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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Vermischte Literatur.
Kurzer Abriß der Astronomie von or. Mädler. Mit 24 in den
Text eingedruckten Holzschnitten und 3 Sternkarten, Essen, Druck und Verlag von
G, D. Bädecker. 1863. 143 S.

Ein recht praktisch eingerichteter Ueberblick über die Resultate der neuesten For¬
schungen am Sternhimmel. Namentlich die zur Versinnlichung abstrakter Verhält¬
nisse eingefügten Beispiele und Vergleiche sind sehr geeignet für Befriedigung des
populären Bedürfnisses. Das große Publicum denkt sich, wenn es die Entfernung,
die Größe oder die Dichtheit eines Himmelskörpers in einfachen Zahlen ausgedrückt
findet, nicht viel mehr dabei, als daß dies eben große oder kleine Zahlen sind. An¬
ders, wenn, wie hier fast überall, das Jenseitige durch Vergleiche mit diesseitigen
Verhältnissen und Dingen der Vorstellung vorgeführt wird. Die Phantasie weiß
nicht viel damit anzufangen, wenn sie erfährt, daß die Sonne so und so viel Bil¬
lionen Pfunde wiegt, so und so viel Millionen Meilen von uns entfernt ist, oder
daß ihr Körper nur V" der Dichtheit der Erde hat. Dagegen machen wir uns so¬
fort eine ziemlich deutliche Vorstellung, wenn wir hören, daß die Sonne 355,499
mal mehr als die Erde wiegt, und noch verständlicher ist uns die Angabe, daß ein
Körper, der mit der mittleren Schnelligkeit eines Eisenbahnzugs, d. h. sechs Meilen
in der Stunde, den Weg von der Erde nach der Sonne zurücklegte, dazu 400 Jahre
bedürfen würde. Wir fügen noch einiges Aehnliche hinzu: Die Antwort aus eine,
Frage an einen Bewohner der Sonne, falls letztere von jenem überhaupt ver¬
nommen werden könnte, würde nach neunundzwanzig Jahren bei uns anlangen.
Stellt man einen Spiegel der Sonne gerade gegenüber auf, so wird der Lichtstrahl,
den sie in demselben Augenblick nach dem Spiegel aussendet, in 16 Minuten 37
Secunden zu ihr zurückkehren. Ein Baumwollenfaden von der äußersten bis jetzt
erzielten Feinheit (40 Meilen ans das Pfund), der von der Erde bis zur Sonne
reichen sollte, würde nicht weniger als 516,000 Pfund wiege" müssen. Die Dicht¬
heit des Sonnenkörpers (sein specifisches Gewicht) kommt unsrer Braunkohle gleich.
Die Schwerkraft ist dort mehr als 28mal so stark als auf der Erde. Ein Kör¬
per fällt dort in der ersten Secunde 428 Fuß und erreicht den Boden mit der Ge¬
schwindigkeit einer Flintenkugel. Um einen Gegenstand von vierthalb Pfund zu
heben, bedarf es der Kraft eines Centners, während auf dem Monde, wo die
Schwerkraft etwa siebenmal schwächer ist als bei uns, der Flug eines mit mensch¬
licher Wurfkraft geschleuderten Gegenstandes siebenmal höher und weiter geht als
auf der Erde. Auch was ein Menschenauge auf dem Monde sehen würde, ist recht
anschaulich geschildert. Der Tag auf dem Monde dauert über 354 Stunden
und ebenso lange die Nacht. Jahreszeiten gibt es so gut wie gar nicht. Die Tage
sind sehr heiß, die Nächte ebenso kühl. Der Himmel ist auch um Tage schwarz,
die Erdscheibe, vierzehnmal größer als die Mondscheibe für uns, steht für jeden
Ort des uns zugekehrten Theils des Mondes in einer bestimmten Gegend des Hin-


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Vermischte Literatur.
Kurzer Abriß der Astronomie von or. Mädler. Mit 24 in den
Text eingedruckten Holzschnitten und 3 Sternkarten, Essen, Druck und Verlag von
G, D. Bädecker. 1863. 143 S.

Ein recht praktisch eingerichteter Ueberblick über die Resultate der neuesten For¬
schungen am Sternhimmel. Namentlich die zur Versinnlichung abstrakter Verhält¬
nisse eingefügten Beispiele und Vergleiche sind sehr geeignet für Befriedigung des
populären Bedürfnisses. Das große Publicum denkt sich, wenn es die Entfernung,
die Größe oder die Dichtheit eines Himmelskörpers in einfachen Zahlen ausgedrückt
findet, nicht viel mehr dabei, als daß dies eben große oder kleine Zahlen sind. An¬
ders, wenn, wie hier fast überall, das Jenseitige durch Vergleiche mit diesseitigen
Verhältnissen und Dingen der Vorstellung vorgeführt wird. Die Phantasie weiß
nicht viel damit anzufangen, wenn sie erfährt, daß die Sonne so und so viel Bil¬
lionen Pfunde wiegt, so und so viel Millionen Meilen von uns entfernt ist, oder
daß ihr Körper nur V» der Dichtheit der Erde hat. Dagegen machen wir uns so¬
fort eine ziemlich deutliche Vorstellung, wenn wir hören, daß die Sonne 355,499
mal mehr als die Erde wiegt, und noch verständlicher ist uns die Angabe, daß ein
Körper, der mit der mittleren Schnelligkeit eines Eisenbahnzugs, d. h. sechs Meilen
in der Stunde, den Weg von der Erde nach der Sonne zurücklegte, dazu 400 Jahre
bedürfen würde. Wir fügen noch einiges Aehnliche hinzu: Die Antwort aus eine,
Frage an einen Bewohner der Sonne, falls letztere von jenem überhaupt ver¬
nommen werden könnte, würde nach neunundzwanzig Jahren bei uns anlangen.
Stellt man einen Spiegel der Sonne gerade gegenüber auf, so wird der Lichtstrahl,
den sie in demselben Augenblick nach dem Spiegel aussendet, in 16 Minuten 37
Secunden zu ihr zurückkehren. Ein Baumwollenfaden von der äußersten bis jetzt
erzielten Feinheit (40 Meilen ans das Pfund), der von der Erde bis zur Sonne
reichen sollte, würde nicht weniger als 516,000 Pfund wiege» müssen. Die Dicht¬
heit des Sonnenkörpers (sein specifisches Gewicht) kommt unsrer Braunkohle gleich.
Die Schwerkraft ist dort mehr als 28mal so stark als auf der Erde. Ein Kör¬
per fällt dort in der ersten Secunde 428 Fuß und erreicht den Boden mit der Ge¬
schwindigkeit einer Flintenkugel. Um einen Gegenstand von vierthalb Pfund zu
heben, bedarf es der Kraft eines Centners, während auf dem Monde, wo die
Schwerkraft etwa siebenmal schwächer ist als bei uns, der Flug eines mit mensch¬
licher Wurfkraft geschleuderten Gegenstandes siebenmal höher und weiter geht als
auf der Erde. Auch was ein Menschenauge auf dem Monde sehen würde, ist recht
anschaulich geschildert. Der Tag auf dem Monde dauert über 354 Stunden
und ebenso lange die Nacht. Jahreszeiten gibt es so gut wie gar nicht. Die Tage
sind sehr heiß, die Nächte ebenso kühl. Der Himmel ist auch um Tage schwarz,
die Erdscheibe, vierzehnmal größer als die Mondscheibe für uns, steht für jeden
Ort des uns zugekehrten Theils des Mondes in einer bestimmten Gegend des Hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/439>, abgerufen am 27.09.2024.