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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Das also ist eines der Geheimnisse des neuen Stils, daß er aus der
älteren Architektur ein Inneres unverstanden aus seinem nothwendigen Zu¬
sammenhange herausreißt und dem neunzehnten Jahrhundert als neue Außcn-
gestalt vorführt! Zudem ist die kleine Gallerte, über den unteren Arkaden an
dieser Stelle der Fa^abe angebracht, die sinnloseste Verwerthung einer Form
aus der romanischen Bauart. Diese brachte solche bald offene, bald blinde
Bogengänge über den Fenstern des obersten Stockwerks an (nur ausnahms¬
weise weiter unten und auch dann nur, wenn sich keine selbständig gegliederte
Mauermasse mehr darüberlagerte), um der Mauerdicke, welche unter dem Gewölbe
als Senne und Widerlager nöthig war, oben den Schein der überflüssigen Last
zu benehmen, und überdies um in diesem malerisch wirksamen Schmuck das
Lebenselement der ganzen Construction, den Bogen, im Abschluß des Ganzen
noch einmal lebendig auszusprechen (vgl. Schnaase, IV, 196). Hier hingegen
scheint die Gallerte die Tragkraft der Mauer zu schwächen und macht, da sich
über ihr die großen Fenster erheben, den Eindruck des Acngstlichcn und Ge¬
druckten. Auf die ungereimte Verwendung des Spitzbogens für moderne Zwecke
werden wir später zu sprechen kommen, da derselbe, wohl als das vermeinte
nationale Element, in fast allen Gebäuden der Maximiliansstraße wiederkehrt.

Wie mit gleichem Widersinn die ornamentale Ausstattung an diesem
Gebäude behandelt ist, dafür nur Einiges. Weiß vielleicht der neue Stil, wie
die Kassetirung in den flachen und gewölbten Decken des Alterthums entstanden
ist und was die Rosetten in den Lakunen derselben bedeuten? Wenn er wüßte,
daß dadurch der flachen sowohl als der gewölbten Decke der lastende Eindruck
genommen und der Charakter schwebender Leichtigkeit -- wie sie denn auch
dadurch wirklich erleichtert wird -- gegeben werden sollte, so würde er diese
Form nicht an den Gewölbcgurten der untersten Arkaden verwenden, auf wel¬
chen doch augenscheinlich eine große Last ruht und denen daher der Ausdruck
straffer Widerstandsfähigkeit zukommt. Es ist wahr, an einigen Gebäuden der
Renaissancezeit ist dieser Verstoß ebenfalls gemacht worden; aber da der neue
Stil sich an die guten Vorbilder dieser Zeit nicht kehrt und es verschmäht, von
ihnen zu lernen -- hätte er doch hier ihre schöne Art, die Fenster anzuordnen,
ein wenig beachtet -- so sollte er doch noch weniger, was an einigen Gebäu¬
den derselben unpassend erscheint, heraussuchen, um es in ungeschickter Weise
zu copiren. Und wie reimen sich zu den Pfosten gothischer Kirchenfenster die
Formen von Säuleustengclchen aus pompejanischen Stenographien? Wollten
wir fortfahren, von den gewaltsam verdrehten Formen der Kämpferiapitäle an
den offenen Arkaden bis hinauf zu den mikroskopischen Verzierungen in den
Spandrillen der oberen Fenster all den Widersinn aufzuzählen, den diese Orna¬
mentik zeigt, so würden wir kein Ende finden. Daß überhaupt diese Bauart
von dem Sinn und der Bedeutung des Ornamentes keine Ahnung hat, daß


Das also ist eines der Geheimnisse des neuen Stils, daß er aus der
älteren Architektur ein Inneres unverstanden aus seinem nothwendigen Zu¬
sammenhange herausreißt und dem neunzehnten Jahrhundert als neue Außcn-
gestalt vorführt! Zudem ist die kleine Gallerte, über den unteren Arkaden an
dieser Stelle der Fa^abe angebracht, die sinnloseste Verwerthung einer Form
aus der romanischen Bauart. Diese brachte solche bald offene, bald blinde
Bogengänge über den Fenstern des obersten Stockwerks an (nur ausnahms¬
weise weiter unten und auch dann nur, wenn sich keine selbständig gegliederte
Mauermasse mehr darüberlagerte), um der Mauerdicke, welche unter dem Gewölbe
als Senne und Widerlager nöthig war, oben den Schein der überflüssigen Last
zu benehmen, und überdies um in diesem malerisch wirksamen Schmuck das
Lebenselement der ganzen Construction, den Bogen, im Abschluß des Ganzen
noch einmal lebendig auszusprechen (vgl. Schnaase, IV, 196). Hier hingegen
scheint die Gallerte die Tragkraft der Mauer zu schwächen und macht, da sich
über ihr die großen Fenster erheben, den Eindruck des Acngstlichcn und Ge¬
druckten. Auf die ungereimte Verwendung des Spitzbogens für moderne Zwecke
werden wir später zu sprechen kommen, da derselbe, wohl als das vermeinte
nationale Element, in fast allen Gebäuden der Maximiliansstraße wiederkehrt.

