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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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seines Vertrags: "Wenn Ihr ohne meine Schrift gelesen zu haben über mich
den Stab brechen konntet -- Ihr müßtet wahrhaftig entmannte Männer sein.
Ich müßte das Wort Bornes von Euch sagen: Andere Völker muß man an
Ketten legen lassen; die Deutschen sind Bedienten, die kann man im Hause
frei herumlaufen lassen/' Die Offenbachcr, die Hanauer, die Bockenheimcr und
zahlreiche Andere waren entmannt genug, die Fortsetzung der Rede nicht wei¬
ter genießen zu wollen, sie marschirleii, als Herr Lassalle sich an ihre Rufe
nach Schluß nicht kehrte, unter Vivatgeschrei auf Schutze-Delitzsch und Max
Wirth zum Saale hinaus, die verschmähte Liebe zu den Arbeitern mußte noth¬
gedrungen ihren ferneren Ergüssen ein Ziel setzen, und das Ganze löste sich in
Tumult und Wohlgefallen auf.

Besser gelang es ihm in der Versammlung frankfurter Arbeiter, der er
am 19. im Harmoniesaal die Fortsetzung seiner Rede vortrug. Etwa 500
Leute hatten sich eingefunden. Nach Schluß seines Vertrags forderte Lassalle
(mit derselben Taktik wie in Leipzig) die Versammelten aus, über seinen An¬
trag vom 17. auf Beitritt zu den Beschlüssen der leipziger Arbeiter, Wirken
sür das Zustandekommen und die Ausbreitung des allgemeinen deutschen
Arbeitervereines, endlich Beschickung der auf den 23. Mai nach Leipzig aus¬
geschriebenen constituirenden Versammlung des letztem abzustimmen. Der Vor¬
sitzende findet diese Aufforderung am Platze, gestattet jedoch vorherige Dis¬
kussion darüber. Einige Redner sprechen für, andere gegen Lassalle, unter
letzteren namentlich Ottinger aus Offenbach in wohlgefügten Vortrag, der mir
Stolz daraus hinweist, was der Arbeiter schon jetzt durch eigne Thätigkeit er¬
worben, und dankbar der Verdienste Schulze-Dclitzschs und anderer Männer
der Fortschrittspartei gedenkt. Nachdem Lassalle nochmals gesprochen, ohne sich
auf Widerlegung des Vorredners einzulassen, läßt der Vorsitzende sofort über
Schluß der Discussion abstimmen. Vergebens wird eingewendet, die Ver¬
sammlung sei nur gekommen, um Lassalles Vortrag zu hören, nicht um Be¬
schlüsse zu fassen, und wenn das Präsidium und Herr Lasscillc mit ehrlichen
Waffen kämpfen wollten, so dürften sie nicht einmal eine Besprechung des be¬
treffenden Gegenstandes, geschweige denn eine Beschlußfassung herbeiführen.
Präsidium erklärt, die Versammlung könne thun, was sie wolle, worauf un¬
gefähr der vierte Theil der Anwesenden sich entfernt. "Der Präsident," wir
citiren ein dem Herrn Lassalle befreundetes Blatt, die Deutsche Allgemeine
Zeitung, "fordert nun zur Abstimmung über den Anschluß an den deutschen
Arbeiterverein u"d Beschickung des leipziger Kongresses auf. Etwa 200 er¬
heben die Hände; fast ebensoviele (indifferente Zuschauer) geben keine Stimme
ab. Da aber bei der Gegenprobe nur Einer die Hand erhebt, erklärt der
Präsident den Antrag einstimmig bis auf Einen angenommen. Herr Lassalle
bittet daraus, constatiren zu lassen, wie viele Personen anwesend seien, damit


seines Vertrags: „Wenn Ihr ohne meine Schrift gelesen zu haben über mich
den Stab brechen konntet — Ihr müßtet wahrhaftig entmannte Männer sein.
Ich müßte das Wort Bornes von Euch sagen: Andere Völker muß man an
Ketten legen lassen; die Deutschen sind Bedienten, die kann man im Hause
frei herumlaufen lassen/' Die Offenbachcr, die Hanauer, die Bockenheimcr und
zahlreiche Andere waren entmannt genug, die Fortsetzung der Rede nicht wei¬
ter genießen zu wollen, sie marschirleii, als Herr Lassalle sich an ihre Rufe
nach Schluß nicht kehrte, unter Vivatgeschrei auf Schutze-Delitzsch und Max
Wirth zum Saale hinaus, die verschmähte Liebe zu den Arbeitern mußte noth¬
gedrungen ihren ferneren Ergüssen ein Ziel setzen, und das Ganze löste sich in
Tumult und Wohlgefallen auf.

Besser gelang es ihm in der Versammlung frankfurter Arbeiter, der er
am 19. im Harmoniesaal die Fortsetzung seiner Rede vortrug. Etwa 500
Leute hatten sich eingefunden. Nach Schluß seines Vertrags forderte Lassalle
(mit derselben Taktik wie in Leipzig) die Versammelten aus, über seinen An¬
trag vom 17. auf Beitritt zu den Beschlüssen der leipziger Arbeiter, Wirken
sür das Zustandekommen und die Ausbreitung des allgemeinen deutschen
Arbeitervereines, endlich Beschickung der auf den 23. Mai nach Leipzig aus¬
geschriebenen constituirenden Versammlung des letztem abzustimmen. Der Vor¬
sitzende findet diese Aufforderung am Platze, gestattet jedoch vorherige Dis¬
kussion darüber. Einige Redner sprechen für, andere gegen Lassalle, unter
letzteren namentlich Ottinger aus Offenbach in wohlgefügten Vortrag, der mir
Stolz daraus hinweist, was der Arbeiter schon jetzt durch eigne Thätigkeit er¬
worben, und dankbar der Verdienste Schulze-Dclitzschs und anderer Männer
der Fortschrittspartei gedenkt. Nachdem Lassalle nochmals gesprochen, ohne sich
auf Widerlegung des Vorredners einzulassen, läßt der Vorsitzende sofort über
Schluß der Discussion abstimmen. Vergebens wird eingewendet, die Ver¬
sammlung sei nur gekommen, um Lassalles Vortrag zu hören, nicht um Be¬
schlüsse zu fassen, und wenn das Präsidium und Herr Lasscillc mit ehrlichen
Waffen kämpfen wollten, so dürften sie nicht einmal eine Besprechung des be¬
treffenden Gegenstandes, geschweige denn eine Beschlußfassung herbeiführen.
Präsidium erklärt, die Versammlung könne thun, was sie wolle, worauf un¬
gefähr der vierte Theil der Anwesenden sich entfernt. „Der Präsident," wir
citiren ein dem Herrn Lassalle befreundetes Blatt, die Deutsche Allgemeine
Zeitung, „fordert nun zur Abstimmung über den Anschluß an den deutschen
Arbeiterverein u»d Beschickung des leipziger Kongresses auf. Etwa 200 er¬
heben die Hände; fast ebensoviele (indifferente Zuschauer) geben keine Stimme
ab. Da aber bei der Gegenprobe nur Einer die Hand erhebt, erklärt der
Präsident den Antrag einstimmig bis auf Einen angenommen. Herr Lassalle
bittet daraus, constatiren zu lassen, wie viele Personen anwesend seien, damit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/409>, abgerufen am 27.09.2024.