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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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"vierten Standes" in ein Parlament getragen wird. Auf diese Rathschläge
starke Debatten im leipziger Conn6, schließlich Beschluß, sich aufzulösen und
ein anderes Comite wählen zu lassen, dessen Aufgabe es sei, einen großen
deutschen Arbeiterverein auf Grund des im lassalleschen Sendschreiben enthal¬
tenen Programms zu gründen. Austritt der Minorität des Comites, allgemeine
Arbeiterversammlung und (durch Escamotage des Willens der Majorität herbei¬
geführte) Gutheisnmg jenes Beschlusses durch dieselbe. Besuch Lassalles "in
Leipzig und Fiasco desselben vor Wirths und Fauchcrs Widerspruch. Etwa
zweihundert Arbeiter erklären sich für ihn und gebahren sich fortan selbstver¬
ständlich als Vertreter des Willens und Interesses der leipziger Standesgenossen.
Am 2. Mai legt diesen das neue Comite den Entwurf zu einem Statut für
den allgemeinen deutschen Arbeiterverein vor und derselbe wird angenommen.
Die Trennung von der liberalen Partei ist vollendet, das neue Evangelium
hat Wurzel gefaßt, und unsre jungen Herren haben, was die Hauptsache ist,
Aussicht, unter der Aegide des, neuen Patrons große Männer zu werden, vor¬
ausgesetzt, daß die Agitation auch anderwärts Boden gewinnt; denn bis jetzt
haben sich, wie der Vorsitzende jener letzten Versammlung mitgetheilt hat,
alle deutschen Arbeiterbildungsvcreine und zahlreiche Einzelne gegen Lassalle
erklärt, und zustimmende Schreiben sind nur von fünf Orten: Hamburg, Cöln,
Solingen, Düsseldorf und Crefeld eingelaufen. --

Wir kommen nun zur weiteren Entwickelung der Angelegenheit. Am 17.
Mai ließ der Apostel der "Idee" des Arbeiterstandes sich zu Frankfurt in vier¬
stündiger Rede vor der Versammlung der Arbeitervereine des Maingaucs hören,
an welcher circa 1100 Arbeiter theilnahmen, und bei der namentlich die Ver¬
eine von Frankfurt, Offenbach, Hanau, Rödelheim, Bockenheim, Vilbel, Darm¬
stadt und Rüsselsheim stark vertreten waren. Er entwickelte in zahlreichen Cita¬
ten aus allen möglichen Nationalökonomen eine nicht gewöhnliche Belesenheit,
erklärte mit der ihm eigenen noch weniger gewöhnlichen Artigkeit und Beschei¬
denheit seine Gegner für "elende Lohnschreiber", für "Lügner", für "Unver¬
schämte", für "gedankenlose Zusammenstoppler", sprach wiederholt von der Macht
des vierten Standes gegenüber der Bougeoisie, ließ die anmuthige Andeutung
fallen: "Wenn Sie auch nur mit Ihren Fäusten und Nägeln gegen die Be¬
sitzenden stürmten, wären Sie im Vortheil" und riß mit seiner Karthaunen-
beredlsamkeit in der That einen Theil der Versammelten zu Beifallsrufen hin.
Indeß bei weitem überwiegend waren das Zischen und die Schlußrufe der
Uebrigen. Vergebens sein Hinweis auf das Martyrium, das er sich durch seine
Liebe zur Sache der Arbeiter zugezogen haben wollte. Umsonst seine Berufung
darauf, daß er unter dem Risico spreche, seinen ganzen Ruf zu verlieren. Nicht
einmal das wirkte, daß er den Zuhörern die Mittheilung machte, Professor
Wuttke stimme mit ihm überein. Vergeblich war sogar die große Kraststelle


„vierten Standes" in ein Parlament getragen wird. Auf diese Rathschläge
starke Debatten im leipziger Conn6, schließlich Beschluß, sich aufzulösen und
ein anderes Comite wählen zu lassen, dessen Aufgabe es sei, einen großen
deutschen Arbeiterverein auf Grund des im lassalleschen Sendschreiben enthal¬
tenen Programms zu gründen. Austritt der Minorität des Comites, allgemeine
Arbeiterversammlung und (durch Escamotage des Willens der Majorität herbei¬
geführte) Gutheisnmg jenes Beschlusses durch dieselbe. Besuch Lassalles »in
Leipzig und Fiasco desselben vor Wirths und Fauchcrs Widerspruch. Etwa
zweihundert Arbeiter erklären sich für ihn und gebahren sich fortan selbstver¬
ständlich als Vertreter des Willens und Interesses der leipziger Standesgenossen.
Am 2. Mai legt diesen das neue Comite den Entwurf zu einem Statut für
den allgemeinen deutschen Arbeiterverein vor und derselbe wird angenommen.
Die Trennung von der liberalen Partei ist vollendet, das neue Evangelium
hat Wurzel gefaßt, und unsre jungen Herren haben, was die Hauptsache ist,
Aussicht, unter der Aegide des, neuen Patrons große Männer zu werden, vor¬
ausgesetzt, daß die Agitation auch anderwärts Boden gewinnt; denn bis jetzt
haben sich, wie der Vorsitzende jener letzten Versammlung mitgetheilt hat,
alle deutschen Arbeiterbildungsvcreine und zahlreiche Einzelne gegen Lassalle
erklärt, und zustimmende Schreiben sind nur von fünf Orten: Hamburg, Cöln,
Solingen, Düsseldorf und Crefeld eingelaufen. —

