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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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geschosses das directe Licht entzogen. Das ganze Verfahren zeigt zugleich einen
tieferen Mangel, an dem die neue Bauweise überhaupt leidet: der "neue Stil"
sieht seine Fayaden nur im geometrischen Aufrisse auf dem Reißbrette, er sieht
nicht den Körper, sondern nur die Fläche und, wie ihm der Sinn für die
Gruppenbildung in den verschiedenen Raumverhältnissen fehlt, so hat er auch
von der Wirkung der Perspective leine Ahnung.

Und mit dieser langgestreckten Fayade hat man lediglich den Eindruck der
Einförmigkeit, des leblos aneinandergereihten Einerlei hervorzubringen gewußt.
Denn wenn auch einige Theile sich vorschieben und über die anderen sich er¬
beben, ohne daß übrigens in der Construction diese Einziehung und diese
Erhebung als begründet erscheinen oder weiter durchgebildet sind: durch
alle Theile hindurch geht ohne Unterbrechung unten eine Reihe von offenen
Arkaden mit etwas gedrückten Spitzbogen, über diesen eine Reihe von niedri¬
gen, ganz schmalen, abwechselnd verglasten und blinden Spitzbvgenarkaden, ge¬
tragen von dünnen, auf kleinen Trägern über die Mauer vorgesetzten Säul¬
chen; über diesen wieder eine Reihe von hochgesteckten gothischen Kirchenfenstern,
die., nahezu gleich in der Form, nur bei den höheren Gebäudetheilen höher,
bei den niedrigeren kürzer gestreckt sind. Endlich wiederholen sich bei dem mitt¬
leren und höchsten Theile, in dem der Haupteingang zu sein scheint -- aber
auch nur scheint, da er sich in der Gestalt des Baues durch nichts ausdrückt --
die kleinen Arkaden nochmals, nun über den Kirchenfenstern. Das Ganze
eine phantasielose, ermüdende Wiederholung von großen und kleinen Bogen
mit dazwischen ins Endlose sich hinaufstrcckcndcn schmalen streife", die unten
Pfeiler, oben Lisenen sind. Den Abschluß der Umfassungsmauern am Dache
bilden über den Fenstern zwei übereinandergercihtc kleine Bogenfricschen --
ein steinerner Pleonasmus, -- über welchen sich noch eine kleine Hängplatte
auf kleinen Mutulen und mit verzierter simaartiger Krönung befindet. End¬
lich wird noch, wie sich an den gemachten Anfängen zeigt, eine Reihe von
Stirnziegcln, größere mit kleineren wechselnd, darüber aufgesetzt werden, so
hart an einander gedrängt', daß hier das Alterthum auf einmal einholen zu
wollen scheint, was es bisher am ganzen Bau versäumt hat. Der Magerkeit
gegenüber, mit welcher die anderen Gebäude der Straße sich in das Dach ver¬
laufen, wird dieser Abschluß allerdings mehr als reich erscheinen; und doch wie
arm im Verhältniß zu den Kranzgesimscn eines Michelozzo und Cronaca, von
denen eines Michelangelo nicht zu reden! Und gerade hier, bei der einseitigen
Ausbildung der Verticale wäre ein mächtig abschließendes Horizontalglied am
Platze gewesen. Daß überhaupt diese Architektur die wagrechte Linie höchst
stiefmütterlich behandelt, jene dagegen, die senkrechte zum verzogenen Scho߬
kind gemacht hat, ohne für diese Einseitigkeit in structiven Principien einen
Grund zu haben, wird sich als ein gemeinsamer Charakterzug zeigen.


geschosses das directe Licht entzogen. Das ganze Verfahren zeigt zugleich einen
tieferen Mangel, an dem die neue Bauweise überhaupt leidet: der „neue Stil"
sieht seine Fayaden nur im geometrischen Aufrisse auf dem Reißbrette, er sieht
nicht den Körper, sondern nur die Fläche und, wie ihm der Sinn für die
Gruppenbildung in den verschiedenen Raumverhältnissen fehlt, so hat er auch
von der Wirkung der Perspective leine Ahnung.

