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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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für die Erreichung entfernter politischer Ziele gibt, richten natürlich ihre schärf¬
sten Pfeile gegen den Staat, auf den sie die größte Hoffnung sehen. Vor
Allem empfindet man es in Preußen selbst in solchen Fällen am tiefsten, daß
der Staat in Bahnen sich befindet, die ihn von seinem Ziele ablenken. Mau
Nagt im grvßdeutschcn Lager oft über den Ehrgeiz, der jedem Preußen ein¬
gepflanzt sei. Und in der That hat man alle Ursache dazu, nicht etwa, weil
derselbe Preußen zu einem eroberungssüchtigen Volte gemacht hat (ein Er¬
oberer ist auch Friedrich der Große nicht gewesen; seine eigenthümliche Größe
liegt gerade darin, daß er es nicht war), sondern weil er Preußen ausschlie߬
lich in Bahnen lenkt, auf denen es sofort mit dem Großdcutschthum in Con¬
flict gerathen muß. Wir gestehen ganz offen, daß wir dem vielfach angegrif¬
fenen specifisch-preußischen Selbstgefühl, dem Stolz auf die eigenthümliche Größe
Preußens, gerade im Interesse der deutschen Sache eher eine Stärkung als
eine Schwächung wünschen. Die Gefahr für den Staat ist zu groß, wenn
jedes Ablenken von dem gewünschten Ziele die Gemüther sofort in leidenschaft¬
liche Zuckungen oder haltlose Schwäche Versetze.

Indessen wollen wir die Vortheile und Nachtheile, die diese Beschränkung
auf ein bestimmtes Ziel für die Politik Preußens mit sich bringt, nicht gegen
einander abwägen, dagegen müssen wir aufs schärfste hervorheben, daß, wenn
Preußen seiner innersten Natur nach nur ein Ziel verfolgen kann, man ihm
doch in Bezug auf die Wahl des Weges zu diesem Ziele eine gewisse Freiheit
zugestehen muß. Ja, wir stehen nicht an, zu behaupten, daß, wenn die Natur
der Dinge Preußen in der That auf einen bestimmten Weg wiese und ihm
jeden andern Weg verschlösse, das Ziel überhaupt nicht erreicht werden könnte,
als durch einen Krieg mit einer übermächtigen Coalition. Jeder diplomatische
Erfolg eines Staates wird wesentlich dadurch bedingt, daß der Gegner, auch
wenn er das Ziel der Bestrebungen genau erkennt, doch über die Mittel und
Wege möglichst lange in Ungewißheit gelassen wird. Die Politik bedarf nicht
der freien Hand (denn die sogenannte Politik der freien Hand ist meist nur
eine Politik der Verlegenheit), wohl aber der freien Bewegung. Wenn zwei
Gegner in eine diplomatische Fehde, zumal in eine solche, die sich durch
Jahrzehnte hinziehen kann, verwickelt sind, in der jeder von beiden das Ziel
des andern kennt, aber nur der eine die Wege, die der andere einzuschlagen
hat. so ist es klar, daß derjenige, welcher Ziel und Wege des Widerparts
kennt, über diesen im entschiedensten Vortheil ist. Auf unsern Fall angewen¬
det: Wenn Oestreich zu der Ueberzeugung berechtigt wäre, daß Preußen in den
Fragen der großen Politik stets mit ihm Hand in Hand gehen müßte, so gäbe
es gar kein erdenkbares Mittel, durch welches Preußen irgend welche Wirkung
auf Oestreich auszuüben im Stande wäre, und Oestreich würde den günstigen
Ausgang einer jeden diplomatischen Fehde mit Preußen mit voller Sicherheit


für die Erreichung entfernter politischer Ziele gibt, richten natürlich ihre schärf¬
sten Pfeile gegen den Staat, auf den sie die größte Hoffnung sehen. Vor
Allem empfindet man es in Preußen selbst in solchen Fällen am tiefsten, daß
der Staat in Bahnen sich befindet, die ihn von seinem Ziele ablenken. Mau
Nagt im grvßdeutschcn Lager oft über den Ehrgeiz, der jedem Preußen ein¬
gepflanzt sei. Und in der That hat man alle Ursache dazu, nicht etwa, weil
derselbe Preußen zu einem eroberungssüchtigen Volte gemacht hat (ein Er¬
oberer ist auch Friedrich der Große nicht gewesen; seine eigenthümliche Größe
liegt gerade darin, daß er es nicht war), sondern weil er Preußen ausschlie߬
lich in Bahnen lenkt, auf denen es sofort mit dem Großdcutschthum in Con¬
flict gerathen muß. Wir gestehen ganz offen, daß wir dem vielfach angegrif¬
fenen specifisch-preußischen Selbstgefühl, dem Stolz auf die eigenthümliche Größe
Preußens, gerade im Interesse der deutschen Sache eher eine Stärkung als
eine Schwächung wünschen. Die Gefahr für den Staat ist zu groß, wenn
jedes Ablenken von dem gewünschten Ziele die Gemüther sofort in leidenschaft¬
liche Zuckungen oder haltlose Schwäche Versetze.

