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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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bauten, den vortretenden Portalen, ihrem reichen Relief von Pilasterrcihen,
Gurten und Dachkränzen, so wie in dem bewegten Rhythmus ihrer Massen
mit so anmuthigem Anstand zur Schau tragen. Vielleicht auch hätte sich damit,
da man doch einmal das nationale Element betonen wollte, der Ausdruck der
Behaglichkeit vereinigen lassen, den die Städte des mittelalterlichen Bürger- und
Patricierthums mit ihren zierlichen Erkern und Söllern, dem naiven Spiele der
Gedanken in Ornamenten und Figuren zu erreichen wissen. Und wir irren
vielleicht nicht, wenn wir die Absicht einer solchen Verbindung in dem Plan
des Urhebers annehmen. Hätte man zugleich die ewigen Grundgesetze der an¬
tiken Kunst, wie sie sich in den Gliederungen als der einfache und kräftige Aus¬
druck des Aufbaues kundgeben, im Auge behalten, so hätte wohl ein Ganzes
von edlem und monumentalen Charakter entstehen können. Ja, vielleicht hätte
man mit einem solchen Verfahren den ersten Stein zur Bildung eines neuen
Stils gelegt, dem man nun wie einem körperlosen Gespenst, wie dem eigenen
Schatten athemlos nachläuft.

Allein wie ist statt dessen die Aufgabe aufgefaßt, wie ausgeführt worden!
Noch ungeschickter, noch ungereimter, noch widersinniger, als es in jenem Pro¬
gramm angekündigt wurde, ist das Unternehmen in der Maximiliansstraße zu
Stande gekommen. Also doch! Architekten haben sich wirtlich den Gedanken
benommen lassen, daß ein neuer Baustil erfunden, über Nacht aus der Erde
herausgemauert, aus allen Stilen der Welt mit Hammer und Mauerteile zu¬
sammengeklaubt werden könne? Nun, wir werden sehen, welch ein Gewächs
dabei herausgekommen ist, wir wollen uns, um diese unnatürliche Creatur
des neunzehnten Jahrhunderts kennen ;u lernen, die Mühe nicht verdrießen
lassen, mit dem Leser Bau für Bau durchzugehen. Es war also nicht genug,
daß vor kaum einem Menschenalter eine Schule, welche in München ihren
stärksten Schößling trieb, die Fahne des neuen, deutschen, wahren und zeit¬
gemäßen Stiles aussteckte und entschieden mit der Ueberlieferung brechen, die
Kette der Geschichte zerreißen wollte? Man hatte noch nicht genug an der
trostlosen Nüchternheit, der Gedankenarmuth, den plumpen Verhältnissen und
ungeschlachten Formen, mit denen diese "Bauart" hohl und kläglich neben dem
lebendigen, geistvollen, schwunghaften Wesen selbst der Architektur steht, welche
von ihr als Zopf bezeichnet und verdammt wurde? Nicht genug ander Cari-
catur, die sie geworden ist. indem sie, um ihrer Nüchternheit aufzuhelfen, mit
dem lumpigsten, sinnlosesten Flitterwerk sich aufgeputzt und aufgestutzt hat? Gut,
wenn man diesem gemachten, ebenso windigen, als bleiernen Bauwesen ein
Ende machen wollte; aber wird man etwas Besseres von jenen Erfindern des
allerneuesten Stiles erwarten, die zudem erst vor Kurzem aus der Schule
jener nun wieder abgelegten "Bauart" hervorgegangen sind? Von ihnen etwa
hoffen, daß sie den Ausdruck für das moderne Gesammtleben und den geheim-


Grenzbotm II. 1863, 47

bauten, den vortretenden Portalen, ihrem reichen Relief von Pilasterrcihen,
Gurten und Dachkränzen, so wie in dem bewegten Rhythmus ihrer Massen
mit so anmuthigem Anstand zur Schau tragen. Vielleicht auch hätte sich damit,
da man doch einmal das nationale Element betonen wollte, der Ausdruck der
Behaglichkeit vereinigen lassen, den die Städte des mittelalterlichen Bürger- und
Patricierthums mit ihren zierlichen Erkern und Söllern, dem naiven Spiele der
Gedanken in Ornamenten und Figuren zu erreichen wissen. Und wir irren
vielleicht nicht, wenn wir die Absicht einer solchen Verbindung in dem Plan
des Urhebers annehmen. Hätte man zugleich die ewigen Grundgesetze der an¬
tiken Kunst, wie sie sich in den Gliederungen als der einfache und kräftige Aus¬
druck des Aufbaues kundgeben, im Auge behalten, so hätte wohl ein Ganzes
von edlem und monumentalen Charakter entstehen können. Ja, vielleicht hätte
man mit einem solchen Verfahren den ersten Stein zur Bildung eines neuen
Stils gelegt, dem man nun wie einem körperlosen Gespenst, wie dem eigenen
Schatten athemlos nachläuft.

Allein wie ist statt dessen die Aufgabe aufgefaßt, wie ausgeführt worden!
Noch ungeschickter, noch ungereimter, noch widersinniger, als es in jenem Pro¬
gramm angekündigt wurde, ist das Unternehmen in der Maximiliansstraße zu
Stande gekommen. Also doch! Architekten haben sich wirtlich den Gedanken
benommen lassen, daß ein neuer Baustil erfunden, über Nacht aus der Erde
herausgemauert, aus allen Stilen der Welt mit Hammer und Mauerteile zu¬
sammengeklaubt werden könne? Nun, wir werden sehen, welch ein Gewächs
dabei herausgekommen ist, wir wollen uns, um diese unnatürliche Creatur
des neunzehnten Jahrhunderts kennen ;u lernen, die Mühe nicht verdrießen
lassen, mit dem Leser Bau für Bau durchzugehen. Es war also nicht genug,
daß vor kaum einem Menschenalter eine Schule, welche in München ihren
stärksten Schößling trieb, die Fahne des neuen, deutschen, wahren und zeit¬
gemäßen Stiles aussteckte und entschieden mit der Ueberlieferung brechen, die
Kette der Geschichte zerreißen wollte? Man hatte noch nicht genug an der
trostlosen Nüchternheit, der Gedankenarmuth, den plumpen Verhältnissen und
ungeschlachten Formen, mit denen diese „Bauart" hohl und kläglich neben dem
lebendigen, geistvollen, schwunghaften Wesen selbst der Architektur steht, welche
von ihr als Zopf bezeichnet und verdammt wurde? Nicht genug ander Cari-
catur, die sie geworden ist. indem sie, um ihrer Nüchternheit aufzuhelfen, mit
dem lumpigsten, sinnlosesten Flitterwerk sich aufgeputzt und aufgestutzt hat? Gut,
wenn man diesem gemachten, ebenso windigen, als bleiernen Bauwesen ein
Ende machen wollte; aber wird man etwas Besseres von jenen Erfindern des
allerneuesten Stiles erwarten, die zudem erst vor Kurzem aus der Schule
jener nun wieder abgelegten „Bauart" hervorgegangen sind? Von ihnen etwa
hoffen, daß sie den Ausdruck für das moderne Gesammtleben und den geheim-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/373>, abgerufen am 27.09.2024.