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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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walt des Königs unterworfen, solange dieser lebt. Es ist offenbar, daß solche
Hausordnung mit den Grundlagen eines constitutionellen Staatslebens auf
die Länge nicht vereinbar ist. Denn wie unabhängig die Privatüberzeugungen
eines Thronfolgers auch sein mögen, die unbedingte Abhängigkeit vom Könige
zwingt ihn zu Rücksichten, welche in ander" Kreisen des Lebens zwischen Vater
und Sohn, Familienhaupt und Agnaten unerhört sind.

Auf solche Abhängigkeit des Thronfolgers von dem regierenden Könige
bauend, schmeichelt sich, so scheint es, die feudale Partei, daß es gelingen
könne, den Kronprinzen bei einer möglichen Behinderung des Königs als Stell¬
vertreter desselben in den Negierungsmcchanismus einzuschieben.

Nun wird es allerdings zunächst Sache des jungen Herrn sein, bei einer
Maßregel, welche über das Wohl und Wehe seines Lebens, und wahrscheinlich
über die Zukunft seiner Kinder entscheidet, seine eigene bestimmte Ueberzeugung
geltend zu machen, und wir zweifeln nicht, daß der Kronprinz verweigern wird,
sich zu einer solchen selbstmörderischen Stellung herzugeben. Derselbe hat vor
Kurzem in Danzig zum ersten Male das Schweigen gebrochen, welches er sich
in dem gegenwärtigen Conflict zwischen Regierung und Volk bis jetzt aufge¬
legt fühlte. Es ist wahrscheinlich, daß auf diesen ersten Schritt andere folgen
werden. Da aber die Sache nicht ihn allein angeht, und da zuletzt er nicht
die einzige Persönlichkeit ist, welche man zur Stellvertretung empfehlen konnte,
um das gegenwärtige System zu erhalten, so wird nicht unnütz sein, die öffent¬
liche Aufmerksamkeit auf diese Frage hinzulenken.

Die preußische Verfassung kennt eine Stellvertretung weder der Sache noch
dem Namen nach. Sie bestimmt genau die Verhältnisse und Modalitäten, unter
denen eine Regentschaft eintreten muß, diese Verhältnisse und Modalitäten finden
auf den hier angenommenen Fall keine Anwendung. Läge nur die Verfassung
Vor, so würde auch nicht der leiseste Zweifel darüber obwalten, daß die Stell¬
vertretung Verfassungswidrig und gänzlich unzulässig ist.

Aber es besteht allerdings der Präcedcnzfall einer Stellvertretung durch den
Prinzen Von Preußen. Aber die Bedeutung dieses Falles wird nicht nur zwei¬
felhaft, sie schwindet völlig in Nichts, wenn man die jetzt angenommenen Ver¬
hältnisse mit den damaligen vergleicht.

Denn zunächst sind nicht dieselben thatsächlichen Voraussetzungen vorhanden,
wie damals, als der Prinz von Preußen dem König in einer Weise, welche
nicht auf den Bestimmungen der Verfassung beruht, substituirt wurde. Damals
war das Land in der Lage, einen König zu besitzen, welcher nicht dispositionsfähig
war und dessen Zustand nach der Verfassung eine Regentschaft erfordert ha¬
ben würde. Die Einsetzung der Regentschaft unterblieb damals nur aus Pie¬
tät und Connivenz der Beteiligten. Beide Häuser hatten in der damaligen
precären Lage bei dem eigenthümlichen Zustande des Königs gegen eine Ab-


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walt des Königs unterworfen, solange dieser lebt. Es ist offenbar, daß solche
Hausordnung mit den Grundlagen eines constitutionellen Staatslebens auf
die Länge nicht vereinbar ist. Denn wie unabhängig die Privatüberzeugungen
eines Thronfolgers auch sein mögen, die unbedingte Abhängigkeit vom Könige
zwingt ihn zu Rücksichten, welche in ander» Kreisen des Lebens zwischen Vater
und Sohn, Familienhaupt und Agnaten unerhört sind.

Auf solche Abhängigkeit des Thronfolgers von dem regierenden Könige
bauend, schmeichelt sich, so scheint es, die feudale Partei, daß es gelingen
könne, den Kronprinzen bei einer möglichen Behinderung des Königs als Stell¬
vertreter desselben in den Negierungsmcchanismus einzuschieben.

Nun wird es allerdings zunächst Sache des jungen Herrn sein, bei einer
Maßregel, welche über das Wohl und Wehe seines Lebens, und wahrscheinlich
über die Zukunft seiner Kinder entscheidet, seine eigene bestimmte Ueberzeugung
geltend zu machen, und wir zweifeln nicht, daß der Kronprinz verweigern wird,
sich zu einer solchen selbstmörderischen Stellung herzugeben. Derselbe hat vor
Kurzem in Danzig zum ersten Male das Schweigen gebrochen, welches er sich
in dem gegenwärtigen Conflict zwischen Regierung und Volk bis jetzt aufge¬
legt fühlte. Es ist wahrscheinlich, daß auf diesen ersten Schritt andere folgen
werden. Da aber die Sache nicht ihn allein angeht, und da zuletzt er nicht
die einzige Persönlichkeit ist, welche man zur Stellvertretung empfehlen konnte,
um das gegenwärtige System zu erhalten, so wird nicht unnütz sein, die öffent¬
liche Aufmerksamkeit auf diese Frage hinzulenken.