Wir kommen nun zur weiteren Entwickelung der Angelegenheit. Am 17.
Mai ließ der Apostel der „Idee" des Arbeiterstandes sich zu Frankfurt in vier¬
stündiger Rede vor der Versammlung der Arbeitervereine des Maingaucs hören,
an welcher circa 1100 Arbeiter theilnahmen, und bei der namentlich die Ver¬
eine von Frankfurt, Offenbach, Hanau, Rödelheim, Bockenheim, Vilbel, Darm¬
stadt und Rüsselsheim stark vertreten waren. Er entwickelte in zahlreichen Cita¬
ten aus allen möglichen Nationalökonomen eine nicht gewöhnliche Belesenheit,
erklärte mit der ihm eigenen noch weniger gewöhnlichen Artigkeit und Beschei¬
denheit seine Gegner für „elende Lohnschreiber", für „Lügner", für „Unver¬
schämte", für „gedankenlose Zusammenstoppler", sprach wiederholt von der Macht
des vierten Standes gegenüber der Bougeoisie, ließ die anmuthige Andeutung
fallen: „Wenn Sie auch nur mit Ihren Fäusten und Nägeln gegen die Be¬
sitzenden stürmten, wären Sie im Vortheil" und riß mit seiner Karthaunen-
beredlsamkeit in der That einen Theil der Versammelten zu Beifallsrufen hin.
Indeß bei weitem überwiegend waren das Zischen und die Schlußrufe der
Uebrigen. Vergebens sein Hinweis auf das Martyrium, das er sich durch seine
Liebe zur Sache der Arbeiter zugezogen haben wollte. Umsonst seine Berufung
darauf, daß er unter dem Risico spreche, seinen ganzen Ruf zu verlieren. Nicht
einmal das wirkte, daß er den Zuhörern die Mittheilung machte, Professor
Wuttke stimme mit ihm überein. Vergeblich war sogar die große Kraststelle


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[0408] „vierten Standes" in ein Parlament getragen wird. Auf diese Rathschläge starke Debatten im leipziger Conn6, schließlich Beschluß, sich aufzulösen und ein anderes Comite wählen zu lassen, dessen Aufgabe es sei, einen großen deutschen Arbeiterverein auf Grund des im lassalleschen Sendschreiben enthal¬ tenen Programms zu gründen. Austritt der Minorität des Comites, allgemeine Arbeiterversammlung und (durch Escamotage des Willens der Majorität herbei¬ geführte) Gutheisnmg jenes Beschlusses durch dieselbe. Besuch Lassalles »in Leipzig und Fiasco desselben vor Wirths und Fauchcrs Widerspruch. Etwa zweihundert Arbeiter erklären sich für ihn und gebahren sich fortan selbstver¬ ständlich als Vertreter des Willens und Interesses der leipziger Standesgenossen. Am 2. Mai legt diesen das neue Comite den Entwurf zu einem Statut für den allgemeinen deutschen Arbeiterverein vor und derselbe wird angenommen. Die Trennung von der liberalen Partei ist vollendet, das neue Evangelium hat Wurzel gefaßt, und unsre jungen Herren haben, was die Hauptsache ist, Aussicht, unter der Aegide des, neuen Patrons große Männer zu werden, vor¬ ausgesetzt, daß die Agitation auch anderwärts Boden gewinnt; denn bis jetzt haben sich, wie der Vorsitzende jener letzten Versammlung mitgetheilt hat, alle deutschen Arbeiterbildungsvcreine und zahlreiche Einzelne gegen Lassalle erklärt, und zustimmende Schreiben sind nur von fünf Orten: Hamburg, Cöln, Solingen, Düsseldorf und Crefeld eingelaufen. — Wir kommen nun zur weiteren Entwickelung der Angelegenheit. Am 17. Mai ließ der Apostel der „Idee" des Arbeiterstandes sich zu Frankfurt in vier¬ stündiger Rede vor der Versammlung der Arbeitervereine des Maingaucs hören, an welcher circa 1100 Arbeiter theilnahmen, und bei der namentlich die Ver¬ eine von Frankfurt, Offenbach, Hanau, Rödelheim, Bockenheim, Vilbel, Darm¬ stadt und Rüsselsheim stark vertreten waren. Er entwickelte in zahlreichen Cita¬ ten aus allen möglichen Nationalökonomen eine nicht gewöhnliche Belesenheit, erklärte mit der ihm eigenen noch weniger gewöhnlichen Artigkeit und Beschei¬ denheit seine Gegner für „elende Lohnschreiber", für „Lügner", für „Unver¬ schämte", für „gedankenlose Zusammenstoppler", sprach wiederholt von der Macht des vierten Standes gegenüber der Bougeoisie, ließ die anmuthige Andeutung fallen: „Wenn Sie auch nur mit Ihren Fäusten und Nägeln gegen die Be¬ sitzenden stürmten, wären Sie im Vortheil" und riß mit seiner Karthaunen- beredlsamkeit in der That einen Theil der Versammelten zu Beifallsrufen hin. Indeß bei weitem überwiegend waren das Zischen und die Schlußrufe der Uebrigen. Vergebens sein Hinweis auf das Martyrium, das er sich durch seine Liebe zur Sache der Arbeiter zugezogen haben wollte. Umsonst seine Berufung darauf, daß er unter dem Risico spreche, seinen ganzen Ruf zu verlieren. Nicht einmal das wirkte, daß er den Zuhörern die Mittheilung machte, Professor Wuttke stimme mit ihm überein. Vergeblich war sogar die große Kraststelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/408>, abgerufen am 27.09.2024.