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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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liehen Geburten haben trotz aller Keuschheitsverordnungen und Sabbathsgesctze
und trotz einer christlichen Disciplin, welche es sogar bis zu einem Publicandum
über den "geistlichen Beruf der Hebammen" (vom 28. Nov. 1833) gebracht hat,
in erschreckender Weise zugenommen und steigern sich noch von Jahr zu Jahr.
Das Verhältniß der unehelichen zu den ehelichen Geburten war im Jahre 1861
das von 1 zu 32/4, eine Quote, wie sie schwerlich irgend ein anderes deutsches
Land aufzuweisen hat.

In ganz Deutschland sind diese Zustände notorisch, da der Klageruf, wel¬
cher in der mecklenburgischen Presse nicht laut werden darf, in der auswärtigen
Presse desto stärker und allgemeiner hervorgebrochen ist. Aber die Staatsregie-
rung erkennt diesen Nothstand nicht an. Sie glaubt mit den hergebrachten
Institutionen und mit der modernen Zuthat absolutistischer Polizeiherrschaft allen
ihren Verpflichtungen genügen zu tonnen, und hat kein Verständniß dafür, daß
es bei längerem Beharren auf diesem Wege ein Ende mit Schrecken nehmen
muß. Sie erklärt im "Norddeutschen Korrespondenten", welcher nach Auf¬
lösung der Actiengesellschaft, von der das Blatt begründet und erhalten ward,
ein reines Negicrungsorgan geworden ist, alle diejenigen für "entartete Söhne"
des Landes, welche durch den Sumpf, in welchen unter ihrer Herrschaft dieses
Land gerathen ist, sich nicht befriedigt finden und mit ihren Klagen zu der
auswärtigen Presse ihre Zuflucht nehmen. Das genannte Organ hat die trau¬
rige Aufgabe, die Grundsätze und Maßregeln der gegenwärtigen Minister zu
vertheidigen und das berechtigte Verlangen nach Erfüllung der gegebenen Ver¬
heißungen als illoyal und verderblich zu bekämpfen. Es löst diese Aufgabe in
derselben Weise, welche man bei den Blättern gleicher Tendenz schon kennt,
nur daß es dabei mit weniger Geist und größerer Rohheit und Dreistigkeit
verfährt als einzelne andere Organe des Feudalismus und der Reaction. Es
denuncirt, verdächtigt und verleumdet, es verschweigt die Wahrheit. wo sie ihm
unbequem ist, es unterdrückt Thatsachen und Actenstücke. die ihm nicht zusagen,
es öffnet seine Spalten jeder leichtfertigen Beschuldigung und falschen Nach¬
richt, wenn diese nur zur Herabsetzung der politischen Gegner dient, und
unterläßt es, seine Mittheilungen zu berichtigen, auch wenn das Unbegründete
derselben schlagend nachgewiesen wird. So vergiftet es die Gemüther, facht
die Leidenschaften an und erweitert die Trennung zwischen Fürst und Volk.
Die Perversität des Blattes wirkt um so unheilvoller, als in dem absolutistisch
feudalen Mecklenburg der Fürst nicht durch die Verantwortlichkeit seiner Minister
gedeckt wird und es überdies, da es eine Staatskasse nicht gibt, die landes¬
herrliche Kasse ist, aus welcher die ganze Verwaltung bestritten wird und aus
welcher daher auch die Fonds für den "Norddeutschen Korrespondenten"
fließen. Dadurch wird der Großherzog selbst in den Streit der Parteien hin¬
eingezogen, und indem die Minister ihn veranlassen, für den durch dieses Blatt


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liehen Geburten haben trotz aller Keuschheitsverordnungen und Sabbathsgesctze
und trotz einer christlichen Disciplin, welche es sogar bis zu einem Publicandum
über den „geistlichen Beruf der Hebammen" (vom 28. Nov. 1833) gebracht hat,
in erschreckender Weise zugenommen und steigern sich noch von Jahr zu Jahr.
Das Verhältniß der unehelichen zu den ehelichen Geburten war im Jahre 1861
das von 1 zu 32/4, eine Quote, wie sie schwerlich irgend ein anderes deutsches
Land aufzuweisen hat.

In ganz Deutschland sind diese Zustände notorisch, da der Klageruf, wel¬
cher in der mecklenburgischen Presse nicht laut werden darf, in der auswärtigen
Presse desto stärker und allgemeiner hervorgebrochen ist. Aber die Staatsregie-
rung erkennt diesen Nothstand nicht an. Sie glaubt mit den hergebrachten
Institutionen und mit der modernen Zuthat absolutistischer Polizeiherrschaft allen
ihren Verpflichtungen genügen zu tonnen, und hat kein Verständniß dafür, daß
es bei längerem Beharren auf diesem Wege ein Ende mit Schrecken nehmen
muß. Sie erklärt im „Norddeutschen Korrespondenten", welcher nach Auf¬
lösung der Actiengesellschaft, von der das Blatt begründet und erhalten ward,
ein reines Negicrungsorgan geworden ist, alle diejenigen für „entartete Söhne"
des Landes, welche durch den Sumpf, in welchen unter ihrer Herrschaft dieses
Land gerathen ist, sich nicht befriedigt finden und mit ihren Klagen zu der
auswärtigen Presse ihre Zuflucht nehmen. Das genannte Organ hat die trau¬
rige Aufgabe, die Grundsätze und Maßregeln der gegenwärtigen Minister zu
vertheidigen und das berechtigte Verlangen nach Erfüllung der gegebenen Ver¬
heißungen als illoyal und verderblich zu bekämpfen. Es löst diese Aufgabe in
derselben Weise, welche man bei den Blättern gleicher Tendenz schon kennt,
nur daß es dabei mit weniger Geist und größerer Rohheit und Dreistigkeit
verfährt als einzelne andere Organe des Feudalismus und der Reaction. Es
denuncirt, verdächtigt und verleumdet, es verschweigt die Wahrheit. wo sie ihm
unbequem ist, es unterdrückt Thatsachen und Actenstücke. die ihm nicht zusagen,
es öffnet seine Spalten jeder leichtfertigen Beschuldigung und falschen Nach¬
richt, wenn diese nur zur Herabsetzung der politischen Gegner dient, und
unterläßt es, seine Mittheilungen zu berichtigen, auch wenn das Unbegründete
derselben schlagend nachgewiesen wird. So vergiftet es die Gemüther, facht
die Leidenschaften an und erweitert die Trennung zwischen Fürst und Volk.
Die Perversität des Blattes wirkt um so unheilvoller, als in dem absolutistisch
feudalen Mecklenburg der Fürst nicht durch die Verantwortlichkeit seiner Minister
gedeckt wird und es überdies, da es eine Staatskasse nicht gibt, die landes¬
herrliche Kasse ist, aus welcher die ganze Verwaltung bestritten wird und aus
welcher daher auch die Fonds für den „Norddeutschen Korrespondenten"
fließen. Dadurch wird der Großherzog selbst in den Streit der Parteien hin¬
eingezogen, und indem die Minister ihn veranlassen, für den durch dieses Blatt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/351>, abgerufen am 27.09.2024.