Die preußische Verfassung kennt eine Stellvertretung weder der Sache noch
dem Namen nach. Sie bestimmt genau die Verhältnisse und Modalitäten, unter
denen eine Regentschaft eintreten muß, diese Verhältnisse und Modalitäten finden
auf den hier angenommenen Fall keine Anwendung. Läge nur die Verfassung
Vor, so würde auch nicht der leiseste Zweifel darüber obwalten, daß die Stell¬
vertretung Verfassungswidrig und gänzlich unzulässig ist.

Aber es besteht allerdings der Präcedcnzfall einer Stellvertretung durch den
Prinzen Von Preußen. Aber die Bedeutung dieses Falles wird nicht nur zwei¬
felhaft, sie schwindet völlig in Nichts, wenn man die jetzt angenommenen Ver¬
hältnisse mit den damaligen vergleicht.

Denn zunächst sind nicht dieselben thatsächlichen Voraussetzungen vorhanden,
wie damals, als der Prinz von Preußen dem König in einer Weise, welche
nicht auf den Bestimmungen der Verfassung beruht, substituirt wurde. Damals
war das Land in der Lage, einen König zu besitzen, welcher nicht dispositionsfähig
war und dessen Zustand nach der Verfassung eine Regentschaft erfordert ha¬
ben würde. Die Einsetzung der Regentschaft unterblieb damals nur aus Pie¬
tät und Connivenz der Beteiligten. Beide Häuser hatten in der damaligen
precären Lage bei dem eigenthümlichen Zustande des Königs gegen eine Ab-


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[0437] walt des Königs unterworfen, solange dieser lebt. Es ist offenbar, daß solche Hausordnung mit den Grundlagen eines constitutionellen Staatslebens auf die Länge nicht vereinbar ist. Denn wie unabhängig die Privatüberzeugungen eines Thronfolgers auch sein mögen, die unbedingte Abhängigkeit vom Könige zwingt ihn zu Rücksichten, welche in ander» Kreisen des Lebens zwischen Vater und Sohn, Familienhaupt und Agnaten unerhört sind. Auf solche Abhängigkeit des Thronfolgers von dem regierenden Könige bauend, schmeichelt sich, so scheint es, die feudale Partei, daß es gelingen könne, den Kronprinzen bei einer möglichen Behinderung des Königs als Stell¬ vertreter desselben in den Negierungsmcchanismus einzuschieben. Nun wird es allerdings zunächst Sache des jungen Herrn sein, bei einer Maßregel, welche über das Wohl und Wehe seines Lebens, und wahrscheinlich über die Zukunft seiner Kinder entscheidet, seine eigene bestimmte Ueberzeugung geltend zu machen, und wir zweifeln nicht, daß der Kronprinz verweigern wird, sich zu einer solchen selbstmörderischen Stellung herzugeben. Derselbe hat vor Kurzem in Danzig zum ersten Male das Schweigen gebrochen, welches er sich in dem gegenwärtigen Conflict zwischen Regierung und Volk bis jetzt aufge¬ legt fühlte. Es ist wahrscheinlich, daß auf diesen ersten Schritt andere folgen werden. Da aber die Sache nicht ihn allein angeht, und da zuletzt er nicht die einzige Persönlichkeit ist, welche man zur Stellvertretung empfehlen konnte, um das gegenwärtige System zu erhalten, so wird nicht unnütz sein, die öffent¬ liche Aufmerksamkeit auf diese Frage hinzulenken. Die preußische Verfassung kennt eine Stellvertretung weder der Sache noch dem Namen nach. Sie bestimmt genau die Verhältnisse und Modalitäten, unter denen eine Regentschaft eintreten muß, diese Verhältnisse und Modalitäten finden auf den hier angenommenen Fall keine Anwendung. Läge nur die Verfassung Vor, so würde auch nicht der leiseste Zweifel darüber obwalten, daß die Stell¬ vertretung Verfassungswidrig und gänzlich unzulässig ist. Aber es besteht allerdings der Präcedcnzfall einer Stellvertretung durch den Prinzen Von Preußen. Aber die Bedeutung dieses Falles wird nicht nur zwei¬ felhaft, sie schwindet völlig in Nichts, wenn man die jetzt angenommenen Ver¬ hältnisse mit den damaligen vergleicht. Denn zunächst sind nicht dieselben thatsächlichen Voraussetzungen vorhanden, wie damals, als der Prinz von Preußen dem König in einer Weise, welche nicht auf den Bestimmungen der Verfassung beruht, substituirt wurde. Damals war das Land in der Lage, einen König zu besitzen, welcher nicht dispositionsfähig war und dessen Zustand nach der Verfassung eine Regentschaft erfordert ha¬ ben würde. Die Einsetzung der Regentschaft unterblieb damals nur aus Pie¬ tät und Connivenz der Beteiligten. Beide Häuser hatten in der damaligen precären Lage bei dem eigenthümlichen Zustande des Königs gegen eine Ab- Grcnzbotcn II. 1SL3. SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/437>, abgerufen am 27.09.2024.