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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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rcibendere Aufgaben zu bewältigen hat, als der Ackerknecht, der Schmied oder
Weber, den ihm das Kirchenbuch als Ahnen seiner Familie zeigt.

Geradezu sinnlos aber ist die Behauptung, die Bourgeoisie wolle Grenzen
zwischen sich und den noch besitzlosen und ungebildeten Classen des arbeitenden
Volkes aufrichten, wolle diese sich nicht gleichkommen lassen. Sie hat zu allen Zei¬
ten das gerade Gegentheil gethan, und sie thut es jetzt mit vollem Bewußtsein.
Sie hat den großen Grundsatz der freien Concurrenz aufgestellt, vermöge dessen der
Arbeiter nicht mehr blos auf eine Nummer, sondern auf jede, die ihm Glück zu ver¬
heißen scheint, zu setzen berechtigt ist. Sie bemüht sich, sein Urtheil zu schärfen,
daß er die rechte treffe. Erst seit sie die ihr gebührende Bedeutung erlangt hat,
ist ausreichend für Volksschulen gesorgt worden. Nur sie fördert jene Bildungs-
Vercine unter den Arbeitern der Werkstätten und Fabriken, durch welche dieser
Classe ihres Standes der Horizont erweitert, der Weg zum Emporkommen ge¬
wiesen und im Besitz von Wissen das Mittel zur Erwerbung materiellen Be¬
sitzes dargeboten wird. Aus ihr ist in Schulze-Delitzsch der Mann hervor¬
gegangen, dessen schöpferischer Geist und dessen rastlose Sorge für Emporhebung
der niedern Arbeiter in wenigen Jahren mehr für diese gethan hat, als alle
deutschen Minister seit Erfindung der Ministerposten. Der Mittelstand gründete
und leitete die wirthschaftlichen Genossenschaften unter den Handwerkern, in
welchen die Mitglieder in ihrer Gesammtheit billiger kaufen und mit mehr Ge¬
winn verkaufen wie als Einzelne, in welchen das Volk sparen lernt, und in
denen es, indem sie an Selbstverwaltung gewöhnen und mit großen Summen
rechnen lehren, für das Staatsleben herangezogen wird. Productivvereine,
unabhängig vom Staat, werden bei größerer Reife der Sache sich anreihen.
Auch die Verhältnisse der ländlichen Arbeiterbevölkerung werden in ähnlicher
Weise über kurz oder lang in Angriff genommen werden, und schöne Früchte
werden sich zur Ernte entwickeln, wenn die Sophismen Rabbi Stahls und das
windige Geschwätz Lassalles und seiner Suite längst begraben sein werden.


M. B.


Die Münchener Maximiliansstrnße und der moderne Bmistil.
2.

Daß die neue Münchener Bauweise, die sich für den nationalen modernen
Stil gibt, den geschichtlichen und inneren Bedingungen der Baukunst von
vornherein zuwiderhandelt, hat sich im vorigen Abschnitt gezeigt; nun werden
wir an ihren Werken sehen, wie sie von Grund aus ebensowohl die elemen¬
taren Gesetze als die besonderen Formen der Architektur und damit zugleich die


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rcibendere Aufgaben zu bewältigen hat, als der Ackerknecht, der Schmied oder
Weber, den ihm das Kirchenbuch als Ahnen seiner Familie zeigt.

Geradezu sinnlos aber ist die Behauptung, die Bourgeoisie wolle Grenzen
zwischen sich und den noch besitzlosen und ungebildeten Classen des arbeitenden
Volkes aufrichten, wolle diese sich nicht gleichkommen lassen. Sie hat zu allen Zei¬
ten das gerade Gegentheil gethan, und sie thut es jetzt mit vollem Bewußtsein.
Sie hat den großen Grundsatz der freien Concurrenz aufgestellt, vermöge dessen der
Arbeiter nicht mehr blos auf eine Nummer, sondern auf jede, die ihm Glück zu ver¬
heißen scheint, zu setzen berechtigt ist. Sie bemüht sich, sein Urtheil zu schärfen,
daß er die rechte treffe. Erst seit sie die ihr gebührende Bedeutung erlangt hat,
ist ausreichend für Volksschulen gesorgt worden. Nur sie fördert jene Bildungs-
Vercine unter den Arbeitern der Werkstätten und Fabriken, durch welche dieser
Classe ihres Standes der Horizont erweitert, der Weg zum Emporkommen ge¬
wiesen und im Besitz von Wissen das Mittel zur Erwerbung materiellen Be¬
sitzes dargeboten wird. Aus ihr ist in Schulze-Delitzsch der Mann hervor¬
gegangen, dessen schöpferischer Geist und dessen rastlose Sorge für Emporhebung
der niedern Arbeiter in wenigen Jahren mehr für diese gethan hat, als alle
deutschen Minister seit Erfindung der Ministerposten. Der Mittelstand gründete
und leitete die wirthschaftlichen Genossenschaften unter den Handwerkern, in
welchen die Mitglieder in ihrer Gesammtheit billiger kaufen und mit mehr Ge¬
winn verkaufen wie als Einzelne, in welchen das Volk sparen lernt, und in
denen es, indem sie an Selbstverwaltung gewöhnen und mit großen Summen
rechnen lehren, für das Staatsleben herangezogen wird. Productivvereine,
unabhängig vom Staat, werden bei größerer Reife der Sache sich anreihen.
Auch die Verhältnisse der ländlichen Arbeiterbevölkerung werden in ähnlicher
Weise über kurz oder lang in Angriff genommen werden, und schöne Früchte
werden sich zur Ernte entwickeln, wenn die Sophismen Rabbi Stahls und das
windige Geschwätz Lassalles und seiner Suite längst begraben sein werden.


