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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Verwickelungen vorzubeugen, aus denen die angegebene Eventualität mit Noth¬
wendigkeit hervorgehen würde, d. h. es hat Nichts mehr zu scheuen als eine
Situation, in der es der Beschützung Oestreichs bedarf. Denn diese kann eben
nur erkauft werden durch Demüthigungen, deren Folgen nur durch den An¬
schluß an ein Oestreich unbedingt feindliches System überwunden werden
könnten.

^ Hieraus folgt schon, daß gerade weil eine engere Verbindung Preußens
mit Frankreich und Nußland nicht zu wünschen ist, wir auch einem unbedingten
Anschluß desselben an Oestreich nicht das Wort reden tonnen. Die Isolirung,
die in Preußen schmerzlich empfunden, die von allen Parteien beklagt, und
von jeder von ihnen der Politik der Gegenpartei zugeschoben wird, läßt sich
eben nicht mit einem directen Schritte beseitigen, und zwar deshalb nicht, weil
Preußen in Frankreich den begehrlichen Nachbar, in Oestreich einen anspruchs¬
vollen Rivalen zu fürchten hat, weil es Thorheit wäre, wenn es seine von der
einen Seite bedrohten Interessen dadurch sichern wollte, daß es nach der andern
Seite hin ebenso wichtige Interessen aufopferte. Jeder entschiedene Schritt
Preußens wird ihm, als einem aufstrebenden Staate, den zwar eine große
Niederlage in die äußerste Gefahr stürzen, dem aber anderseits ein glänzen¬
der, mit Geschick benutzter Erfolg eine ganz unberechenbare Machterweitcrung
bieten würde, Feinde ringsum erwecken. Es ergibt sich daraus, daß Preußen
in der allgemeinen Politik zwar eine ganz bestimmte Richtung verfolgen muß,
daß es aber einem bestimmten System sich erst dann einordnen kann, wenn es
das Werk der deutschen Einigung durch einen entscheidenden Erfolg sicher ge¬
stellt hat. Es kann Preußen nur erwünscht sein, wenn England und Oestreich sich
Rußland und Frankreich gegenüber zu einer activen Politik in den Angelegen¬
heiten des Orients einigen, es muß ihre Bestrebungen auch indirect unter¬
stützen; ehe es aber ihrer Action sich anschließt, muß es im Berein mit Deutsch¬
land den entscheidenden Schlag gegen Dänemark geführt und im Kampfe für
eine nationale Sache sich zugleich die politische und militärische Leitung der
Nation erkämpft haben.

Ob, abgesehen von den äußere" und inneren Verwickelungen, die Preußens
Kräfte im Augenblick gebunden halten, der gegenwärtige Moment für ein Ein¬
schreiten gegen Dänemark günstig ist, darüber kann man zweifelhaft sein*).



") Die Frage, ob Preußen, unter der Voraussetzung eines völligen System-
Wechsels, die polnischen Wirren zur Verfolgung seiner Zwecke benutzen könnte, wollen wir in einem
andern Zusammenhange berühren. Hier gehe" wir von der Annahme aus, daß die infolge des
polnischen Aufstandes entstandenen diplomatischen Verwickelungen auch auf diplomatischem Wege
ihre Erledigung finden werden, und daß bis zu dieser Erledigung keiner der betheiligten
Staaten eine Diverston nach einer andern Richtung hin unternehmen werde.

Verwickelungen vorzubeugen, aus denen die angegebene Eventualität mit Noth¬
wendigkeit hervorgehen würde, d. h. es hat Nichts mehr zu scheuen als eine
Situation, in der es der Beschützung Oestreichs bedarf. Denn diese kann eben
nur erkauft werden durch Demüthigungen, deren Folgen nur durch den An¬
schluß an ein Oestreich unbedingt feindliches System überwunden werden
könnten.

^ Hieraus folgt schon, daß gerade weil eine engere Verbindung Preußens
mit Frankreich und Nußland nicht zu wünschen ist, wir auch einem unbedingten
Anschluß desselben an Oestreich nicht das Wort reden tonnen. Die Isolirung,
die in Preußen schmerzlich empfunden, die von allen Parteien beklagt, und
von jeder von ihnen der Politik der Gegenpartei zugeschoben wird, läßt sich
eben nicht mit einem directen Schritte beseitigen, und zwar deshalb nicht, weil
Preußen in Frankreich den begehrlichen Nachbar, in Oestreich einen anspruchs¬
vollen Rivalen zu fürchten hat, weil es Thorheit wäre, wenn es seine von der
einen Seite bedrohten Interessen dadurch sichern wollte, daß es nach der andern
Seite hin ebenso wichtige Interessen aufopferte. Jeder entschiedene Schritt
Preußens wird ihm, als einem aufstrebenden Staate, den zwar eine große
Niederlage in die äußerste Gefahr stürzen, dem aber anderseits ein glänzen¬
der, mit Geschick benutzter Erfolg eine ganz unberechenbare Machterweitcrung
bieten würde, Feinde ringsum erwecken. Es ergibt sich daraus, daß Preußen
in der allgemeinen Politik zwar eine ganz bestimmte Richtung verfolgen muß,
daß es aber einem bestimmten System sich erst dann einordnen kann, wenn es
das Werk der deutschen Einigung durch einen entscheidenden Erfolg sicher ge¬
stellt hat. Es kann Preußen nur erwünscht sein, wenn England und Oestreich sich
Rußland und Frankreich gegenüber zu einer activen Politik in den Angelegen¬
heiten des Orients einigen, es muß ihre Bestrebungen auch indirect unter¬
stützen; ehe es aber ihrer Action sich anschließt, muß es im Berein mit Deutsch¬
land den entscheidenden Schlag gegen Dänemark geführt und im Kampfe für
eine nationale Sache sich zugleich die politische und militärische Leitung der
Nation erkämpft haben.

