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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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herigen Gange seiner Geschichte vorgeschriebenen Aufgabe beruht. Es ist die
Verfolgung dieses Zieles in der That eine Nothwendigkeit für Preußen. Preu¬
ßen kann, wenn es sich aus der Höhe erhalten will, auf die es zwei große
Regenten erhoben, und zu der es sich nach beispiellosem Falle durch die kriege¬
rische Tüchtigkeit und Hingebung seines Volkes wieder emporgeschwungen hat,
dies Ziel nicht aufgeben, es hat nicht die Wahl, beliebig ein anderes Ziel sich
vorzustecken. In Bezug auf seinen Beruf, um diesen oft verkehrt angewandten
Ausdruck zu gebrauchen, hat es keine Freiheit, ist es beschränkter, als irgend
ein Staat. Dies zeigt sich am deutlichsten darin, daß die Bedeutung und
das Ansehen des Staates in jedem Zeitpunkt von der Sicherheit bedingt ist,
mit welcher er diesem Ziele zustrebt, und daß ein augenblickliches Ablenken von
derselben stets zu einer die allgemeine Geltung des Staates aufs bedrohlichste
gefährdenden Machtkrisis wird, oder aus einer solchen hervorgegangen ist. Hier
gerade tritt aufs schärfste der große Unterschied in der Stellung Oestreichs und
Preußens hervor. Oestreich kann die deutschen Interessen beliebig vernach¬
lässigen, sie aufopfern, ihnen feindlich gegenübertreten, ohne wenigstens un¬
mittelbare Nachtheile von einer solchen Politik zu empfinden, ja ohne auch nur
den Vorwürfen undeutscher Gesinnung sich auszusetzen. Der eifrigste Gro߬
deutsche, der nicht müde wird, Oestreichs deutschen Beruf zu predigen, wird
es ganz in der Ordnung finden, wenn Oestreich in jedem einzelnen Falle ledig¬
lich seinen eignen Vortheil zu Rathe zieht. Der blinden Furcht des groß-
deutschen Particularismus gegen Preußen, die selbst durch eine Niederlage und
Demüthigung dieses Staates nicht beschwichtigt werden kann, gilt es viel¬
mehr als Axiom, daß jeder Gewinn für Oestreich auch ein Gewinn für Deutsch¬
land ist*).

Ganz anders ist in der Beziehung die Lage Preußens. Jedes Preisgeben
deutscher Interessen, ja jedes Schwanken, jede Schwäche in der Verfolgung
derselben erschüttert unmittelbar seine Geltung nicht blos in Deutschland, son¬
dern in Europa. Die Gegner freuen sich, einen Stützpunkt für ihre Anklagen
und Angriffe zu finden. Die Freunde, die auch unter günstigen Verhältnissen
und einer ihren Plänen geneigten Regierung gegenüber nicht immer die Ge¬
duld zeigen, die, mit Zähigkeit des Willens verbunden, ^allein die Bürgschaft



*) Wir reden natürlich nur von der, bewußt oder unbewußt, ganz von östreichischen
Impulsen beherrschten großdeutschen Partei, nicht von der Würzburger Diplomatie, die zu
fein ist, um die Intimität mit Oestreich für etwas Anderes anzusehen, als für ein noth,
wendiges Uebel, und die nur auf den Augenblick der völligen Demüthigung Preußens wartet,
um sofort ihre Angriffsfront gegen Oestreich zu kehren. Die gleich nach dem peloponnesischen
Kriege in dem griechischen Alliauccsystem eingetretenen Veränderungen würden, wenn es der
Coalition je gelingen sollte, Preußen völlig zu Boden zu werfen, in der Gestaltung der deut¬
schen Verhältnisse ein getreues Abbild finden.
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herigen Gange seiner Geschichte vorgeschriebenen Aufgabe beruht. Es ist die
Verfolgung dieses Zieles in der That eine Nothwendigkeit für Preußen. Preu¬
ßen kann, wenn es sich aus der Höhe erhalten will, auf die es zwei große
Regenten erhoben, und zu der es sich nach beispiellosem Falle durch die kriege¬
rische Tüchtigkeit und Hingebung seines Volkes wieder emporgeschwungen hat,
dies Ziel nicht aufgeben, es hat nicht die Wahl, beliebig ein anderes Ziel sich
vorzustecken. In Bezug auf seinen Beruf, um diesen oft verkehrt angewandten
Ausdruck zu gebrauchen, hat es keine Freiheit, ist es beschränkter, als irgend
ein Staat. Dies zeigt sich am deutlichsten darin, daß die Bedeutung und
das Ansehen des Staates in jedem Zeitpunkt von der Sicherheit bedingt ist,
mit welcher er diesem Ziele zustrebt, und daß ein augenblickliches Ablenken von
derselben stets zu einer die allgemeine Geltung des Staates aufs bedrohlichste
gefährdenden Machtkrisis wird, oder aus einer solchen hervorgegangen ist. Hier
gerade tritt aufs schärfste der große Unterschied in der Stellung Oestreichs und
Preußens hervor. Oestreich kann die deutschen Interessen beliebig vernach¬
lässigen, sie aufopfern, ihnen feindlich gegenübertreten, ohne wenigstens un¬
mittelbare Nachtheile von einer solchen Politik zu empfinden, ja ohne auch nur
den Vorwürfen undeutscher Gesinnung sich auszusetzen. Der eifrigste Gro߬
deutsche, der nicht müde wird, Oestreichs deutschen Beruf zu predigen, wird
es ganz in der Ordnung finden, wenn Oestreich in jedem einzelnen Falle ledig¬
lich seinen eignen Vortheil zu Rathe zieht. Der blinden Furcht des groß-
deutschen Particularismus gegen Preußen, die selbst durch eine Niederlage und
Demüthigung dieses Staates nicht beschwichtigt werden kann, gilt es viel¬
mehr als Axiom, daß jeder Gewinn für Oestreich auch ein Gewinn für Deutsch¬
land ist*).

Ganz anders ist in der Beziehung die Lage Preußens. Jedes Preisgeben
deutscher Interessen, ja jedes Schwanken, jede Schwäche in der Verfolgung
derselben erschüttert unmittelbar seine Geltung nicht blos in Deutschland, son¬
dern in Europa. Die Gegner freuen sich, einen Stützpunkt für ihre Anklagen
und Angriffe zu finden. Die Freunde, die auch unter günstigen Verhältnissen
und einer ihren Plänen geneigten Regierung gegenüber nicht immer die Ge¬
duld zeigen, die, mit Zähigkeit des Willens verbunden, ^allein die Bürgschaft



*) Wir reden natürlich nur von der, bewußt oder unbewußt, ganz von östreichischen
Impulsen beherrschten großdeutschen Partei, nicht von der Würzburger Diplomatie, die zu
fein ist, um die Intimität mit Oestreich für etwas Anderes anzusehen, als für ein noth,
wendiges Uebel, und die nur auf den Augenblick der völligen Demüthigung Preußens wartet,
um sofort ihre Angriffsfront gegen Oestreich zu kehren. Die gleich nach dem peloponnesischen
Kriege in dem griechischen Alliauccsystem eingetretenen Veränderungen würden, wenn es der
Coalition je gelingen sollte, Preußen völlig zu Boden zu werfen, in der Gestaltung der deut¬
schen Verhältnisse ein getreues Abbild finden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/359>, abgerufen am 27.09.2024.