Wie mit gleichem Widersinn die ornamentale Ausstattung an diesem
Gebäude behandelt ist, dafür nur Einiges. Weiß vielleicht der neue Stil, wie
die Kassetirung in den flachen und gewölbten Decken des Alterthums entstanden
ist und was die Rosetten in den Lakunen derselben bedeuten? Wenn er wüßte,
daß dadurch der flachen sowohl als der gewölbten Decke der lastende Eindruck
genommen und der Charakter schwebender Leichtigkeit — wie sie denn auch
dadurch wirklich erleichtert wird — gegeben werden sollte, so würde er diese
Form nicht an den Gewölbcgurten der untersten Arkaden verwenden, auf wel¬
chen doch augenscheinlich eine große Last ruht und denen daher der Ausdruck
straffer Widerstandsfähigkeit zukommt. Es ist wahr, an einigen Gebäuden der
Renaissancezeit ist dieser Verstoß ebenfalls gemacht worden; aber da der neue
Stil sich an die guten Vorbilder dieser Zeit nicht kehrt und es verschmäht, von
ihnen zu lernen — hätte er doch hier ihre schöne Art, die Fenster anzuordnen,
ein wenig beachtet — so sollte er doch noch weniger, was an einigen Gebäu¬
den derselben unpassend erscheint, heraussuchen, um es in ungeschickter Weise
zu copiren. Und wie reimen sich zu den Pfosten gothischer Kirchenfenster die
Formen von Säuleustengclchen aus pompejanischen Stenographien? Wollten
wir fortfahren, von den gewaltsam verdrehten Formen der Kämpferiapitäle an
den offenen Arkaden bis hinauf zu den mikroskopischen Verzierungen in den
Spandrillen der oberen Fenster all den Widersinn aufzuzählen, den diese Orna¬
mentik zeigt, so würden wir kein Ende finden. Daß überhaupt diese Bauart
von dem Sinn und der Bedeutung des Ornamentes keine Ahnung hat, daß


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[0419] Das also ist eines der Geheimnisse des neuen Stils, daß er aus der älteren Architektur ein Inneres unverstanden aus seinem nothwendigen Zu¬ sammenhange herausreißt und dem neunzehnten Jahrhundert als neue Außcn- gestalt vorführt! Zudem ist die kleine Gallerte, über den unteren Arkaden an dieser Stelle der Fa^abe angebracht, die sinnloseste Verwerthung einer Form aus der romanischen Bauart. Diese brachte solche bald offene, bald blinde Bogengänge über den Fenstern des obersten Stockwerks an (nur ausnahms¬ weise weiter unten und auch dann nur, wenn sich keine selbständig gegliederte Mauermasse mehr darüberlagerte), um der Mauerdicke, welche unter dem Gewölbe als Senne und Widerlager nöthig war, oben den Schein der überflüssigen Last zu benehmen, und überdies um in diesem malerisch wirksamen Schmuck das Lebenselement der ganzen Construction, den Bogen, im Abschluß des Ganzen noch einmal lebendig auszusprechen (vgl. Schnaase, IV, 196). Hier hingegen scheint die Gallerte die Tragkraft der Mauer zu schwächen und macht, da sich über ihr die großen Fenster erheben, den Eindruck des Acngstlichcn und Ge¬ druckten. Auf die ungereimte Verwendung des Spitzbogens für moderne Zwecke werden wir später zu sprechen kommen, da derselbe, wohl als das vermeinte nationale Element, in fast allen Gebäuden der Maximiliansstraße wiederkehrt. Wie mit gleichem Widersinn die ornamentale Ausstattung an diesem Gebäude behandelt ist, dafür nur Einiges. Weiß vielleicht der neue Stil, wie die Kassetirung in den flachen und gewölbten Decken des Alterthums entstanden ist und was die Rosetten in den Lakunen derselben bedeuten? Wenn er wüßte, daß dadurch der flachen sowohl als der gewölbten Decke der lastende Eindruck genommen und der Charakter schwebender Leichtigkeit — wie sie denn auch dadurch wirklich erleichtert wird — gegeben werden sollte, so würde er diese Form nicht an den Gewölbcgurten der untersten Arkaden verwenden, auf wel¬ chen doch augenscheinlich eine große Last ruht und denen daher der Ausdruck straffer Widerstandsfähigkeit zukommt. Es ist wahr, an einigen Gebäuden der Renaissancezeit ist dieser Verstoß ebenfalls gemacht worden; aber da der neue Stil sich an die guten Vorbilder dieser Zeit nicht kehrt und es verschmäht, von ihnen zu lernen — hätte er doch hier ihre schöne Art, die Fenster anzuordnen, ein wenig beachtet — so sollte er doch noch weniger, was an einigen Gebäu¬ den derselben unpassend erscheint, heraussuchen, um es in ungeschickter Weise zu copiren. Und wie reimen sich zu den Pfosten gothischer Kirchenfenster die Formen von Säuleustengclchen aus pompejanischen Stenographien? Wollten wir fortfahren, von den gewaltsam verdrehten Formen der Kämpferiapitäle an den offenen Arkaden bis hinauf zu den mikroskopischen Verzierungen in den Spandrillen der oberen Fenster all den Widersinn aufzuzählen, den diese Orna¬ mentik zeigt, so würden wir kein Ende finden. Daß überhaupt diese Bauart von dem Sinn und der Bedeutung des Ornamentes keine Ahnung hat, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/419>, abgerufen am 27.09.2024.