M. B.


Die Münchener Maximiliansstrnße und der moderne Bmistil.
2.

Daß die neue Münchener Bauweise, die sich für den nationalen modernen
Stil gibt, den geschichtlichen und inneren Bedingungen der Baukunst von
vornherein zuwiderhandelt, hat sich im vorigen Abschnitt gezeigt; nun werden
wir an ihren Werken sehen, wie sie von Grund aus ebensowohl die elemen¬
taren Gesetze als die besonderen Formen der Architektur und damit zugleich die


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[0415] rcibendere Aufgaben zu bewältigen hat, als der Ackerknecht, der Schmied oder Weber, den ihm das Kirchenbuch als Ahnen seiner Familie zeigt. Geradezu sinnlos aber ist die Behauptung, die Bourgeoisie wolle Grenzen zwischen sich und den noch besitzlosen und ungebildeten Classen des arbeitenden Volkes aufrichten, wolle diese sich nicht gleichkommen lassen. Sie hat zu allen Zei¬ ten das gerade Gegentheil gethan, und sie thut es jetzt mit vollem Bewußtsein. Sie hat den großen Grundsatz der freien Concurrenz aufgestellt, vermöge dessen der Arbeiter nicht mehr blos auf eine Nummer, sondern auf jede, die ihm Glück zu ver¬ heißen scheint, zu setzen berechtigt ist. Sie bemüht sich, sein Urtheil zu schärfen, daß er die rechte treffe. Erst seit sie die ihr gebührende Bedeutung erlangt hat, ist ausreichend für Volksschulen gesorgt worden. Nur sie fördert jene Bildungs- Vercine unter den Arbeitern der Werkstätten und Fabriken, durch welche dieser Classe ihres Standes der Horizont erweitert, der Weg zum Emporkommen ge¬ wiesen und im Besitz von Wissen das Mittel zur Erwerbung materiellen Be¬ sitzes dargeboten wird. Aus ihr ist in Schulze-Delitzsch der Mann hervor¬ gegangen, dessen schöpferischer Geist und dessen rastlose Sorge für Emporhebung der niedern Arbeiter in wenigen Jahren mehr für diese gethan hat, als alle deutschen Minister seit Erfindung der Ministerposten. Der Mittelstand gründete und leitete die wirthschaftlichen Genossenschaften unter den Handwerkern, in welchen die Mitglieder in ihrer Gesammtheit billiger kaufen und mit mehr Ge¬ winn verkaufen wie als Einzelne, in welchen das Volk sparen lernt, und in denen es, indem sie an Selbstverwaltung gewöhnen und mit großen Summen rechnen lehren, für das Staatsleben herangezogen wird. Productivvereine, unabhängig vom Staat, werden bei größerer Reife der Sache sich anreihen. Auch die Verhältnisse der ländlichen Arbeiterbevölkerung werden in ähnlicher Weise über kurz oder lang in Angriff genommen werden, und schöne Früchte werden sich zur Ernte entwickeln, wenn die Sophismen Rabbi Stahls und das windige Geschwätz Lassalles und seiner Suite längst begraben sein werden. M. B. Die Münchener Maximiliansstrnße und der moderne Bmistil. 2. Daß die neue Münchener Bauweise, die sich für den nationalen modernen Stil gibt, den geschichtlichen und inneren Bedingungen der Baukunst von vornherein zuwiderhandelt, hat sich im vorigen Abschnitt gezeigt; nun werden wir an ihren Werken sehen, wie sie von Grund aus ebensowohl die elemen¬ taren Gesetze als die besonderen Formen der Architektur und damit zugleich die 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/415>, abgerufen am 27.09.2024.