Und mit dieser langgestreckten Fayade hat man lediglich den Eindruck der
Einförmigkeit, des leblos aneinandergereihten Einerlei hervorzubringen gewußt.
Denn wenn auch einige Theile sich vorschieben und über die anderen sich er¬
beben, ohne daß übrigens in der Construction diese Einziehung und diese
Erhebung als begründet erscheinen oder weiter durchgebildet sind: durch
alle Theile hindurch geht ohne Unterbrechung unten eine Reihe von offenen
Arkaden mit etwas gedrückten Spitzbogen, über diesen eine Reihe von niedri¬
gen, ganz schmalen, abwechselnd verglasten und blinden Spitzbvgenarkaden, ge¬
tragen von dünnen, auf kleinen Trägern über die Mauer vorgesetzten Säul¬
chen; über diesen wieder eine Reihe von hochgesteckten gothischen Kirchenfenstern,
die., nahezu gleich in der Form, nur bei den höheren Gebäudetheilen höher,
bei den niedrigeren kürzer gestreckt sind. Endlich wiederholen sich bei dem mitt¬
leren und höchsten Theile, in dem der Haupteingang zu sein scheint — aber
auch nur scheint, da er sich in der Gestalt des Baues durch nichts ausdrückt —
die kleinen Arkaden nochmals, nun über den Kirchenfenstern. Das Ganze
eine phantasielose, ermüdende Wiederholung von großen und kleinen Bogen
mit dazwischen ins Endlose sich hinaufstrcckcndcn schmalen streife», die unten
Pfeiler, oben Lisenen sind. Den Abschluß der Umfassungsmauern am Dache
bilden über den Fenstern zwei übereinandergercihtc kleine Bogenfricschen —
ein steinerner Pleonasmus, — über welchen sich noch eine kleine Hängplatte
auf kleinen Mutulen und mit verzierter simaartiger Krönung befindet. End¬
lich wird noch, wie sich an den gemachten Anfängen zeigt, eine Reihe von
Stirnziegcln, größere mit kleineren wechselnd, darüber aufgesetzt werden, so
hart an einander gedrängt', daß hier das Alterthum auf einmal einholen zu
wollen scheint, was es bisher am ganzen Bau versäumt hat. Der Magerkeit
gegenüber, mit welcher die anderen Gebäude der Straße sich in das Dach ver¬
laufen, wird dieser Abschluß allerdings mehr als reich erscheinen; und doch wie
arm im Verhältniß zu den Kranzgesimscn eines Michelozzo und Cronaca, von
denen eines Michelangelo nicht zu reden! Und gerade hier, bei der einseitigen
Ausbildung der Verticale wäre ein mächtig abschließendes Horizontalglied am
Platze gewesen. Daß überhaupt diese Architektur die wagrechte Linie höchst
stiefmütterlich behandelt, jene dagegen, die senkrechte zum verzogenen Scho߬
kind gemacht hat, ohne für diese Einseitigkeit in structiven Principien einen
Grund zu haben, wird sich als ein gemeinsamer Charakterzug zeigen.


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[0417] geschosses das directe Licht entzogen. Das ganze Verfahren zeigt zugleich einen tieferen Mangel, an dem die neue Bauweise überhaupt leidet: der „neue Stil" sieht seine Fayaden nur im geometrischen Aufrisse auf dem Reißbrette, er sieht nicht den Körper, sondern nur die Fläche und, wie ihm der Sinn für die Gruppenbildung in den verschiedenen Raumverhältnissen fehlt, so hat er auch von der Wirkung der Perspective leine Ahnung. Und mit dieser langgestreckten Fayade hat man lediglich den Eindruck der Einförmigkeit, des leblos aneinandergereihten Einerlei hervorzubringen gewußt. Denn wenn auch einige Theile sich vorschieben und über die anderen sich er¬ beben, ohne daß übrigens in der Construction diese Einziehung und diese Erhebung als begründet erscheinen oder weiter durchgebildet sind: durch alle Theile hindurch geht ohne Unterbrechung unten eine Reihe von offenen Arkaden mit etwas gedrückten Spitzbogen, über diesen eine Reihe von niedri¬ gen, ganz schmalen, abwechselnd verglasten und blinden Spitzbvgenarkaden, ge¬ tragen von dünnen, auf kleinen Trägern über die Mauer vorgesetzten Säul¬ chen; über diesen wieder eine Reihe von hochgesteckten gothischen Kirchenfenstern, die., nahezu gleich in der Form, nur bei den höheren Gebäudetheilen höher, bei den niedrigeren kürzer gestreckt sind. Endlich wiederholen sich bei dem mitt¬ leren und höchsten Theile, in dem der Haupteingang zu sein scheint — aber auch nur scheint, da er sich in der Gestalt des Baues durch nichts ausdrückt — die kleinen Arkaden nochmals, nun über den Kirchenfenstern. Das Ganze eine phantasielose, ermüdende Wiederholung von großen und kleinen Bogen mit dazwischen ins Endlose sich hinaufstrcckcndcn schmalen streife», die unten Pfeiler, oben Lisenen sind. Den Abschluß der Umfassungsmauern am Dache bilden über den Fenstern zwei übereinandergercihtc kleine Bogenfricschen — ein steinerner Pleonasmus, — über welchen sich noch eine kleine Hängplatte auf kleinen Mutulen und mit verzierter simaartiger Krönung befindet. End¬ lich wird noch, wie sich an den gemachten Anfängen zeigt, eine Reihe von Stirnziegcln, größere mit kleineren wechselnd, darüber aufgesetzt werden, so hart an einander gedrängt', daß hier das Alterthum auf einmal einholen zu wollen scheint, was es bisher am ganzen Bau versäumt hat. Der Magerkeit gegenüber, mit welcher die anderen Gebäude der Straße sich in das Dach ver¬ laufen, wird dieser Abschluß allerdings mehr als reich erscheinen; und doch wie arm im Verhältniß zu den Kranzgesimscn eines Michelozzo und Cronaca, von denen eines Michelangelo nicht zu reden! Und gerade hier, bei der einseitigen Ausbildung der Verticale wäre ein mächtig abschließendes Horizontalglied am Platze gewesen. Daß überhaupt diese Architektur die wagrechte Linie höchst stiefmütterlich behandelt, jene dagegen, die senkrechte zum verzogenen Scho߬ kind gemacht hat, ohne für diese Einseitigkeit in structiven Principien einen Grund zu haben, wird sich als ein gemeinsamer Charakterzug zeigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/417>, abgerufen am 27.09.2024.