
Erwerbung oder Erbauung eines solchen aufzubringen, ja selbst die Miethe eines
geeigneten bedeckten Raumes läßt sich von manchen nicht leicht beschaffen. In¬
deß besitzen bereits 44 Vereine eigene Turnhallen, unter denen die neue leip¬
ziger, den Turnern von der Stadt erbaut, die schönste und geräumigste ist, und
unser Buch zählt eine ziemlich große Anzahl von Städten auf, deren Behörden
oder deren Turnvereine an den Bau solcher Hallen denken.

Hatten wir im Vorstehenden sehr Erfreuliches von dem Aufschwung des
Vereinsturnens zu melden, so nimmt auch das Schulturnen, soweit die
vorliegenden unvollständigen Berichte es übersehen lassen, im Ganzen guten
Fortgang.

In Oestreich haben hier und da städtische Schulbehörden, hauptsächlich
durch Mitglieder der Männerturnvercine angeregt, Interesse für die Sache be¬
thätigt. Die Regierung sieht zu. In Preußen ist das Turnen seit 1862
an allen Schulen obligatorisch. Von den Verirrungen, denen man sich höhern
Orts in Betreff der „Methode" des Turnens hingegeben, ist oben die Rede ge¬
wesen; doch mag hier noch nachgeholt werden, daß der Streit: ob schwedisch,
ob Deutsch, von Rothstein auf das wissenschaftliche Gebiet hinübergespielt, durch
die höchste medicinische Autorität zu Gunsten der Jahnschen Methode entschieden
worden ist, und daß man auf Grund dessen letzt wenigstens die „Civil-Ele¬
ven" der k. Centralturnanstalt zu Berlin im Gebrauch des Barrens und Reeks
unterweise.


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[0468] Landwirthe. Für die entgegengesetzte Meinung lassen sich die allgemeinen Be- völkcrungsvcrhältnisse geltend machen, mit denen verglichen der Stand der Ge¬ lehrten und ebenso der Kaufmannsstand ein viel zu großes Contingent zu den Turnvereinen stellt. Thatsächlich kommt mehr als diese numerischen Bevölke- rungsvcrhältnisse die größere oder geringere Intelligenz der Bewohner in Be¬ tracht. Wo die Volksbildung im Allgemeinen weit vorgeschritten ist. wird man in der Regel den Nutzen des Turnens mehr anerkannt und mithin mehr Turn¬ vereinsmitglieder finden, als da, wo — wie in Oestreich — die Bildung noch schwach, der Geist des Fortschritts noch im Erwachen ist. Ist eine gewisse Durchschnittsbildung gleichmäßig über alle Theile der Bevölkerung vertheilt, so werden auch die Turnvereine eine den allgemeinen Bevölkerungsverhältnissen analoge Vertretung der Berufsarten aufzuweisen haben. Die turnerische Thätigkeit der Vereine ist nach den Jahreszeiten verschieden. Im Winter 1861 bis 1862 haben 3630 Riegen mit 45.318 Turnern, im da¬ rauffolgenden Sommer dagegen 5226 Riegen mit 64.970 Turnern geturnt. Die Erklärung dieser Erscheinung ist nicht schwer zu entdecken. Wohlwollende Behörden, die einem strebsamen Turnverein ein Stück Wiesengrund, einen Sandplatz, einen Garten abtraten, konnten nur in seltnen Fällen zugleich für ein Haus sorgen, und ein kleiner Verein vermag natürlich nicht die Mittel zur Erwerbung oder Erbauung eines solchen aufzubringen, ja selbst die Miethe eines geeigneten bedeckten Raumes läßt sich von manchen nicht leicht beschaffen. In¬ deß besitzen bereits 44 Vereine eigene Turnhallen, unter denen die neue leip¬ ziger, den Turnern von der Stadt erbaut, die schönste und geräumigste ist, und unser Buch zählt eine ziemlich große Anzahl von Städten auf, deren Behörden oder deren Turnvereine an den Bau solcher Hallen denken. Hatten wir im Vorstehenden sehr Erfreuliches von dem Aufschwung des Vereinsturnens zu melden, so nimmt auch das Schulturnen, soweit die vorliegenden unvollständigen Berichte es übersehen lassen, im Ganzen guten Fortgang. In Oestreich haben hier und da städtische Schulbehörden, hauptsächlich durch Mitglieder der Männerturnvercine angeregt, Interesse für die Sache be¬ thätigt. Die Regierung sieht zu. In Preußen ist das Turnen seit 1862 an allen Schulen obligatorisch. Von den Verirrungen, denen man sich höhern Orts in Betreff der „Methode" des Turnens hingegeben, ist oben die Rede ge¬ wesen; doch mag hier noch nachgeholt werden, daß der Streit: ob schwedisch, ob Deutsch, von Rothstein auf das wissenschaftliche Gebiet hinübergespielt, durch die höchste medicinische Autorität zu Gunsten der Jahnschen Methode entschieden worden ist, und daß man auf Grund dessen letzt wenigstens die „Civil-Ele¬ ven" der k. Centralturnanstalt zu Berlin im Gebrauch des Barrens und Reeks unterweise.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/468>, abgerufen am 27.09.2024.