Ob, abgesehen von den äußere» und inneren Verwickelungen, die Preußens
Kräfte im Augenblick gebunden halten, der gegenwärtige Moment für ein Ein¬
schreiten gegen Dänemark günstig ist, darüber kann man zweifelhaft sein*).



") Die Frage, ob Preußen, unter der Voraussetzung eines völligen System-
Wechsels, die polnischen Wirren zur Verfolgung seiner Zwecke benutzen könnte, wollen wir in einem
andern Zusammenhange berühren. Hier gehe» wir von der Annahme aus, daß die infolge des
polnischen Aufstandes entstandenen diplomatischen Verwickelungen auch auf diplomatischem Wege
ihre Erledigung finden werden, und daß bis zu dieser Erledigung keiner der betheiligten
Staaten eine Diverston nach einer andern Richtung hin unternehmen werde.
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[0388] Verwickelungen vorzubeugen, aus denen die angegebene Eventualität mit Noth¬ wendigkeit hervorgehen würde, d. h. es hat Nichts mehr zu scheuen als eine Situation, in der es der Beschützung Oestreichs bedarf. Denn diese kann eben nur erkauft werden durch Demüthigungen, deren Folgen nur durch den An¬ schluß an ein Oestreich unbedingt feindliches System überwunden werden könnten. ^ Hieraus folgt schon, daß gerade weil eine engere Verbindung Preußens mit Frankreich und Nußland nicht zu wünschen ist, wir auch einem unbedingten Anschluß desselben an Oestreich nicht das Wort reden tonnen. Die Isolirung, die in Preußen schmerzlich empfunden, die von allen Parteien beklagt, und von jeder von ihnen der Politik der Gegenpartei zugeschoben wird, läßt sich eben nicht mit einem directen Schritte beseitigen, und zwar deshalb nicht, weil Preußen in Frankreich den begehrlichen Nachbar, in Oestreich einen anspruchs¬ vollen Rivalen zu fürchten hat, weil es Thorheit wäre, wenn es seine von der einen Seite bedrohten Interessen dadurch sichern wollte, daß es nach der andern Seite hin ebenso wichtige Interessen aufopferte. Jeder entschiedene Schritt Preußens wird ihm, als einem aufstrebenden Staate, den zwar eine große Niederlage in die äußerste Gefahr stürzen, dem aber anderseits ein glänzen¬ der, mit Geschick benutzter Erfolg eine ganz unberechenbare Machterweitcrung bieten würde, Feinde ringsum erwecken. Es ergibt sich daraus, daß Preußen in der allgemeinen Politik zwar eine ganz bestimmte Richtung verfolgen muß, daß es aber einem bestimmten System sich erst dann einordnen kann, wenn es das Werk der deutschen Einigung durch einen entscheidenden Erfolg sicher ge¬ stellt hat. Es kann Preußen nur erwünscht sein, wenn England und Oestreich sich Rußland und Frankreich gegenüber zu einer activen Politik in den Angelegen¬ heiten des Orients einigen, es muß ihre Bestrebungen auch indirect unter¬ stützen; ehe es aber ihrer Action sich anschließt, muß es im Berein mit Deutsch¬ land den entscheidenden Schlag gegen Dänemark geführt und im Kampfe für eine nationale Sache sich zugleich die politische und militärische Leitung der Nation erkämpft haben. Ob, abgesehen von den äußere» und inneren Verwickelungen, die Preußens Kräfte im Augenblick gebunden halten, der gegenwärtige Moment für ein Ein¬ schreiten gegen Dänemark günstig ist, darüber kann man zweifelhaft sein*). ") Die Frage, ob Preußen, unter der Voraussetzung eines völligen System- Wechsels, die polnischen Wirren zur Verfolgung seiner Zwecke benutzen könnte, wollen wir in einem andern Zusammenhange berühren. Hier gehe» wir von der Annahme aus, daß die infolge des polnischen Aufstandes entstandenen diplomatischen Verwickelungen auch auf diplomatischem Wege ihre Erledigung finden werden, und daß bis zu dieser Erledigung keiner der betheiligten Staaten eine Diverston nach einer andern Richtung hin unternehmen werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/388>, abgerufen am 27.09.2024.