Indessen wollen wir die Vortheile und Nachtheile, die diese Beschränkung
auf ein bestimmtes Ziel für die Politik Preußens mit sich bringt, nicht gegen
einander abwägen, dagegen müssen wir aufs schärfste hervorheben, daß, wenn
Preußen seiner innersten Natur nach nur ein Ziel verfolgen kann, man ihm
doch in Bezug auf die Wahl des Weges zu diesem Ziele eine gewisse Freiheit
zugestehen muß. Ja, wir stehen nicht an, zu behaupten, daß, wenn die Natur
der Dinge Preußen in der That auf einen bestimmten Weg wiese und ihm
jeden andern Weg verschlösse, das Ziel überhaupt nicht erreicht werden könnte,
als durch einen Krieg mit einer übermächtigen Coalition. Jeder diplomatische
Erfolg eines Staates wird wesentlich dadurch bedingt, daß der Gegner, auch
wenn er das Ziel der Bestrebungen genau erkennt, doch über die Mittel und
Wege möglichst lange in Ungewißheit gelassen wird. Die Politik bedarf nicht
der freien Hand (denn die sogenannte Politik der freien Hand ist meist nur
eine Politik der Verlegenheit), wohl aber der freien Bewegung. Wenn zwei
Gegner in eine diplomatische Fehde, zumal in eine solche, die sich durch
Jahrzehnte hinziehen kann, verwickelt sind, in der jeder von beiden das Ziel
des andern kennt, aber nur der eine die Wege, die der andere einzuschlagen
hat. so ist es klar, daß derjenige, welcher Ziel und Wege des Widerparts
kennt, über diesen im entschiedensten Vortheil ist. Auf unsern Fall angewen¬
det: Wenn Oestreich zu der Ueberzeugung berechtigt wäre, daß Preußen in den
Fragen der großen Politik stets mit ihm Hand in Hand gehen müßte, so gäbe
es gar kein erdenkbares Mittel, durch welches Preußen irgend welche Wirkung
auf Oestreich auszuüben im Stande wäre, und Oestreich würde den günstigen
Ausgang einer jeden diplomatischen Fehde mit Preußen mit voller Sicherheit


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[0360] für die Erreichung entfernter politischer Ziele gibt, richten natürlich ihre schärf¬ sten Pfeile gegen den Staat, auf den sie die größte Hoffnung sehen. Vor Allem empfindet man es in Preußen selbst in solchen Fällen am tiefsten, daß der Staat in Bahnen sich befindet, die ihn von seinem Ziele ablenken. Mau Nagt im grvßdeutschcn Lager oft über den Ehrgeiz, der jedem Preußen ein¬ gepflanzt sei. Und in der That hat man alle Ursache dazu, nicht etwa, weil derselbe Preußen zu einem eroberungssüchtigen Volte gemacht hat (ein Er¬ oberer ist auch Friedrich der Große nicht gewesen; seine eigenthümliche Größe liegt gerade darin, daß er es nicht war), sondern weil er Preußen ausschlie߬ lich in Bahnen lenkt, auf denen es sofort mit dem Großdcutschthum in Con¬ flict gerathen muß. Wir gestehen ganz offen, daß wir dem vielfach angegrif¬ fenen specifisch-preußischen Selbstgefühl, dem Stolz auf die eigenthümliche Größe Preußens, gerade im Interesse der deutschen Sache eher eine Stärkung als eine Schwächung wünschen. Die Gefahr für den Staat ist zu groß, wenn jedes Ablenken von dem gewünschten Ziele die Gemüther sofort in leidenschaft¬ liche Zuckungen oder haltlose Schwäche Versetze. Indessen wollen wir die Vortheile und Nachtheile, die diese Beschränkung auf ein bestimmtes Ziel für die Politik Preußens mit sich bringt, nicht gegen einander abwägen, dagegen müssen wir aufs schärfste hervorheben, daß, wenn Preußen seiner innersten Natur nach nur ein Ziel verfolgen kann, man ihm doch in Bezug auf die Wahl des Weges zu diesem Ziele eine gewisse Freiheit zugestehen muß. Ja, wir stehen nicht an, zu behaupten, daß, wenn die Natur der Dinge Preußen in der That auf einen bestimmten Weg wiese und ihm jeden andern Weg verschlösse, das Ziel überhaupt nicht erreicht werden könnte, als durch einen Krieg mit einer übermächtigen Coalition. Jeder diplomatische Erfolg eines Staates wird wesentlich dadurch bedingt, daß der Gegner, auch wenn er das Ziel der Bestrebungen genau erkennt, doch über die Mittel und Wege möglichst lange in Ungewißheit gelassen wird. Die Politik bedarf nicht der freien Hand (denn die sogenannte Politik der freien Hand ist meist nur eine Politik der Verlegenheit), wohl aber der freien Bewegung. Wenn zwei Gegner in eine diplomatische Fehde, zumal in eine solche, die sich durch Jahrzehnte hinziehen kann, verwickelt sind, in der jeder von beiden das Ziel des andern kennt, aber nur der eine die Wege, die der andere einzuschlagen hat. so ist es klar, daß derjenige, welcher Ziel und Wege des Widerparts kennt, über diesen im entschiedensten Vortheil ist. Auf unsern Fall angewen¬ det: Wenn Oestreich zu der Ueberzeugung berechtigt wäre, daß Preußen in den Fragen der großen Politik stets mit ihm Hand in Hand gehen müßte, so gäbe es gar kein erdenkbares Mittel, durch welches Preußen irgend welche Wirkung auf Oestreich auszuüben im Stande wäre, und Oestreich würde den günstigen Ausgang einer jeden diplomatischen Fehde mit Preußen mit voller Sicherheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/360>, abgerufen am 27.09.2024.